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Ein Strauss unverwelkbarer Schacherinnerungen
Harald Keilhack: Schach-Höhepunkte
Rezension von Harald Fietz, August 2004
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Kania-Verlag 2004
ISBN 3-931192-24-5
320 Seiten; 19,80 Euro
Bewertung des Rezensenten:
Letztes Jahr legte Martin Breutigam
eine Sechs-Jahre-Schau seiner Schachkolumnen vor, nun zieht Harald Keilhack
mit einem Zusatzjahr nach. Und was für
Breutigam gilt, trifft auch auf Keilhacks
Schachspalten aus der Stuttgarter Zeitung zu: In der Zusammenstellung
registrieren die wöchentlichen Betrachtungen seismographisch die
Erschütterungen der kleinen, weiten Schachwelt um die Jahrhundertwende
- man staunt immer wieder, was alles in dieser kurzen Zeitspanne einem Wandel
unterlag. 320 Seiten messen EKG-gleich die feinen und groben Strömungen
der lokalen und globalen Schachinfarkte, wobei Keilhack nicht chronologisch,
sondern thematisch diagnostiziert: "Das Außergewöhnliche am
Schachbrett", "Randgruppen am Schachbrett", "Am Puls des Weltschachs" und
"Spektakuläres zum Schluss" lauten die vier Oberkapitel, die eine
Gratwanderung zwischen skurriler Kurzweil und faktenreicher Berichterstattung
präsentieren. Wo Breutigam einen feuilletonistischen Stil bevorzugt,
schreibt Keilhack eher im Jargon des Schachkorrespondenten. Viele Fakten,
Chronologien und Resultate werden als Tabellen und Kästen eingestreut.
Reizvolle Spezialgebiete (z.B. Unterverwandlungen, Königsmärsche,
Studien und Probleme) oder Zeittrends (z.B. die "Dinos", d.h. die Senioren,
Schnell- und Blindschach, Beton-Eröffnungssysteme und innovative Ideen
mit g2-g4-Keil) bekommen ihren Platz. Ganze Partien und Stellungsdiagramme
halten sich ebenso wie Unterhaltung und Didaktik die Waage.
Ein Extralob muss Frank Stiefel
gezollt werden. Er schafft es, mit seinen Karikaturen in besonderer Weise
einzufangen, was Henri Cartier-Bresson als Ideal für seine
Schwarz-Weiß-Bilder mit dem "entscheidenden Augenblick" bezeichnete.
Die französische Fotoreporter-Legende betrachtet seine Aufnahmen von
Menschen und Ereignissen als "beschleunigte Zeichnungen" - wir sehen den
Moment, aber verstehen die Dynamik der Zeit. Solche punktgenauen Interpretationen
stechen bei einer Reihe Stiefel'scher Motive hervor. Ein Bild haftet mehr
im Gedächtnis als hundert Varianten. So werden Phänomene wie
Mensch-Computer-Vergleiche, die Wunderkinderschwemme, Schachpolitik und viele
Schachpersönlichkeiten ironisch auf die Schippe genommen.
Früh übt sich, was ein Schachmeister werden will! Die
Übertreibung spricht für die Wirklichkeit in Frank Stiefels Karikatur
über die Schachwunderkinder.
Wer leichte Revuen ohne Seichtheiten
mag, wird sich - wie schon bei Breutigam - schnell festlesen. Am Ende mag
das Gefühl beschleichen, dass es sieben fette Jahre mit allen Höhen
und Tiefen waren, doch ungewiss ist, ob nun sieben magere Jahre folgen. Will
man angesichts der Zukunftsperspektiven nicht leiden, bleibt mit diesen kurzen
Abstechern, die nahe Vergangenheit zu genießen. In solidem
Preis-Leistungsverhältnis erhält der vielfältige Zerstreuung
suchende Schachfreund ein mit Fadenbindung und feinem Papier auch handwerklich
ansprechendes Werk. Neben dem Vergnügen am heimischen Brett zugleich
ein heißer Tipp für das Reisegepäck.
