Gegen sizilianische Querköpfe nicht schwarz sehen Dorian Rogozenko schafft dem Nachziehenden Durchblick, wenn kein offener Sizilianer erscheint von Harald Fietz, November 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Gambit 2003
192 Seiten, 25,50
ISBN 1-901983-84-6
Sprache: Intermediate Englisch
Bewertung des Rezensenten:
Gute Nachricht für Sizi-Spieler! Endlich gibt es wieder ein Buch, dass sich einem ihrer speziellen Probleme annimmt. Liegen nicht eigentlich ihre Hauptvarianten parat, um dem Königsbauern Paroli zu bieten? Sicher, aber vor die Zugfolge in vielanalysierten Abspielen hat Caissa den Gegner gesetzt. Und der will bisweilen abseits des Mainstreams, der der Einfachheit halber international als "Anti-Sicilians" bezeichnet wird, zum Erfolg kommen. Nun gibt unter diesem Titel einen "Führer für Schwarz". Der Londoner Gambit-Verlag hat ein Eröffnungsbuch herausgebracht, welches den Fokus auf "What to do when White avoids the Open Sicilian" legt. Autor ist mit dem moldawischen Großmeister Dorian Rogozenko ein ausgewiesener Kenner der beliebtesten halboffenen Verteidigung. Bereits im Vorwort bezieht er Stellung, warum es keine Befürchtungen gegen die Anti-Sizilianer geben muss: "Natürlich nicht! Es ist ihr Gegner, der ein Problem hat, denn er ist nicht gewillt, in der ambitioniertesten Art und Weise zu spielen. Und deshalb sollten sie nicht entmutigt sein, 1...c5 zu ziehen."
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, warum Spieler zwischen DWZ 1600 und 2200 beim Online-Trainer (auf dem ChessBase-Server www.schach.de) auch bei einem Druckprodukt in guten Händen sind. Den im Internet praktizierten Stil, Eröffnungspläne, Zusammenspiel der Figurenaufmärsche und Alternativen für eine Verschärfung oder Beruhigung der Partieentwicklung beim Übergang zum Mittelspiel ausführlich zu erläutern, behält der in der rumänischen Hauptstadt Bukarest wohnende 30-Jährige erfreulicherweise bei. Entstanden ist bei seinem Debüt als Buchautor kein enzyklopädisches Werk der sizilianischen Nebenvarianten, sondern ein Leitfaden mit mehreren Vorzügen. Viele Varianten durchliefen in den letzten fünf bis zehn Jahren krasse Neubewertungen; allerlei ist nun für Schwarz spielbar. Rogozenko versteht es, die Genese der Varianten zu reflektieren. Daneben "plaudert" er aus eigenen Erfahrungen mit ca. 250 Anti-Sizilianern und stellt die "Pioniere" einzelner Systeme vor (z.B. Eduardas Rozentalis für das 2.c3-System, welches in der englischsprachigen Welt den Namen von dessen litauischem Vorfahren Simon Alapin trägt oder - wie ein Beispiel unten zeigt - Peter Swidlers Beitrag zu 3.c3 mit anschließender Läuferentwicklung nach e2). Auf die Gleichwertigkeit von Wort und Zug setzen auch in Deutschland in jüngster Zeit einige Autoren: Stefan Kindermann, Frank Zeller und Harald Keilhack sind an vorderster Front zu nennen. Nur leider hat sich noch keiner dieser Experten an die sizilianische Revue gewagt. So bedient der Bundesligaspieler in Diensten der Schachfreunde Neukölln sein Publikum auf 192 Seiten in der internationalen Amtssprache.
Mit seinem Buch-Debüt lieferte der in Bukarest beheimate Dorian Rogozenko gleich ein Werk, welches bei jedem Sizilianer-Fans ins Regal gehört. Foto: Harald Fietz
Natürlich bekommen die vor allen auf Vereinsspielerebene beliebten Systeme einigen Platz: Grand-Prix-Angriff mit 2.f4 (15 Seiten) und der geschlossene Sizilianer (12 Seiten). Mit etwas weniger Umfang widmet er sich frühen Abweichungen (im zweiten Zug c4, b4, b3, d3, g3 oder d4 auf 10 Seiten) und dem Schlagen mit der Dame auf d4 nach 2. ... d6 (9 Seiten). Ein Schwerpunkt liegt aber auf den immer häufiger anzutreffenden positionellen Behandlungen: Alapin-System (34 Seiten) und Varianten mit Lb5 (49 Seiten für alles im Zusammenhang mit 2. ... Sc6 oder 2. ... d6). Der andere herausragende Komplex umfasst Verschiedenes auf 2.Sf3 mit den gebräuchlichsten dritten Weiß-Zügen nach 2. ... Sc6, 2. ... e6 und 3. ... d6 (49 Seiten). Auf letzterem Terrain herrscht wegen der Zugumstellungen und positionellen Eigenheiten besondere "Unübersichtlichkeit". Einige Spitzenspieler quartieren sich hier - wie viele Stellen im Buch belegen - mit den weißen Steinen kreativ ein: Neben Swidler zählen Michael Adams, Joel Benjamin und Leonid Yudasin zu regelmäßigen Anwendern. Besondere Prominenz erlangte 1997 ein Sieg von Swidler gegen Gary Kasparow beim vorletzten Tilburg-Turnier. Den dominierenden Spieler der vergangenen zwei Jahrzehnte wurmte die Niederlage in einem vermeintlich harmlosen System besonders. Daheim wurde Tiefenanalyse betrieben. In Simultanwettkämpfen experimentiert der Weltranglistenerste bisweilen damit. Anhand von zwei Partien der großen 40-Bretter-Vorstellung bei den Chess Classic 2000 lässt sich prägnant zeigen, warum der Schwarzspieler genau Bescheid wissen muss. Auffällig im ersten Beispiel ist aus der Eröffnung heraus die eklatante Schwäche des Nachziehenden auf den schwarzen Feldern.
