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Darf es etwas ausführlicher sein!?

Alfonso Romero: Creative Chess Strategy

Rezension von Peter Oppitz, Februar 2004

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Alfonso Romero: Creative Chess Strategy

Gambit 2003
ISBN 1-901983-92-7
244 Seiten; ca. 28 Euro
Sprache: Intermediate English

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4 aus 5

 

   Ein weiteres ambitioniertes Mittelspielbuch aus dem Gambit-Verlag! Der spanische Großmeister Alfonso Romero Holmes, geboren 1965, ist in der Schachszene vor allem für seine schwungvollen Angriffspartien und taktischen Überraschungen bekannt, war Herausgeber des spanischen Schach-Magazins "Gambito" und spielt seit dieser Saison auch für Katernberg in der deutschen Bundesliga.

    Sein Debütwerk als Buchautor enthält in einer voluminösen großformatigen Ausgabe 58 sehr ausgiebig analysierte Großmeister-Partien, vornehmlich aus dem Zeitraum 1980 - 1995, darunter 11 aus Romeros eigener Praxis. Einige ältere Beispiele wie Botwinnik - Aljechin, AVRO 1938, und etliches aus dem Kandidatenturnier Zürich 1953 finden sich ebenfalls, jüngstes Beispiel ist Zviagintsev - Kasimdzhanov, Essen 2002 . Vor allem die Partien aus spanischen Turnieren dürften hierzulande weniger bekannt sein.

   Der Buch-Titel ist eher irreführend. Da ich nicht Robert Hübner bin, spare ich mir eine 12-seitige Abhandlung über Herkunft und Bedeutung des Wortes "kreativ" und sein mögliches Vorkommen oder Nichtvorhandensein im Schachspiel. Man sucht den Ausdruck im Buchinneren sowieso weitgehend vergeblich. Zwar beschwört Romero in seinem knappen Vorwort nochmals, daß "in den vorgestellten Positionen niemals automatisch und mechanisch, sondern immer originell und innovativ vorgegangen werden sollte" und "unerwartete und kreative Lösungen" nötig seien. Die analysierten Partien auf den folgenden Seiten sind dann jedoch vorwiegend technischer Natur, und die Vorteilsverwertung erfordert dort vielmehr Geduld, Präzision und Kenntnis typischer Verfahren. Es bleibt zu hoffen, daß sich der bislang seriöse und führende Qualitäts-Verlag Gambit bezüglich reißerischer Buchtitel-Gebung und nichtssagender Rückseiten-Texte in Zukunft nicht seinem englischen Konkurrenten Batsford anpassen wird.

   Sehr ausführlich werden die einzelnen Partien betrachtet und erstrecken sich nicht selten auf sechs bis zehn Druckseiten. Neben einer kurzen Einführung sind sowohl Eröffnungs-Theorie mit Referenzpartien als auch verbale Erläuterungen und lange und weitreichende Analyse-Varianten angegeben. Diagramme fast in jeder Spalte helfen, den Überblick zu behalten. Ein (stark gekürztes) Beispiel, das im Buch sieben Seiten einnimmt:










Romero Holmes,A (2445) - Outerelo Ucha,M [A43]
Albacete, 1989
[Romero]

