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Aus der Kriminalgeschichte: Morde, die die Welt bewegten

Mord vor dem Dinner, Teil 4

von FM Wolfgang Gerstner, September 2001

zu den Schachtexten

 

   Der Chief Inspector richtete seinen Blick wieder auf den Tisch und betrachtete das Sammelsurium vor ihm.

"Ich sehe auf diesem Tisch hier" setzte er mit fester Stimme an "Tomaten, Paprika, Äpfel, Orangen, Zwiebeln und eine Knoblauchzehe!"

Jetzt starrte Cathy erst ihn und dann den Tisch an, ehe sie meinte: "Entschuldigen Sie bitte, Sir, ich versuche es Ihnen zu erklären" King schenkte ihr einen dankbaren Blick und folgte ihren Ausführungen, bis er sich endlich die Position vorstellen konnte "Und hier konnte Sir Donald mit diesem Zug" Cathy deutete auf eine der Pflanzen "die Entscheidung zu seinen Gunsten erzwingen."

"Aber er zog etwas anderes?" heuchelte King Verständnis.

"Genau" bestätigte Cathy "stattdessen stellte er mir mit diesem Zug" Eine Tomate wurde in Kings Richtung bewegt "eine leicht zu durchschauende Falle. Meine Antwort" Eine kecke Zwiebel hüpfte elegant über eine Tomate "erzwang diesen Rückzug" Die Orange rollte bis an den Tischrand zurück "woraufhin diese Attacke" Die eben bewegte Zwiebel übersprang eine weitere Tomate "einen Doppelangriff auf diesen Turm" Der Zeigefinder deutete auf eine stolze Paprika "und diesen Bauern" Jetzt wies er auf eine leicht verschrumpelte Tomate "schuf. Soweit alles klar?"

"Ich kann folgen" King wurde bei dieser Lüge nicht einmal rot.

"Hier kam dieser Zug" Die bedrohte Paprika rückte ins Zentrum des Geschehens vor "in der Hoffnung, nach diesem Zug" Cathy deutete mit der rechten Hand auf die vielbeschäftigte Zwiebel und mit der linken Hand auf die verschrumpelte Tomate "mit diesem" Auch die Paprika hatte einiges zu tun und kam jetzt neben der zweiten Orange zum Halten "in Vorteil zu kommen."

"Verstehe" murmelte King.

"Stattdessen" Cathy setzte die Paprika wieder zurück "spielte ich diesen einfachen Zug" Die Orange rollte zur Paprika, zur Zwiebel und neben eine Tomate "Erneut ist ein Doppelangriff auf die gleichen Figuren entstanden. Der Einschlag hier" Die arme, verschrumpelte Tomate "kann nur verhindert werden, indem der Turm sich für den Springer opfert" Cathy schaute den Chief Inspector jetzt an "Dann spielt Schwarz jedoch mit Figur und Bauer weniger, was natürlich völlig hoffnungslos ist. Somit blieb Sir Donald nur die Aufgabe und ..."

In diesem Moment wurde die Tür rechts von King geöffnet und John trat ein. Cathy verstummte sofort, und der Chief Inspector fragte: "Ja, John, was gibt es?"

"Sir" antwortete John "die Herrschaften lassen fragen, wie lange sie noch im Salon bleiben sollen."

"Ich komme sofort" King war froh, auf diese Weise der Köchin entkommen zu können "Richten Sie ihnen aus, daß ich in fünf Minuten im Salon bin."

"Sehr wohl, Sir" verabschiedete sich der Butler mit einer leichten Verbeugung und schloß geräuschlos die Tür hinter sich.

"Wer meinen Sie, Cathy" wandte sich King wieder an die Köchin "hatte einen Grund, Sir Donald zu ermorden?"

"Sir Donald war sehr auf die Ehre seines Namens bedacht" Cathy schluckte leicht "und sah es als Beleidigung dieser Ehre an, wenn man sich nicht mit voller Kraft für den Namen Knight einsetzte."

"Auch auf ... Schachturnieren" vermutete King, Johns Aussage im Hinterkopf.

"Dort ganz besonders" stimmte Cathy zu "Nicht umsonst wählte er seine Angestellten speziell nach diesem Kriterium aus, und seine Nachkommen schickte er durch eine harte Schule bei den stärksten Meistern von Essex."

