Der Drachen speit wieder kräftig Fünf Neuerscheinungen zum angriffsorientierten Sizilianer Rezension von Harald Fietz, August 2005 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Wer mit Schach beginnt, soll 1.e4 spielen, um das taktische Verständnis zu schulen. Wer sich später ein Repertoire aufbaut, wird vielleicht nie der sizilianischen Drachenvariante begegnen, ihren Hauptvarianten mit Weiß möglicherweise ausweichen oder zum glühenden Anhänger dieser Spielweise. Allen, die nicht der dritten Gruppe angehören, empfiehlt Dorian Rogozenko sich irgendwann mit den Hauptvarianten zu befassen, denn dies wird - hier aber beim Fortgeschrittenen - das Spielverständnis weiten. Sein Fazit: Der Drachen ist mehr als eine Eröffnung, es ist "ein aggressiver Schachstil, eine Art, Schach zu sehen und zu verstehen." Alleine die Reihe der Weltklassespieler, die den Drachen zumindest für eine gewisse Periode spielten, ist lang und die prominentesten "Kronzeugen" hatten sicher die von Rogozenko angemerkten Motive: Allein Kortschnoi und Kasparow unter den Schachlegenden bzw. Shirov und Topalov unter den aktuellen Top-Ten-Spielern sollten glaubwürdig genug sein. Für alle anderen - vom Neueinsteiger bis zum Experten - gibt es gleich fünf Neuerscheinungen. Aber keineswegs die Machart á la "Gewinnen mit dem Drachen" oder "Der komplette Drache"; denn die heutige Autorengeneration neigt weniger zum oberflächlichen Schnellschuss oder überfrachteter Informationssammlung. Es finden sich ungleich mehr wohlabgewogene Ausführungen über Zusammenhänge zwischen taktischen und strategischen Strukturen, Charakterisierungen von Variantentypen und ihrer eröffnungstheoretischen Entwicklung und Empfehlungen zum Wert von Varianten. Angesichts des qualitativen Luxus sollen hier die wichtigsten Merkmale bezüglich Umfang, Präsentationsart und Variantentiefe als Orientierungshilfe skizziert werden.
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ChessBase 2004 |
ChessBase 2004 |
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Bewertung des Rezensenten: | Bewertung des Rezensenten: |
Der in Bukarest beheimatete Rogozenko fiel bereits mit CDs über die Sweschnikow-Variante und Slawisch bzw. einem Buch über Anti-Sizilianer als gründlicher, pointierter Schreiber auf. Da er selbst häufig hinter den schwarzen Steinen sitzt, ist er prädestiniert, eine Gesamtschau vorzulegen: Teil 1 behandelt die Enzyklopädieschlüssel B70-B74, d.h. in 28 Einführungskapiteln und anhand von über 24000 Partien kommt alles unter, was nicht zum Drachen-typischen Aufbau mit entgegengesetzten Rochaden gehört. Über 400 Partien sind kommentiert (doch teilweise aus früheren ChessBase-Magazinen bekannt), davon knapp 120 von Rogozenko mit kurzen Kommentaren und Varianten versehen. Diese - wie auch die umfangreichere Silberscheibe zu B75-B79 - profitieren vor allem durch die Verlinkung von Einführungen und Partien; hier erschließen sich schnell Zusammenhänge und vor allen Übergänge zwischen Zugfolgen. Teil 2 widmet sich dem "Drachenherzblut", denn die theorielastigen Hauptvarianten bekommen 95 Einführungen und über 26000 Partien. Dazu gibt es jeweils eine Training-Datei mit den Spielweisen aus weißer bzw. schwarzer Sicht, deutsch- bzw. englischsprachige Media-Player-Interviews und Videoclips mit Ausführungen vom Experten Alexander Chalifman. Über 700 Partien sind kommentiert (davon über 500 von Rogozenko). Rogozenkos Gesamtschau eignete sich gerade für Schachfreunde, die eher mit Computer als mit Büchern arbeiten, als Grundstock, um später Neuigkeiten aus anderen Quellen einzupflegen. Sein GM-Kollege Mikhail Golubew, ebenfalls ein bekennender und praktizierende Drachenfan, meint sogar, dass er sonst neue Analyse in seinen selbstgestrickten Datenbestand einfügt, aber Rogozenkos Arbeit wegen ihrer Güte als Extradatei hält!
