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Schach-Taktik für Anfänger

Yasser Seirawan: Winning Chess Tactics

von Robert Miklos, August 2003

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Yasser Seirawan: Winning Chess Tactics

Everyman Chess 2003
ISBN 1-85744-333-0; 255 Seiten; etwa 20$
Sprache: Intermediate Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3,5 aus 5

 

   Es gibt mittlerweile fünf Bücher aus der Winning-Serie von Yasser Seirawan, das vorliegende handelt von der Taktik, dem wohl wichtigsten Bereich des Schachs. Super-Großmeister Seirawan (beste Elo im Jahre 1999 mit 2653, aktuell 2626) war in letzter Zeit weniger wegen seinen schachlichen Leistungen im Gespräch sondern hauptsächlich aufgrund seiner Bemühungen um die Wiedervereinigung in der Schach-Weltmeisterschaft (Prag 2002). Davon ist im Buch keine Rede, die Einleitung erwähnt den Preisfonds von vier Millionen Dollar für die Weltmeisterschaft von ... 1993! Bei einem zeitlosen Thema wie der elementaren Schachtaktik ist das egal, ein bisschen mehr Mühe bei der Neuauflage hätte man aber erwarten können. Der in Damaskus geborene Syrer ist auch nicht mehr Editor von "Inside Chess" aus Seattle, diese Zeitschrift ist nämlich mittlerweile eingestellt. Immerhin kann man dadurch viel Erfahrung beim Schreiben von Texten erwarten, genauso wie vom Co-Autor, dem internationalen Meister Jeremy Silman, der laut Vorstellung im Buch Autor von 16 Büchern ist - was eher mit 16+x zu übersetzen wäre, die Zahl 16 könnte ja bis zu 10 Jahre alt sein ;-) Die Aufgabenteilung der zwei Schachmeister ist nicht näher erklärt, bei den Taktikmotiven wird einiges aus der Sicht von GM Seirawan erklärt, einige Beispiele sind auch aus seinen Partien entnommen. Die Danksagung im Buch geht an die Leute von Microsoft, das Buch ist aber von Everyman Chess (das früher Cadogan Books hieß, alles sehr kompliziert), Microsoft hatte eine frühere Auflage herausgebracht.

   Allerdings scheint der Software-Monopolist weiterhin Einfluss auf das Aussehen des großformatigen Buches zu haben - dieses sieht nämlich in seinen peppigen Farben eher aus wie ein Computerbuch. Die äußere Qualität ist einwandfrei, die Bindung ist belastbar und stabil. Inhaltlich bietet der Band auch einiges: Teil 1 (132 Seiten) stellt die Taktik-Motive mit dazu passenden Testaufgaben vor, Teil 2 (64 Seiten) präsentiert einige der Schachgrößen mit einem kurzen Vorstellungstext, einem Foto und einigen kompletten Partien mit jeweils einem Diagramm bei der entscheidenden Kombination und im dritten Teil (35 Seiten) gibt es die Lösungen der Aufgaben aus Teil eins und einen Abschlusstest in drei Schwierigkeitsstufen; am Ende des Buches befindet sich auch noch ein kleines Schachlexikon auf 14 Seiten, dazu noch, wie von Computerbüchern eben gewohnt, ein Stichwörterverzeichnis. Die Diagramme sind eher mäßig, einige heller, manche dunkler, der verwendete Figurensatz weniger üblich aber die Figuren sind gut zu erkennen, zumindest bei der großen Version. Es gibt aber auch noch kleine (zu kleine) Diagramme, die bei den Tests verwendet werden. Gut wären auch die Brettkoordinaten gewesen, das Zielpublikum der blutigen Anfänger dürfte noch Schwierigkeiten haben, den Zügen bei den wortreichen Erklärungen zu folgen. Von zweifelhafter Qualität sind die Fotos der Schachvorbilder (Aljechin wird als Säufer und Nazi-Sympathisant charakterisiert!?), ansonsten Marschall, Anderssen, Morphy, Spielmann, Tal (dem das Buch gewidmet ist), und natürlich Kasparow.

   Ein Super-Großmeister, der die Grundlagen der Schachtaktik erklärt? Keine Frage, jeder bessere Schachspieler hat diese Grundlagen drauf - sind aber die Erklärungen auch für die Schwächeren verständlich? Wie bereits erwähnt haben die Autoren viel Erfahrung mit Schachtexten. Der Aufbau ist klassisch: Die Taktikmotive werden zuerst sehr ausführlich und auf einfachstem Niveau erklärt (es sind auch einige Anekdoten eingestreut, der Ton ist locker), manchmal mit Beispielen, die gekonnt aufeinander aufbauen, danach gibt es 1-8 Testaufgaben zum Thema, je nach Wichtigkeit. Sehr gut ist die variable Aufgabenstellung: Es heißt  nie stereotyp "Weiß am Zug gewinnt" sondern es gibt ein, zwei Sätze, einmal sogar eine Finte (Weiß könnte im Kapitel über "Spieße" mit einem Läuferspieß einen Läufer gewinnen, mit der Dame aber auch Matt setzen). Öfter mal lautet die Aufgabenstellung "Weiß könnte diesen Zug spielen, ist er gut?", so trainiert man die Vorstellungskraft zusätzlich und besonders praxisnah. Die Lösungen sind leider oft kurz gehalten. Es gibt nicht, wie z.B. bei Colditz ("Schachkombinationen") oder Igney ("Erfolgreich kombinieren") eine kleine Hilfe vor den Lösungen, damit der verzweifelt Suchende zumindest auf die richtige Fährte gelockt wird. Sehr gut wären auch noch Hilfestellungen zu den Gedankengängen bei der Lösungsfindung (von der Erkennung der Schwächen zur Idee und dann zur Kombination) gewesen - nicht jedes Mal ist bereits zu wenig. Es fehlt auch Systematisches zum Königsangriff oder auch z.B. das Thema Fehler oder Zugumstellungen - vielleicht ist das aber auch schon etwas für Fortgeschrittene?

 

Schach-Taktik

Ein Beispiel für eine praxisnahe Aufgabe (Kapitel Gabeln), eine ungefähre Übersetzung: "Hier ist Weiß am Zug. Er möchte gerne den a4-Bauern schlagen. Ist das der beste Zug?"

 

   Der dreiteilige Abschlusstest ist quantitativ mager, wenn man ihn ein paar Mal durch hat (einmal reicht natürlich nicht!) kann man die 35 Seiten vergessen, die Einschätzung der Spielstärke aufgrund von immerhin 45 Kombinationen ist wenig aussagekräftig und beleuchtet nur eine Facette der Spielstärke. Immerhin hat man damit gute Chancen, ein Remis gegen GM Seirawan zu erreichen, falls man vor dem Spiel mit ihm erwähnt, alles gelöst zu haben - natürlich nur, falls der aufstrebende Schachlehrling seinem Meister nicht gleich den ganzen Punkt entführen möchte ;-) Das Stichwortverzeichnis, typisch für Computerliteratur, ist in diesem Fall eher als Gag zu verstehen, ein ausführlicheres Inhaltsverzeichnis wäre hilfreicher.

   Die Zielgruppe sind die Anfänger, die gerade einmal gelernt haben, wie die Figuren ziehen (das wird nicht erklärt, genausowenig andere Grundkenntnisse wie die Spielregeln, die Notation, oder der Wert der Figuren - diese werden aber als bekannt vorausgesetzt), eine obere Grenze sollte mit etwa 1500 DWZ erreicht sein, ein paar der Aufgaben beim dritten Abschlusstest dürften auch für Stärkere eine harte Nuß darstellen. Gute Englischkenntnisse sind nötig. Der Schreibstil, das moderne Aussehen und die Aufgaben, in denen GM Seirawan taktische Kniffe aus seiner Jugendpraxis vorstellt (er war 1979 Juniorenweltmeister) lassen vermuten, dass die beabsichtigte Zielgruppe eher die Englisch sprechende Jugend ist, deshalb dürfte es das Buch auf dem deutschsprachigen Markt schwer haben; das liegt keinesfalls am Buch, es ist im Großen und Ganzen gelungen; Schach-Englisch ist hilfreich z.B. für internationale Schach-Diskussionen wie das Chatten auf Schach-Servern. "Winning Chess Tactics" eignet sich gut als erstes Taktikbuch, ein langer Begleiter dürfte es für ambitionierte Anfänger nicht bleiben (für eine ähnliche Zielgruppe bietet der altmodische Klassiker "Schachkombinationen" von Colditz ein bisschen mehr für weniger Geld).

 

 

Das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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