"Und wenn man schlecht spielte?" bohrte King weiter.

"Dann hatte man mit Sanktionen zu rechnen" gab Cathy zu, wobei ihre Stimme leiser wurde "Meine Vorgängerin wurde deshalb entlassen, und auch John ist nicht der erste Butler in diesem Haus."

"Hatten Sie etwas zu befürchten?" wollte King noch wissen.

"Vor zwei Jahren" Jetzt versank Cathys Stimme zu einem Flüstern, so daß sich King etwas vorbeugte, um alles richtig zu verstehen "enttäuschte ich bei den britischen Damenmeisterschaften mit dem vorletzten Platz. Sir Donald drohte mit unehrenhafter Entlassung für den Fall, daß sich so etwas wiederholen würde" Sie stockte etwas "Seither habe ich an keinem Turnier mehr teilgenommen, weil ich zu große Angst vor dem Versagen habe. Doch dann hat mich Sir Donald von sich aus bei einem Turnier angemeldet. Er meinte, er wolle sehen, ob ich noch geeignet für meine Tätigkeit in diesem Hause sei."

"Ich verstehe" sagte King, schnappte sich sein Notizbuch und stand auf "Dann will ich einmal in den Salon gehen" Mit einer knappen Verbeugung verabschiedete er sich und ließ die etwas verschreckte Cathy mitsamt ihren über den Tisch verstreuten Lebensmitteln in der Küche zurück.

Auf dem Gang stieß er beinahe mit einem uniformierten Beamten zusammen, der gerade die Treppe heruntergeeilt kam.

"Hallo, Edwards" sprach ihn King an "wollen Sie zu mir?"

"Ja, Chief Inspector" erwiderte der Beamte "wir haben oben die Tatwaffe gefunden!"

"Sind Sie sich sicher, Edwards?" fragte King hoffnungsvoll.

"So ziemlich, Chief Inspector" sagte Edwards "Aus dieser Waffe, einer Beretta mit Schalldämpfer, wurde vor kurzer Zeit ein Schuß abgefeuert. Wir fanden sie mitsamt dem Schalldämpfer in einer indischen Vase im oberen Flur. Der Täter benutzte offensichtlich Handschuhe, denn Fingerabdrücke sind keine darauf."

"Eine Vase im Flur" murmelte King vor sich hin.

"Ja" erzählte Edwards weiter "Sie ist fast bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Eine einzige, lange, exotische Blume steckt drin."

"Aha" Kings Hoffnung auf eine leichte Klärung schwanden wieder.

"Die Herkunft der Waffe ist bislang noch ungeklärt" ergänzte Edwards pflichtschuldig, ohne auf die Enttäuschung seines Chefs zu reagieren.

"Nun gut" faßte sich King schnell wieder "Vielen Dank für die Information, Edwards. Jetzt werden wir einmal die übrigen Anwesenden unter die Lupe nehmen."

Während der Beamte wieder die Treppe nach oben in Angriff nahm, ging King den Gang in die entgegengesetzte Richtung, bog nach rechts in den zweiten Gang ab und lief bis zu der Tür, die auf der linken Seite zum Salon führte. Ohne anzuklopfen betrat er den Raum.

Sechs Augenpaare wandten sich ihm zu. Reginald, der ältere Sohn Sir Donalds und gesegnet mit einem atlethischen Körper, schaute allerdings nur kurz von seiner Schachpartie auf, zwirbelte einmal seinen Oberlippenbart und wandte sich dann wieder dem Geschehen auf dem Brett zu. Sein Gegner war unschwer als sein Bruder Harrison auszumachen, der zwar schmächtiger gebaut war, aber ähnliche Gesichtszüge besaß. Auch er ließ sich nicht lange vom Eintreten des Chief Inspectors ablenken.

Mit einem stechenden Blick musterte Major Rook den Beamten von Scotland Yard. Seine Haltung war nicht minder gerade als die des Butlers, seine Erscheinung flößte jedoch augenblicklich Respekt ein, den er sich als Kriegsveteran erworben hatte. Er stand schräg rechts hinter Reginald und hatte offenbar der Schachpartie als interessierter Zuschauer beigewohnt. Hinter ihm, in einem weichen Sessel links neben dem brennenden Kamin, der eine wohltuende Wärme erzeugte, saß Margaret Queen. Sie hatte ein Buch auf ihre Knie gelegt und schaute über ihre Lesebrille neugierig zu King herüber.

