Im Windschatten der Großmeister Frank Zeller: Einblicke in die Meisterpraxis Rezension von Harald Fietz, März 2005 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Schachverlag
Kania
2004
ISBN 3-931192-27-X
144 Seiten; 14,80 Euro
Bewertung des Rezensenten:
Mit einem manches vermuten lassenden Titel will Frank Zeller anhand von 29 ausführlich kommentierten eigenen Partien "Einblicke in die Meisterpraxis - Eröffnungsvorbereitung und Psychologie, Angriff und Verteidigung: Fischers 6.Lc4-Sizilianer, Igelstrategien und vieles mehr" vermitteln. Tut es wirklich Not, dass ein IM seine Partiensammlung auf dem ausufernden Schachbuchmarkt feilbietet? Haben nicht andere Autoren schon viel zu Papier gebracht? Solche anfängliche Skepsis verflüchtigt sich nach den 144 Seiten.
In sieben Kapitel unterteilt das Spitzenbrett des Zweiligaaufsteigers SG Schwäbisch Gmünd sein viertes Buch. Nach zwei Eröffnungswerken (ein Bändchen über den sizilianischen Seitenweg 1.e4 c5 2.c3 b6! und ein 300-Seiten-Opus zur sizilianischen Igel-Variante) und einer Turnierschau über das Tübinger Meisterturnier 2001 widmet sich 35-Jährige vorrangig turnierpraktischen Fragen - mit Schwerpunkt auf die drei Eröffnungssysteme, die ihm besonders vertraut sind: der Nimzoindischen Verteidigung, 6.Lc4 gegen die Najdorf-Variante und selbstverständlich "seinem" sizilianischen Igel. Der stachlige Freund bekommt zwei Kapitel mit 23 Seiten, was auch die Besitzer des im Jahr 2000 erschienenen Wälzers als Update freuen wird, während das andere sizilianische Paradestück, die Läufer-c4-Vorliebe Bobby Fischers gegen Najdorf, auf 32 Seiten getrost als kompetente Einführung in dieses angriffsorientierte Abspiel durchgeht, denn es gibt wortreiche Betrachtungen zu den drei schwarzen Hauptantworten nach 6. ...e6 7.Lb3 (7. ...b5, 7. ...Sbd7 und 7. ...Sc6). Daneben beleuchtet ein 25-seitiger, ungewöhnlicher Themenaufriss die strategischen Rollen des Läuferpaares und der Randbauern in verschiedenen Sizilianern, und - weil das Leben eben nicht nur aus Königsbauerneröffnungen besteht - schauen 15 Seiten auf "das göttliche Nimzoindisch". Mit dem Statement: "Die korrekteste Verteidigung gegen 1.d4 ist die Nimzoindische Verteidigung - davon bin ich überzeugt!" lehnt sich Zeller weit aus dem Fenster, berichtet jedoch wohltunend undogmatisch über die Aufs und Abs seiner Begegnungen mit den deutschen Top-Spielern Alexander Graf und Rustem Dautov. Schließlich vermitteln zwei Kapitel unter den Schlagworten "Höhenflüge" und "Tragödien" biographische und schachliche Etappen aus einer Karriere mit fast 20 Jahren Turnierschach. Was macht diese Mischung zu einer erkenntniswerten Lektüre?
Es sind die bedeutenden Kleinigkeiten beim Streben nach dem IM-Titel, aber auch die einsichtsvollen Mühen des Openalltags und das vor allem eröffnungstheoretische Ringen nach dem eigenen Stil, die für den gewöhnlichen Clubspieler und den regelmäßigen Openteilnehmer hilfreiche Tipps liefern. Diese werden nicht in Lehrbuchform herausgefiltert, sondern in die erzählerisch präsentierten Partien eingewoben. Marker und Rotstift sind gefragt! Das Themenspektrum summiert u.a.:
Psychologische Aspekte: wie setzt man selbstgesteckte Ziele und Motivationen, in welcher Lage befindet sich der (bessere) Gegner, was lässt sich aus Reaktionen nach unerwarteten Partiewendungen schließen, wie verkraftet man Verlustpartien bzw. Stagnation bei den Ergebnissen usw.;
Arbeit vor und nach der Partie: warum gefällt eine bestimmte Eröffnung, in welche Richtung ist am Eröffnungsrepertoire zu feilen, was lässt sich nicht mit Computern entdecken, was bewegt einen dazu, eine Variante ad acta zu legen usw.;
Innenleben während einer Partie: wo ist Intuition, wo ist Berechnung gefordert, was verleitet zu Fehleinschätzungen, wie viel Kreativität, d.h. neue Wege, kam man - vor allem in der Eröffnung - eingehen, wo und warum verläuft der Denkprozess zu automatisiert usw.
Zu Illustration dient eine frühe Produktion, die sehr reduziert wiedergeben wird (im Buch sind es fast fünf Seiten!). Alle Zeichen hinter den Zügen lassen kapriolenreiche Metamorphosen erahnen.
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F. Zeller - S. Videki
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Insgesamt puzzeln Zellers Revuen - bei gutem Preis-Leistungsverhältnis - viel Wissenswertes rund um den geliebten Schachalltag zusammen - die Anhänger der drei Eröffnungssysteme kommen besonders auf ihr Vergnügen.
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 24 / 2004, S.
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das Buch stellte der
Schachverlag Kania,
Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur
Verfügung