1.d4 Sf6 2.Sf3 c5!? 3.d5 e6 4.Sc3 Sxd5 5.Sxd5 exd5 6.Dxd5 Sc6 7.e4! Sb4?! 8.Db3! [ schwächer ist 8.Dd1 d5 9.exd5 Dxd5 10.Lb5+ Ld7 11.De2+ Le7 12.0-0 Lxb5! ( 12...0-0 13.Lc4! ) 13.Dxb5+ Dd7 14.Dxd7+ Kxd7 15.Td1+! Ke8! 16.c3 Sc6 17.Le3 f6 nebst Td8 mit Ausgleich] 8...d5 9.exd5 Dxd5 10.Lc4! De4+ 11.Kf1 [ Das spektakuläre 11.Kd1! ist stärker 11...Le7 12.Lxf7+ Kf8 13.Te1 Dg4 14.h3! mit der Idee 14...Dxg2? ( 14...Dd7+ 15.Ld2 gibt Schwarz keine Kompensation) 15.Txe7! Kxe7 16.Lg5+ Kf8 17.De3! Kxf7 18.De7+ Kg6 19.Sh4+ mit Damengewinn] 11...Le6 12.Lxe6 Dxe6 13.Dxe6+ fxe6 14.c3 Sd3!? 15.Ke2 [ 15.Sg5! ] 15...0-0-0 16.b3 Sxc1+ 17.Taxc1 Le7 18.h4! Thf8?! 19.Thd1 Td5 20.Td3 Txd3 21.Kxd3 Kd7 22.Ke3 Ld6! 23.g3 Ke7 [ Nach 23...b5!? 24.Sg5 h6 25.Se4 Kc6 kann Weiß originellerweise seinen guten Springer gegen den schlechten Läufer tauschen 26.Sxd6 ( 26.Ta1!? Lc7! 27.a4 a6 28.axb5+ axb5 29.f4 e5! ) 26...Kxd6 27.Td1+ Kc7!? ( 27...Kc6? 28.f4 Tf5 29.c4 bxc4 30.bxc4 Tf8 31.Ke4 Tb8 32.Ke5 Tb4 33.Td6+ Kc7 34.Txe6!? Txc4 35.Tg6 mit entscheidendem Vorteil) 28.f4 Td8 weil das Turm-Endspiel so hoffnungslos ist, sucht Schwarz Rettung im Tausch 29.Txd8 Kxd8 und dieses Bauern-Endspiel führt Romero in aller Breite aus. Die Hauptvariante lautet: 30.g4! ( 30.b4? cxb4 31.cxb4 h5! 32.Kd4 a6! =; 30.Ke4 h5! 31.Ke5 Ke7 32.f5 exf5 33.Kxf5 Kd6 wird ein Damen-Endspiel mit Mehrbauer, das langwierig und schwer zu gewinnen ist) 30...Ke7 31.Ke4 h5!? ( 31...Kd6 32.f5! +-; 31...g6 32.Ke5 h5 33.gxh5 gxh5 34.f5 exf5 35.Kxf5 c4 36.bxc4 +-; 31...Kf6 32.c4!? bxc4 33.bxc4 g6 34.g5+! ) 32.gxh5! ( 32.g5? g6 33.Ke5 b4! = reicht nicht) 32...Kf6 33.a3! a5 ( 33...c4 34.bxc4 bxc4 35.a4 a5 36.h6 gxh6 37.h5 ; 33...a6 34.c4! bxc4 35.bxc4 Kf7 36.Ke5 Ke7 37.f5 ) 34.b4! cxb4 35.cxb4 a4 36.h6 gxh6 37.h5 +-] 24.a4! c4? Der c-Bauer wird schwach. 25.b4! Lc7 [ interessanter ist 25...a5 26.bxa5 Lc5+ 27.Ke2 Kd6 28.Tb1 Tf7 ( 28...Kc6 29.Se5+ ; 28...Kc7 29.Tb5! La7 30.Tb4 ) 29.Tb5! La7 30.a6! bxa6 31.Ta5 +-] 26.Ke2 a6? ein typischer Zeitnotfehler in schwieriger Stellung 27.a5 Kd6 28.Td1+ Kc6 29.Td4 b5 [ 29...Kb5 30.Td7 ] 30.axb6 Lxb6 31.Txc4+ Kd5 32.Tg4 ...und Schwarz gab auf, behauptet das Buch! Die MegaBase gibt noch: 32...e5 33.c4+ Ke6 34.Txg7 e4 35.Sg5+ Kf6 36.Tb7 1-0

 

   Man sieht, worin das Schwerpunkt der Anmerkungen besteht: Es werden weniger funkensprühende Kombinationen oder tiefliegende Pointen angeführt, sondern die Analysen exerzieren oft langwierige Endspiele durch und führen schwierige Gewinnführungen detailliert aus, wo andere Autoren abbrechen und sich mit dem Urteil "...und gewinnt" begnügen. Dabei ist Romero keinesfalls so elementar wie Nunns "Schach verstehen Zug um Zug", erreicht allerdings auch weder die Phantasie des 70er-Jahre-Klassikers "Timman analysiert Großmeister-Partien" noch die Vollständigkeit eines Hübner, Ftacnik oder Stohl.

   Interessant ist, wenn Romero in der bekannten Musterpartie Smyslow - Ribli, Kandidaten-Halbfinale (7.Partie) London 1983, einen Abgleich von Smyslows kurzen Kommentaren mit Riblis ausführlichen Verbesserungs-Vorschlägen vornimmt, wobei er häufig in schwierigen Turm-Endspielen landet. Eingehend untersucht werden auch hochkomplizierte Endspiele mit drei Leichtfiguren beiderseits wie in Hort - Wirthensohn, Biel 1981, Romero - Gual, Katalonische Mannschafts-Meisterschaft (!) 1985, und Karpow - Andersson, Skelleftea 1989. Wer sich für Karpows auf den ersten Blick unspektakuläre, aber meisterhaft präzise und gnadenlos effektive Technik begeistern kann, bekommt sie von Romero ausgiebig vorgeführt und erläutert:

 










Karpov,A (2755) - Seirawan,Y (2585) [D20]
World Cup Skelleftea, 08.1989
[Romero]

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 e5 4.Sf3 Lb4+!? 5.Ld2 Lxd2+ 6.Dxd2 exd4 7.Dxd4 Dxd4 [ besser 7...Sf6! ] 8.Sxd4 Ld7 9.Lxc4 Sc6 10.Sxc6 Lxc6 11.Sc3 Td8 12.Ke2 Sf6 13.f3 Ke7 [ 13...Td4! 14.Lb3 Ke7 15.Thd1 Thd8 weil jetzt 16.Sd5+? nicht funktioniert wegen 16...Sxd5 17.Txd4 Sf4+ 18.Ke3 Sxg2+ ] 14.Thd1 a5 15.Tac1 Txd1 16.Txd1 Tb8 17.Ke3 g6 18.Lb3 Ta8 19.Td4 Sd7 20.Ld5!! hochgelobte undogmatische Technik 20...Ta6 [ 20...Sb6!? 21.Lxc6 bxc6 22.Sa4 Sxa4 ( 22...Sd7!? ) 23.Txa4 Tb8 24.b3 Tb5 lautet Romeros Verbesserungs-Vorschlag mit den Möglichkeiten 25.Tc4 ( nach 25.f4 f6 26.g4 h5 27.h3 hxg4 28.hxg4 reicht der weiße Vorteil vielleicht nicht zum Gewinn 28...g5 29.f5 Tc5! 30.Tc4?! Txc4 31.bxc4 Kd6 = z.B. das kuriose 32.a4 Ke5 33.c5 patt!) 25...Kd6 26.f4 f6 27.g4 h5! 28.h3 hxg4 29.hxg4 g5? ( 29...Tb8? 30.e5+! fxe5 31.fxe5+ Kd5 32.Kf4 ) 30.e5+! fxe5 31.fxg5 ] 21.f4 f6 22.h4 h6 23.g3 Lxd5 24.Sxd5+ Kd8 25.Sc3! gegen die Entlastung Td6 25...Tb6 26.Td2 c6 27.h5! g5 28.Kf3 Ke7 29.Se2! c5 30.Sc3 Td6 31.Td5! noch eine Finesse 31...Txd5 [ 31...Ke6 32.Kg4! Txd5 33.exd5+! Kf7 34.Kf5 ] 32.Sxd5+ Ke6 33.Se3 b5 34.Sf5 Sb6 35.Sxh6 Sc4 36.Sf5 Kf7 37.b3 Sd2+ 38.Ke3 Sf1+ Was war jetzt das vorherrschende strategische Thema ?? - Ach ja, Kapitel-Überschrift: "Starkes Zentrum" ! 1-0

 

   Angeordnet sind die Partien in 16 Kapitel, die nach dem jeweils dominierenden strategischen Motiv wie "Isolierter Damenbauer", "Läuferpaar", "Blockade" oder "Positionelles Qualitätsopfer" benannt sind. Teilweise enthalten die Kapitel nur eine oder zwei Partien, so daß die Themen zwar angesprochen, aber mangels Vielfalt keinesfalls umfassend abgehandelt werden. Oft endet die Analyse abrupt mit dem letzten Zug, ohne eine Zusammenfassung zu liefern. Auch sind die Kapitel untereinander textlich wenig verbunden. Die Vermutung drängt sich auf, daß Romero an verschiedenen Stellen teilweise ältere Analysen, die er für sein Magazin oder andere spanische Zeitschriften angefertigt hat, ohne größere neue Überarbeitung oder Ergänzung zusammengestellt, in Kapitel einsortiert und mit kurzen Einleitungen versehen hat. Manche Anmerkungen sind denn auch leicht von der Zeit überholt. Wenn etwa unter "Bauernstruktur" anläßlich des Kandidatenfinales Short - Timman, El Escorial 1993, eine längere Abhandlung zum Thema Offene Spanische Eröffnung gebracht wird, dann reichen die zitierten Referenzpartien auch nur bis zu diesem Jahr. Betrachtet werden nur die Züge 9.Le3 und 9.c3, nicht jedoch 9.Sbd2, das seit dem New Yorker WM-Match Kasparow - Anand 1995 allgemein bevorzugt wird.