Rechts neben dem Kamin befand sich eine Sitzgruppe, bestehend aus einem breiten Sofa und einem weiteren Sessel in der gleichen Art wie derjenige, in welchem Margaret gerade in ihrer Lektüre gestört worden war. Auf der Couch saßen Peter Bishop und Virginia, die Tochter Sir Donalds, und hatten ihr Gespräch unterbrochen. Zu Kings Überraschung trugen alle Anwesenden Abendgarderobe.

"Guten Abend, meine Damen und Herren", begrüßte sie King mit einer leichten Verbeugung. "Ich bin Chief Inspector King von Scotland Yard. Ich bedaure es sehr, daß Sie so lange warten mußten, aber der Anlaß bringt ja für Scotland Yard auch entsprechend viel Arbeit mit sich."

"Das verstehen wir, Chief Inspector", antwortete Reginald, während er über seinem nächsten Zug brütete. "Wie ist denn der Stand Ihrer Bemühungen?"

"Nun, Mr. Knight", wandte sich King an den Sprecher, "wir können den Tathergang ziemlich genau beschreiben, aber Spuren, die den Täter identifizieren würden, haben wir bislang noch nicht gefunden. Die bisherige Befragung des Butlers und der Köchin haben uns ebenfalls nicht entscheidend weitergebracht" Dabei dachte er speziell an die Obst- und Gemüsechoreographie auf dem Küchentisch "Vielleicht stellen Sie mich aber kurz den Damen und Herren vor?"

"Natürlich, Mr. King." Es kostete Reginald sichtbar Überwindung, seine Konzentration vom Brett wegzubewegen. "Meinen Bruder Harrison haben Sie ja schon vorhin kennengelernt. Major Rook", er wies auf den Mann neben ihm, der eine eckige Verbeugung zustandebrachte, "ist ein alter Freund der Familie und für diese Woche als Gast auf Knight-Castle. Hier rechts", seine Hand schwenkte zum Sessel, "sitzt Margaret Queen. Sie arbeitet als freie Schachjournalistin und interessiert sich sehr für das Buch, an dem unser Vater gearbeitet hat."

"Sir Donald hatte mir für morgen ein Interview versprochen", warf Margaret geschickt ein. "Es wäre das absolute Highlight der englischen Schachpresse gewesen."

"Und hier drüben", überging Reginald diese Bemerkung mit einem verzeihenden Lächeln in Richtung der Journalistin, "sitzen unsere Schwester Virginia", sie senkte schüchtern den Blick, "und unser Anwalt Peter Bishop."

"Sir Donalds Anwalt?" fragte King sichtlich überrascht.

"Ja, Mr. King", antwortete dieser. "Sir Donald hatte mich über's Wochende hergebeten, um einige geschäftliche Dinge zu klären."

"Dazu kommen wir später", lenkte King seine Aufmerksamkeit wieder auf Reginald. "Mr. Knight, Ihr Butler erzählte mir, daß Sie als erster Ihren Vater untersuchten, nachdem er ihn in der Bibliothek aufgefunden hatte."

Der Chief Inspector war jetzt nahe an den etwa einen Meter hohen Tisch herangetreten und betrachtete fasziniert das Brett. Es war ebenso wie die Figuren in Handarbeit aus Elfenbein geschnitzt worden, fein verziert und ohne jeden Makel.

"Das ist korrekt", bestätigte Reginald, griff zu einer Pfeife und zog einmal genüßlich daran. "Es war allerdings nicht viel zu tun. Das Loch im Hinterkopf war nicht zu übersehen, das Blut schon getrocknet. Ich fühlte nach seinem Puls, konnte aber keinen entdecken."

"Ja", bekräftigte King, "der Schuß war sofort tödlich. Ein sehr guter Schütze."

"Pah!" fuhr es ungnädig aus Major Rook heraus. "Der Schuß kam doch von der Tür, nicht wahr? Aus drei Metern trifft selbst ein mittelprächtiger Schütze noch leicht ein ruhendes Ziel!"

"Und Sie sind ein guter Schütze, Major?" hakte King sofort nach.