Quality Chess Books 2004; 23,99 Euro
ISBN 91-975243-3-6
288 Seiten
Bewertung des Rezensenten:
Eine andere Art des Orientierungswissens bietet Golubew: Im Unterschied zu den 1999 erschienenen Handweisungen des Ukrainers ("Easy Guide to the Dragon", Everyman) geht es nicht um den Grobüberblick zu allen Systemen, sondern anhand von sechs super-ausführlich kommentierten Partien (auf 47 Seiten!) über die neusten Trends gegen die Hauptsysteme. Der 2004 gegründete schwedisch-schottische Verlag Quality Chess machte zehn Autoren zur Aufgabe, Weißoptionen gegen "ihre" Lieblingssizlianer "einzuschätzen". Eine interessante Gratwanderung zwischen "Ausplaudern von Berufsgeheimnissen" und neuwertigen Resümees, die Golubew u.a. mit vielen Gegenüberstellung von teilweise gegensätzlichen Kollegenaussagen und einigen schach-philosophischen Einsichten löst: "... der Drache ist strategisch einfach, aber taktisch sehr kompliziert. Das Was ist genau definiert. Nur das Wie bleibt die wirkliche Frage. Unter solchen Umständen hat ein ambitionierte Amateur eine echte Chance einen faulen Profi zu schlagen, was von Zeit zu Zeit passiert." (S.43) Golubew ist vor allem für diese Klientel ein Muss - gerade wegen seiner Positionierungen jenseits von Zug 20!
Gambit 2004; 24,95 Euro
ISBN 1-904600-17
256 Seiten
Bewertung des Rezensenten:
Es geht also primär um die Dynamik zwischen strategischen und taktischen Mitteln, wie auch die Unterzeile von Edward Dearings Monumentalwerk "Play the Dragon" auf großformatigen 256 Seiten signalisiert. Wiederum hat der Gambit-Verlag einem Neuling eine Chance gegeben und der 24-jährige IM, der bereits in seiner Jugend als Heißsporn "Eddie" in der schottischen Szene bekannt war, meisterte seine Aufgabe mit Bravour. In 21 Kapitel gliedert der Jura-Absolventen von der Cambridge Universität den Drachen-Besitzstand: 17 Kapitel auf 186 Seiten gehören allein dem Jugoslawischen Angriff und Varianten mit entgegengesetzten Rochaden. Was bei Dearing besticht, ist schon auf den 15 Seiten Einführung markant: Es ist das ausführliche Pro-und-Contra-Argumentieren (vielleicht eine Eigenart guter Juristen?!), was Variantenstränge trefflich charakterisiert (z.B. wo positionelles bzw. prophylaktisches Vorgehen angezeigt ist, wo Bauern genommen werden [müssen], oder wo sich die Zentrumsspannung auflöst). Innerhalb der Varianten, die bisweilen erst zwischen dem 15 und 20 Zug ihren Analyseausgangpunkt nehmen, beschreibt Dearing häufig Stellungsmerkmale bzw. zeigt Spieloptionen (inklusive der jüngeren Aufs-und-Abs im weltweiten Turnieralltag). Es scheint nicht übertrieben, diese sinnfällige, vorbildlich übersichtliche Arbeit zur neuen "Drachen-Bibel" zu erklären - gleichermaßen geeignet für Neueinsteiger und Langzeitjünger!