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Kasparow,G (2851) - Ringel,A [B50]
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Auch beim nächsten Beispiel konnte sich der kiebitzende Wassili Iwantschuk ein Lächeln nicht verkeifen. Wieder gelingt es Weiß, vor allem mit den Läufern eine Drohkulisse am Königsflügel aufzubauen.
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Kasparow,G (2851) - Rahn,V [B50]
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Unbestritten ist, dass Rogozenko zu einem älteren Buch mit gleicher Thematik, Joe Gallaghers "Beating the Anti-Sicilians" (1994, Batsford-Verlag), rund ein Drittel mehr Material anbietet und Urteile viel expliziter macht. Punktuell hätten seine Einschätzungen exakter sein können, wie folgendes einfallsreiches Spiel des Nachziehenden zeigt. Nach 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Dxd4 a6 hält Rogozenko den Seitenpfad der Nebenvariante für Schwarz vielversprechender als die langen Varianten mit 4. ... Sc6 5.Lb5 Ld7 6.Lxc6 Lxc6 usw. 5.Le3 Sc6 6.Db6 Dxb6 7.Lxb6 g6 8.Sc3 Lg7 Selbst 8...Lh6 9.Sd5 Kf8 10.Le2 Kg7 11.0-0 Sf6 12.Sxf6 Kxf6 13.Sd4 Lf4 14.c3 Kg7 sollte Schwarz keine Probleme bereiten. 9.Sd5 Wenn die Untersuchung aber die untenstehende Referenz an die damals aufstrebenden Jungmeister aus der sowjetischen Schule macht, hätte hier auch Schabalows Informatorempfehlung 9.0-0-0 Lxc3 10.bxc3 Sf6 mit leichtem Vorteil für den Nachziehenden angeführt werden können. 9...Kf8 10.0-0-0 Sf6 11.Ld3 Sxd5! Nicht so überzeugend war, was wirklich geschah, nämlich 11...Lg4 12.The1 Tc8 13.c3 Sxd5 14.exd5 Lxf3 15.gxf3 Se5 16.Le2 f5 Swidler-Schabalow, Gausdal 1991. 12.exd5 Sb4 13.Lc4 Lf5 Hier belässt es Rogozenko bei "mit schwarzem Vorteil". Aber Schabalow zeigte im Informator 52/188 noch 14.a3 Immerhin der einzige Zug! 14...Tc8 15.axb4 Txc4 16.c3 Tg4 17.Thg1 Le4 mit dem gleichen Urteil vom schwarzen Vorteil.
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Swidler,P - Schabalow,A [B53]
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An anderer Stelle überrascht das Buch dann wieder. So finden sich beispielsweise in der MegaBase 2003 zwar viele anti-sizilianische Simultan-Partien Kasparows, aber nicht die Partie Kasparow-Babula vom medienträchtig inszenierten Uhren-Simultan gegen die tschechische Nationalmannschaft. Nach 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 e5 4.Lc4 d6 5.d3 Le7 6.Sd2 Sf6 7.Sf1 Lg4 8.f3 Le6 9.Se3 0-0 10.0-0 Sd7 11.Sed5 Sb6 12.Sxb6 Dxb6 13.Sd5 Lxd5 14.Lxd5 Sb4 15.Lc4 entstand eine Position, die Rogozenko trefflich zu charakterisieren weiß: "Dies ist genau eine Stellung, die man vermeiden sollte. Weiß hat aufgrund des Läuferpaars einen dauerhaften Vorteil. Sein weißfeldriger Läufer ist besonders stark und es gibt nichts, womit Schwarz dies neutralisieren kann." Der Moldawier bleibt eben Anwalt des Nachziehenden und selbst darin folgt er treu den beiden Prinzipien, zu denen er sich für seinen Repertoireaufbau und die Herangehensweise an die analytische Arbeit im Vorwort bekennt: Sicherheit und Objektivität. Von beidem kann der Wissbegierige jede Menge lernen.
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Kasparow,G - Babula,V [B30]
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Eine zweite Meinung: Rezension von IM Rainer Polzin.
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 21 / 2003, S. 583
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das Rezensionsexemplar stellte die
Firma Niggemann
(Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung