Wenn der Linksspringer es krachen lässt Harald Keilhack: Der Linksspringer 1.Sc3 von Harald Fietz, Juni 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Schachverlag
Kania
399 Seiten, etwa 25
ISBN: 3-931192-20-2
Sprache: Deutsch
Bewertung des Rezensenten:
Sind Sie mit ihren Eröffnungssystemen zufrieden? Wenn ja, dann lesen Sie nicht weiter. Glauben Sie, dass ein Weißspieler sein gesamtes Eröffnungswissen aus einem einzigen Buch erlernen kann? Wenn nein, dann blättern Sie weiter. Sind Sie zudem ein kreativer Spieler, der sich mit den weißen Steinen auf Neuland wagt? Wenn ja, dann sind Sie der richtige Leser für diese Stellungnahme und sollten in ihrem Geldbeutel nachschauen, ob Sie noch 24,80 Euro übrig haben. Dafür erhalten Sie nämlich das Buch "Der Linksspringer 1.Sc3. Studien einer alternativen Schacheröffnung" von Harald Keilhack aus dessen Kania-Verlag. Dieses Werk kann, falls Sie bei der dritten Antwort aufrichtig waren, die Quelle für eine neue Dimension in ihrem Schachverständnis sein und viele ihrer Gegner in Staunen versetzten.
Was rechtfertigt eine solche Erwartung? Ein wenig Statistik hilft. Der deutsche Schachbund hat ca. 94.000 Mitglieder; in der ersten und zweiten Bundesliga werden ca. 700 Spieler pro Jahr eingesetzt, d.h. 0,75% Spieler starten in einer Liga, in der 99% der Schachamateure nie antreten. Doch - wie die letzte unten angeführte Partie veranschaulicht - in allen Klassen von Oberliga und unterhalb kann 1.Sc3 als ein probates Eröffnungssystem häufig mit überraschenden Wirkungen eingesetzt werden, denn selbst Spieler mit DWZ um 2000 und mehr kennen sich auf dem Linksspringer-Terrain wenig aus. Das sollte, da Sie sich zu den Mutigen zählen, Anreiz genug sein, um in Keilhacks Hardcover mit 400 Seiten und Fadenbindung lange einen strapazierfähigen Begleiter zu finden.
Dort trifft man nicht nur obskure Partien von Eröffnungsfreaks, sondern in überraschend hoher Zahl auf Partien aus wichtigen Wettbewerben. In Fernschachkreisen ist 1.Sc3 bis auf Weltmeisterschaftslevel salonfähig. Insbesondere der niederländische Fernschach-GM Dick van Geet - nachdem die Eröffnung zuweilen benannt wird - hat sie mit einigen Landsleuten popularisiert. Keilhack bevorzugt die Bezeichnung "Linksspringer", um viele andere Namengebungen auf einen Nenner zu vereinen. Natürlich stammen zahlreiche Ideen aus dem experimentierfreudigen, südwestdeutschen Umfeld der Tübinger Schule des "Randspringer"-Magazins. Aber unter Titelträgern tauchen die Varianten ebenfalls auf. Schon immer bedienten sich die üblichen Verdächtigen ihrer (z.B. Juan Bellon, Ian Rogers, Roland Schmaltz, William Watson, Joel Benjamin, Jonny Hector), also Spieler die ein Faible für neue Wege haben. Ein Beispiel macht deutlich, dass selbst erfahrene Kämpen nicht immer standfest sind, wenn die "Freidenker" (Keilhack im Vorwort) auspacken.