Chessgate
2004; 17,79 Euro
ISBN 3-935748-06-X
154 Seiten
Bewertung des Rezensenten:
Eine eher seltene Variante, das Financhetto mit 6.g3, kommt bei Dearing auf neun Seiten unter; seine Urteile lauten in der Bandbreite "ausgeglichen" bis "in Ordnung oder leicht besser für Schwarz". Dies hört sich bei FM Thorsten Cmiel anders an: In Ermangelung eines internationalen Namens tituliert er dieses System martialisch als "Der Drachentöter". Nach Meinung des früheren NRW-Oberligaspielers unterschätzen in Hauptvarianten verliebte Experte die Wirkungen: "Für einen Autor sind klar erkennbare Spielentwicklungen leichter zu analysieren und zu bewerten. Außerdem ist Chris Ward (Anmerkung: der in den 90er Jahre einige Drachenbücher vorlegte) ein eingefleischter Anwender des Drachen und empfindet die entstehenden Stellungen oft schlicht als langweilig." (S.2) Cmiel kapriziert sich auf drei Argumente: 1. die positionelle Rechtfertigung, d.h. auch der weiße Läufer hat seine Reichweite, der König steht nach der kurzen Rochade sicher, 2. die psychologische Rechtfertigung, d.h. die sichere Stellung erzeugt beim üblicherweise aggressiv gestimmten Nachziehende ein trügerisches Gefühl der vermeintlichen Harmlosigkeit - gemischt mit der Frust-Erkenntnis, dass stundenlanges Variantenpauken diesmal wenig bringt, und 3. die vorbereitungstaktische Rechtfertigung, d.h. es gibt weniger spielentscheidende Neuerungen, sondern es reicht meist ein Mix aus gutem Stellungsverständnis und Kenntnissen der Hauptmotive und typischer Figurenopfer. Auf Letztere konzentriert sich die Darbietung auf 154 Seiten: 23 vollständige auf 40 Seiten verdaubar kommentierte Partien und 60 Partiefragmente als Aufgabe mit Lösungserklärungen, die vor allem auf Stellungsbeschreibungen abstellen, wirken allerdings wie eine ausgedruckte Mini-Datenbank. Drei Seiten der Aufmarschpläne jeder Seite bilanzieren den Inhalt, der in elektronischer Form besser aufgehoben wäre. Zwar gibt es ein Personen- und ein Partienverzeichnis, aber gerade ein Varianten-Index hätte dringend Not getan. So bleibt eine Knochenarbeit, alles durchzuarbeiten und sich aus den versprengten Schlussfolgerungen ein eigenes Urteil zu bilden - ohne Variantengliederung kommen erstaunlich wenig generelle Variantenbewertungen vor. Wem Eröffnungen ohne forcierte Varianten liegen, sollte sich diese Spielweise anschauen - allerdings wird in den meisten Fällen zunächst das Basiswissen aus den Werken von Rogozenko (drei Abschnitte) und Dearing reichen!
Die große Mehrheit der Drachenfreunde interessiert jedoch mehr, wie man sich im Dickicht der Hauptvarianten zurechtfindet. Besonderes Augenmerk sollte man bei "großen" Varianten auf die Durchführung von eingefleischten Anwendern legen. Bei der in der letzten Maiwoche 2005 beendeten Russischen Frauenmeisterschaft bekam Natalija Pogonina (Elo 2355) gleich dreimal ihre Leib- und Magenvariante, der die 20-Jährige aus Saratow seit sieben Jahren die Treue hält, auf das Brett.
Natalija Pogonina - Drachenfans mit Reparaturbedarf! Foto: Harald Fietz
Allerdings saßen auf der anderen Seite zweimal die Favoritinnen, d.h. die spätere Siegerin Alexandra Kosteniuk und die Zweitplazierte Tatjana Kosintewa. Mit Hilfe der "Dschungelführer" Rogozenko, Golubew und Dearing sollen markante Wendepunkte im Lichte der Theorie nachvollzogen werden.
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Kosintseva,T (2486) - Pogonina,N (2355) [B76]
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die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 11/2005, S.
298/299
die beiden CDs stellte
ChessBase Mexikoring
35, 22297 Hamburg, zur Verfügung
die Bücher von Dearing bzw. Aagaard/Shaw stellte
Schach Niggemann,
Industrie-Str. 10, 46359 Heiden, zur Verfügung
das Cmiel-Buch stellte
Chessgate
AG, Caudebec-Ring 36 b, 41334 Nettetal, zur Verfügung