   Bedauerlicherweise fehlt wieder einmal jeder Hinweis auf Quellen oder Erstveröffentlichungen. Anscheinend ist Romeros Werk bereits in einer spanischen Ausgabe erschienen, und dem Gambit-Verlag würde sicherlich kein Zacken aus der Krone fallen, dies im Buch auch zu erwähnen. Die letzten vier Kapitel scheinen neueren Datums und enthalten jüngere Partien mit kürzeren, weniger verbal ausgeführten Anmerkungen. Besonders "Die verrückte Welt des Angreifens ohne Regeln" mit zwei kombinatorischen Partien von Schirow und ein Potpourri im Schlußkapitel fallen leicht aus dem Rahmen.

   Trotz der angeführten Kritikpunkte ist "Creative Chess Strategy" sehr empfehlenswert. Betont werden muß, daß Romero sehr intensiv, seriös und vor allem eigenständig analysiert. Er zitiert zwar hin und wieder Vorgänger-Analysen, was bei Klassiker-Partien auch nur richtig und unumgänglich ist, schreibt aber nicht bei anderen ab, sondern hat viel Mühe investiert in seine neuen Untersuchungen und weiterführenden Varianten, die man teilweise nirgendwo anders findet. Die Ausführlichkeit lädt zum Nachspielen, Genießen und eigenen Weiteranalysieren ein und kann auch gut als Grundlage für anspruchsvolles Training genutzt werden.

   Daß trotz großen Umfangs und Länge Vollständigkeit unmöglich ist, zeigt folgendes kuriose Beispiel einer ebenso kuriosen Partie, die seinerzeit durch ihr abruptes und ungeklärtes Ende für Diskussions- und Analysestoff sorgte. Es beginnt mit einer nie erspielten Diagrammstellung und endet mit der Auslassung von Shorts eigenen Analysen aus Informator 57 und dem NewInChess-Magazin 1993/5:

 










Short,N (2655) - Kramnik,V (2685) [B66]
Amsterdam VSB Amsterdam, 1993
[Romero]

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 d6 6.Lg5 e6 7.Dd2 a6 8.0-0-0 h6 9.Le3 Ld7 10.f4 b5 11.Ld3 Le7 12.Kb1 0-0 13.Thf1 Sg4 14.Sxc6 Lxc6 15.Lg1 Sf6 16.e5 dxe5 17.fxe5 Sd7 18.Ld4 Lc5 19.Le4 Dc7 20.Lxc6 Dxc6 21.Tf4 Dc7 22.Lxc5 Sxc5 23.Dd6 Tac8 [ 23...Tfc8 24.Dxc7 Txc7 25.Tfd4 Taa7!? mit der Möglichkeit Sd7 schwebte Romero wohl vor] 24.Dxc7 Txc7 25.Tfd4 Das Buch beginnt erst hier mit einem Diagramm, das fälschlicherweise den Tf8 auf a8 zeigt ! Dadurch sind die Ausführungen über das Manöver Ta8-a7 natürlich gegenstandslos ... 25...Tb8? 26.b4! Sb7 27.Se4 Kf8 28.Kb2 Ke7 29.a3 Td8 30.Txd8 Sxd8 31.Sc5 a5 32.c4! axb4 33.axb4 bxc4 34.Kc3 Sc6?! 35.Te1 Sa7 36.Kxc4 Kd8 37.Td1+! [ Shorts Vorschlag 37.b5! Sc8 38.Ta1 Sb6+ 39.Kd4 nebst Ta6 bleibt unerwähnt] 37...Ke7 38.b5 Sc8 39.Kb4 Sb6?! 40.Td6! Sd5+ 41.Txd5 Kramnik gab unerwartet und voreilig auf. Short war sich nicht sicher über den Gewinnweg. [ Bei Romeros langen Analysen nach 41.Txd5 exd5 42.b6 Tc8 43.b7! Tb8 44.Kb5 ( 44.Kc3? ) wird Shorts zähes 44...Td8! ignoriert ( nur 44...Txb7+ ; 44...d4 ; 44...f6 ; 44...f5!? werden ausgiebig betrachtet) ] 1-0

 

Fazit: Mit "Creative Chess Strategy" erhält man eine gute Auswahl an teilweise weniger bekannten und sehr ausführlich und eigenständig analysierten Großmeister-Partien, und der Leser erfährt viel Interessantes und Wissenswertes aus allen Partiephasen. Romeros umfangreiches Werk ist jedoch kein systematisch strukturiertes Lehrbuch über Strategie und Mittelspiel-Elemente, sondern durch den technischen Charakter der Stellungen und Varianten eher ein anspruchsvolles Arbeitsbuch für fortgeschrittene Turnier-Spieler ab DWZ 2000 aufwärts.

 

 

das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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