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J. Hector - W. Uhlmann [C10]
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Wolfgang Uhlmanns Vorgehen kann beispielhaft dafür stehen, wie Schwarzspieler nach Übergängen zu ihnen vertrauten Systemen ringen. Aber fast immer hat Weiß die Option, Bauernstruktur und Figurenaufmärsche nach seinen Vorstellungen festzulegen. "Zugumstellungen" heißt das Zauberwort und hierüber erfährt man in sieben Hauptkapiteln und entlang von 99 ausführlich analysierten, vollständigen Partien viel:
I. |
1.Sc3 e5; |
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II. |
1.Sc3 d5 2.e4 d4 3. Sce2; |
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III. |
1.Sc3 d5 2.e4 exd4 3.Sxe4; |
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IV. |
1.Sc3 d5 2.e4 c6, 2 e6 und 2 Sf6; |
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V. |
1.Sc3 c5 2.Sf3 |
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VI. |
Alternativsysteme nach 1 e5, 1 d5 und 1 c5; |
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VII. |
Verschiedene Antworten auf 1.Sc3. |
Als e4-Spieler ist man leicht im Vorteil, denn nicht selten kommen halboffene Varianten zustande. Aber auch Anhänger der Wiener Partie können nach 1.Sc3 Sf6 2.e4 e5 auf übliche Pfade einschwenken. Generell gilt, dass für einen Neuanfang zunächst ein erheblicher Arbeits- und Eingewöhnungsaufwand geleistet werden muss, aber mit gelegter Basis das Zutrauen in die Stärke "der" Varianten wächst und der Aktualisierungsbedarf abnimmt. Keilhack hat das Material höchst instruktiv hergerichtet:
Pläne, Aufstellungen, Zugfolgen usw. werden ungewöhnlich wortreich erklärt; historische Entwicklungslinien nicht vernachlässigt. Wer das Standardwerk des Autors zur Tarrasch-Variante im Damengambit kennt, wird nichts anderes erwartet haben. Aber die Visualisierung gelingt nun deutlich besser.
Durchschnittlich drei bis vier Diagramme pro Doppelseite unterstützen den Lerneffekt.
Viele Analysen wurden aus bekannten, aber auch weniger zugänglichen Quellen zusammengefügt und neu bewertet. Hinweise auf weitere Literatur und Fehler in früheren Publikationen sind beispielhaft.
Bisher wenig kohärent zusammengetragene Fernschachpartien bilden einen Eckpfeiler des Theoriestandes.
Angesichts dieser Präsentationsart wundert es nicht, dass ein enzyklopädieartiges Handbuch herauskam, das auch in Druck und Layout einen optisch gediegenen Eindruck hinterlässt. Und bei so viel Masse begegnet man auch Spielern der Extra-Klasse. Selbst im modernen, computergestützten Schach verschließen sich Super-Großmeister nicht dem Reiz des einstmals verpönten Seitenpfades. Diese Könner wissen, dass alte Dogmen heuer kaum mehr gelten: Peter Leko, Alexander Morosewitsch und Wassili Iwantschuk gehören als Weißspieler dazu. Doch auch frühere Generationen sind vertreten: Paul Keres, Wassili Smyslow, Bent Larsen, Jan Timman, Ulf Andersson, Robert Hübner, Mihai Suba, Ljubomir Ljubojevic, Vlastimil Hort haben vielleicht nicht immer mit 1.Sc3 eröffnet, strebten aber Stellungen an, die ein Linksspringer-Jünger erreichen kann und will. Klangvolle Namen der Schachhistorie sind anzutreffen: Jose Raul Capablanca, Aaron Nimzowitsch und Rudolf Charousek belegen vorurteilsfreies Schachdenken.
Eine typische Linksspringer-Stellung ergibt z.B. 1.Sc3 c6 2.Sc3 d5 3. d3, die Leko und Karpow 2001 beim Amber-Schnellschachturnier durch Zugumstellung der ersten beide Züge erreichten.
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P. Leko - A. Karpow [B10]
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Was passieren kann, wenn der Schwarzspieler nach dem "angetäuschten" Caro-Kann nicht in der Spur bleibt, zeigt eine Partie aus der Oberliga Baden, die nach Redaktionsschluss Anfang Februar 2003 gespielt wurde. Marcel Vingerling (DWZ 2233), der Niederländer in Reihen von Rochade Kuppenheim, eiferte gegen einen Spieler mit DWZ 1964 seinen Pionieren aus den flachen Landen nach.
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M. Vingerling - M. Zinser [A00]
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Der auf dem vom Berliner Schach-Karikaturisten Frank Stiefel gestalteten Titel neugierig durch das Brett brechende Springer hat mit seinem Rechtskollegen ganze Arbeit geleistet. Wann lassen Sie es krachen?
Eine zweite Meinung: Rezension von Robert Miklos.
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 9/2003, S. 242
- 243,
das Buch stellte der
Schachverlag Kania,
Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur
Verfügung