Außergewöhnliches am Schachbrett: Das Patt
Es folgen drei Partien mit den
Original-Kommentaren aus dem Buch:
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Agopov,M (2409) - Sommerbauer,N (2401) [B85]
EU-chT (Men) Batumi (4.3), 02.12.1999
Manchmal muss man den Leser - vor dem Hauptgericht mit Damenopfer - ein wenig
in die Vorgeschichte einweihen. Ein guter Witz beginnt ja auch nicht gleich
mit der Pointe! Hier besteht die Vorgeschichte u.a. darin, dass die schwarze
Dame - quasi um Harmlosigkeit und das Fehlen jedweder böser Absicht
vorzutäuschen - sich in der Phase vor der ersten Diagrammstellung 13
Züge lang im Schmollwinkel auf a8 verkrochen hat:
1.e4
c5
2.Sf3
e6
3.d4
cxd4
4.Sxd4
Sc6
5.Sc3
Dc7
6.Le2
a6
7.0-0
Sf6
8.Kh1
Le7
9.Le3
d6
10.f4
0-0
11.a4
Ld7
12.De1
Tad8
13.Dg3
Sxd4
14.Lxd4
Lc6
15.a5
Db8
16.Ld3
Td7
17.e5
Sh5
18.De3
g6
19.Se4
Lxe4
20.Lxe4
d5
21.Ld3
Sg7
22.Tab1
Tc7
23.g4
f5
24.g5
Tfc8
25.b4
Da8
26.Tb3
Se8
27.Tfb1
Tc4
28.b5
Ta4
29.Lb6
Kf7
30.Dd2
Sg7
31.Le2
Se8
32.Ld4
Ta2
33.T3b2
Txb2
34.Txb2
Lc5
35.b6
Tc6
36.Lxc5
Txc5
37.Db4
Tc6
38.Ld3
Dc8
39.Kg2
Sg7
40.Da4
Sh5 Und hier wird,
so allmählich dann, die Pointe eingefädelt: "Weiß roch, nach
der langen 'Klammerei' von Schwarz, endlich seine Chance":
41.Lxa6!
Sxf4+ Versucht,
Verwirrung zu stiften. Nach [
41...bxa6
42.b7 bliebe auch nichts
anderes als 42...Sxf4+
43.Dxf4 (vgl. nächste
Anmerkung).]
42.Kf3?? [ Es
gewann 42.Dxf4
bxa6
43.b7
Db8 ( bzw.
43...Txc2+
44.Kf1!
Tc1+
45.Ke2
Tc2+
46.Kd1! )
44.Db4! , und Schwarz
ist hilflos]
42...Tc3+
43.Kxf4
Th3! Der König
ist jetzt auf der vierten Reihe abgeschnitten. Es droht ...Th4+, und falls
die weiße Dame weicht, entscheidet ...Dc5. So bleibt nur:
44.Lxb7
Dd8!!
45.Dc6 Und nun endlich,
nach allmählicher Steigerung der Dramatik, die langersehnte Pointe:
45...Dxg5+ Dies
war übrigens gar nicht mehr zu verhindern.
46.Kxg5
h6+
47.Kf4
g5# 0-1 |
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Halkias,S (2482) - Anastasian,A (2606) [E21]
Yerevan zt 1.5 (6), 12.06.2000
Die Pattrettung aus Armenien: Bei der folgenden monumentalen Schlacht ist
der Schlussakkord mit Pattrettung eigentlich nur ein kleiner Witz, vergleicht
man mit dem vorangegangenen Geschehen. Diese Partie - eine der originellsten,
die ich je gesehen habe - wurde meines Wissens sonst nirgendwo
veröffentlicht, sie könnte ebenso gut im vorigen Kapitel über
wanderfreudige Majestäten stehen. Aus Platzgründen fiel die Darstellung
im ursprünglichen Zeitungsartikel mehr als knapp aus. Hier seien nun
erstmals alle Pointen ausführlich in Wort und Bild dargestellt:
1.d4
Sf6
2.c4
e6
3.Sf3
b6
4.Sc3
Lb4
5.Lg5
h6
6.Lh4
Lxc3+
7.bxc3
d6
8.Sd2
Lb7
9.f3
c5
10.e4
Sc6
11.d5
Se5
12.Le2
Sg6
13.Lf2
0-0
14.g3
Te8
15.0-0
Dd7
16.Te1
La6
17.Kg2
Te7
18.Sf1
Tae8
19.Se3
h5
20.a4
Se5
21.h4
g6
22.Dc2
Kh7
23.Ta2
exd5
24.cxd5
Lxe2
25.Dxe2
Sg8
26.c4
Sh6
27.Dc2
Kg8
28.a5
bxa5
29.Txa5 Mehrfach
wechselt das Schlachtenglück bis zum Schlussakkord mit Pattrettung:
29...Sxf3!?
30.Kxf3
Dh3
31.Ta2
Sg4
32.Sxg4
hxg4+
33.Kf4?! [
Wahrscheinlich hätte er in die andere Richtung fliehen sollen:
33.Ke2
Txe4+
34.Kd1 ]
33...Te5
34.Txa7
Dg2
35.Ta3
Kh7
36.Te2
f5? Verfrüht!
[ 36...Kh6 mit der Drohung
...f7-f5 gewinnt. Weiß ist hilflos, da er an der Verteidigung von e4
klebt. Auf 37.Tae3
("Überdeckung") folgt ( Auf
37.Kxg4 gewinnt
natürlich
37...Txe4+ )
37...Txe4+!
38.Dxe4
Txe4+
39.Txe4
Df3# ]
37.Kg5!
fxe4+ Anders kommt
Schwarz dem König nicht bei, es fehlt halt ein Läufer oder Springer.
Darüber hinaus drohte Weiß selbst mit Ta7+, z.B. in Antwort auf
[ 37...Dh3
38.Ta7+
Kg8
39.Kxg6 , und Schwarz
ist gegen die Drohung Da4-d7 reichlich hilflos.]
38.Kxg4
e3
39.Ta7+ [ Zwar scheitert
39.Texe3
Txe3 an der ungedeckten
Dc2, doch; 39.Lxe3
Te4+
40.Lf4 eröffnet weitere
wundersame Möglichkeiten:
40...Txf4+! (
40...Txe2? scheitert
an 41.Ta7+
Kh8 ( bzw.
41...T8e7
42.Txe7+ , und die
Dg2 fällt.)
42.Dxg6 ; Möglich
ist 40...Dxe2+ , aber
das Endspiel mit der Minusqualität nach
41.Dxe2
Txe2
42.Kg5!? ist eher für
Weiß aussichtsreich.)
41.Kg5!! ( nach
41.Kxf4
Txe2 erhält
Schwarz den entscheidenden Angriff - sein König kann jetzt auf Ta7+
bequem nach h6 ausweichen.)
41...Tg4+ (
möglich ist auch
41...Te5+
42.Txe5
Dxc2 mit ungefärem
Ausgleich. ( oder zunächst
42...Tg4+
43.Kxg4
Dxc2 ) )
42.Kxg4
Txe2
43.Ta7+
Kh6
44.Dc1+ dieses Schachgebot
ist der Unterschied zur Variante 41.K:f4 T:e1
44...Td2
45.Tf7 (
45.Ta2??
De4+
46.Kh3
Df5+
47.g4
Df3# )
45...De2+
46.Tf3 , und in dieser
aparten Variante endet das Spiel am wahrscheinlichsten remis. Zurück
zum Haupttext, wo sich die Lage nach ...]
39...T8e7
40.Txe7+
Txe7
41.Lxe3
Te4+
42.Lf4
Txe2 ... scheinbar
etwas entspannt hatte. [ Das Endspiel nach
42...Dxe2+
43.Dxe2
Txe2
44.Lxd6
Te4+
45.Kg5
Txc4
46.Kf6 (der weiße
König unterstützt den Freibauern) endet wohl unentschieden - das
schien dem Schwarzen nicht genug.]
43.Db1
Te7
44.Lxd6
Te4+ Zeigt noch keine
Reue! Mit [ 44...De4+
45.Dxe4
Txe4+
46.Kg5 könnte er
noch einmal genau dieselbe Stellung wie in der letzten Anmerkung
herbeiführen.]
45.Kg5
Dd2+?! [ Besser
war 45...Df3 ]
46.Lf4
De2?! [ Hier war
es höchste Zeit, sich mit
46...Dd4 ums Remis zu
bemühen, z.B. 47.d6
Te5+
48.Lxe5
Dxe5+ ]
47.Kf6! Nun wird
der weiße König vom Gejagten zum Jäger. Der Anziehende sollte
nun gewinnen. Indes ist kaum glaubhaft, daß nach all den Geschehnissen
zuvor die größte Pointe noch bevorsteht:
47...Te7
48.Dxg6+
Kh8
49.Dh6+
Kg8
50.Dg6+?! [ Der
sauberste Abschluss war
50.Dg5+!
Kh7 ( oder
50...Kh8
51.Le5! )
51.Ld6
Ta7
52.Dg6+
Kh8
53.Le5 , und das Abzugsschach
des Königs entscheidet.]
50...Kh8
51.Ld6? Und nun
das Pattfinale:
51...Tf7+
52.Dxf7 [ oder
52.Kxf7
De7+ ]
52...De5+!
53.Kg6
Dg5+! Nun muss
Weiß schlagen: Patt. 1/2-1/2 |
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Solodovnichenko,Y (2436) - Filippov,V (2605) [B33]
Bydgoszcz Bank Pocztowy op (4), 15.07.1999
In einer unschuldigen Mittelspielstellung wie der nach dem 30. Zug
auf ein Patt auszugehen, ist schon ein besonders dreistes Stück:
1.e4
c5
2.Sf3
e6
3.d4
cxd4
4.Sxd4
Sf6
5.Sc3
Sc6
6.Sdb5
d6
7.Lf4
e5
8.Lg5
a6
9.Sa3
b5
10.Lxf6
gxf6
11.Sd5
f5
12.exf5
Lxf5
13.c3
Lg7
14.Sc2
Le6
15.Sce3
Se7
16.Sxe7
Dxe7
17.g3
d5
18.Lg2 Der Auftakt
wird hier eigentlich nur ge-zeigt, um zu demonstrieren, daß es sich
um einen stinknormalen Sweschnikow-Sizilianer handelt - keinesfalls also
etwas Abartig-Konstruiertes. Kritisch ist hier wohl [
18.Sxd5
Db7
19.c4 , Golubovic - Doric,
Budapest 1995. Auch 18.Lg2 wurde schon gespielt, etwa im 20. Zug endet die
Theorie mit der Einschätzung, dass Schwarz schönes Spiel hat.]
18...Td8
19.0-0
0-0
20.De2
f5
21.Tfd1
e4
22.Sc2
f4
23.f3
Le5
24.fxe4
fxg3
25.Dh5
gxh2+
26.Kh1
Dg7
27.Se3
dxe4
28.Lxe4
Lf4
29.Txd8
Txd8
30.Sg2
Lc7 Der Weiße
ist überspielt. Nach den Bauern vom Königsflügel "verschenkt"
er jetzt auch noch die des Damenflügels:
31.Te1
Lxa2
32.b3!!? Wirkte Te1
noch halbwegs vernünftig, so hätte Schwarz hier stutzig werden
können.
32...Lxb3
33.c4!!?
33...Lxc4? [ Richtig
soll hier 33...Kh8 gewesen
sein. Doch nach 34.Lxh7!
Ld1! (
34...Dxh7? , so
35.Te8+
Txe8
36.Dxe8+ mit
Dauerschach.)
35.Txd1
Txd1+
36.Dxd1
Dxh7
37.cxb5
axb5
38.Da1+ behält
Weiß Remischancen, z.B. im Hinblick auf den "falschen Läufer"
bei Schwarz, der zudem erst einmal den Schachgeboten entkommen müsste.;
Oder 33...Tf8!?
34.cxb5 - der
Damenflügel ist beinahe liquidiert; Schwarz behält Vorteil, aber
keinen klaren Gewinn. Es sieht so aus, als ob Weiß mit seinem amokartigen
Fallenspiel auch bei objektiver Sichtweise kaum etwas verdorben hat. ]
34.Ld5+!! Die
Pattfalle ist zugeschnappt! Der Rest ist erzwungen
34...Lxd5 [
34...Txd5 ändert
nichts wegen 35.Te8+
Df8
36.Txf8+ ( auch
36.Dg4+
Kf7
37.De6+
Kg7 =)
36...Kxf8
37.Dxd5! ; und
34...Kh8?
35.Te8+ würde gar
verlieren.] 35.Te8+
Txe8
36.Dxe8+
Df8
37.Dxf8+
Kxf8 Ein Spieler
mit Elo über 2600 im Mittelspiel(!) in die Pattfalle gelockt - fast
zu schön, um wahr zu sein! 1/2-1/2 |
Eine zweite Meinung: Rezension von Veronika
Kind.
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 14 / 2004, S.
394
das Buch stellte der
Schachverlag Kania,
Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur
Verfügung
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