Die Augen des Majors maßen den Sprecher mit einem mitleidigen Blick, ehe er sagte: "Was für eine Frage, Chief Inspector! Ich habe beinahe 40 Jahre in der Armee gedient. Meine Augen sind noch immer so scharf wie damals, als wir in Indien die Rebellen aus 100 Metern aufs Korn nahmen. Ich sage Ihnen, Chief Inspector, das war eine schwierige Situation, wir eingeschlossen und umzingelt von dunkelhäutigen Kämpfern, die nur noch Freiheit oder Tod kannten ..."

"Wir sollten uns auf den heutigen Abend konzentrieren, Major Rook", unterbrach ihn Virginia sanft. "Um die Frage zu beantworten, die Sie zweifellos interessiert: Auch ich hätte auf diese Entfernung sicher getroffen, und für meine Brüder gilt das gleiche."

King schaute überrascht zu der schlanken Frau hinüber, dann wandte er sich an ihren Nachbarn: "Was ist mit Ihnen, Mr. Bishop?"

"Ich bin in einem kleinen schottischen Dorf aufgewachsen", der Anwalt lächelte schief, "in welchem der erfolgreiche Widerstand im 14. Jahrhundert gegen die englische Krone mit einem jährlichen, großen Schützenfest begangen wird. Auch wenn ich die Armbrust besser beherrsche, sollten drei Meter kein Hindernis darstellen."

"Miss Queen?" Konnte er wenigstens einen Verdächtigen streichen?

"Ich bin nur eine leidliche Schützin, Mr. King", bedauerte Margaret, "vielleicht wäre mir ein Treffer gelungen, vielleicht auch nicht."

"Sie scheinen sich sicher zu sein, daß es einer von uns war", bemerkte Harrison und schaute King ruhig ins Gesicht, "nicht wahr?"

"Die Tatwaffe wurde im Obergeschoß gefunden", erläuterte King "Das grenzt den Verdacht in der Tat auf die im Haus Anwesenden ein. Kein Einbrecher hätte sich die Mühe gemacht, erst noch die Waffe im Wasser zu versenken." Er erfaßte die Anwesenden mit einem scharfen Blick und wartete auf eine verräterische Reaktion.

"Im Wasser?" fragte Reginald perplex. "Wie meinen Sie das?"

Sechs fragende Augenpaare ruhten auf dem Chief Inspector, als dieser antwortete: "Der Täter hat Sie oben in die Vase getan."

"Und in welche der drei Vasen?" Virginias Stimme hatte immer noch den gleichen sanften Klang.

"In die indische Vase", gab King zähneknirschend zu und nahm wiederum alle ins Visier. "Er hat einen Schalldämpfer benutzt."

"Wie unehrenhaft!" schnaubte Major Rook. "Früher kämpfte man noch Auge in Auge mit dem Feind, mit echten, ehrlichen Waffen ohne Hintergedanken. Wie damals in Bengalien, als ..."

"Sie haben recht, Mr. King", unterbrach ihn Reginald gekonnt, "alles deutet auf einen der Hausbewohner oder der Gäste hin."

"Fiel Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches in der Bibliothek auf?" fragte der Chief Inspector dankbar.

Als allgemeines Verneinen die Folge war, wechselte King das Thema: "Können Sie mir bitte berichten, wie Sie den heutigen Nachmittag bis zum Auffinden von Sir Donald zugebracht haben?"

"Nun", begann Reginald, "wir drei", er zeigte dabei auf Harrison und Virginia, "sowie Major Rook waren den ganzen Tag hier im Haus. Bei dem Regen wollte niemand einen Spaziergang über die Felder machen. Nach dem Essen spielte ich mit dem Major eine Partie Schach, bis Sir Donald auftauchte. Das war so gegen 14:30 Uhr, nicht wahr?" Major Rook nickte zustimmend. "Unsere Partie endete wenig später, und da ich wußte, daß Sir Donald selbst das Schachbrett haben wollte, ging ich in die Bibliothek und nahm mir ein Buch."

"Vater zog sich nämlich jeden Tag in seine Bibliothek zurück", ergänzte Harrison, "und bestand daruaf, parallel dazu eine Partie Schach zu spielen."

"Das hat mir John schon berichtet", stimmte King zu.

"Nachdem ich eine Weile gelesen hatte", fuhr Reginald fort, "kamen auch Virginia und Harrison in den Salon. Wir nutzten die Möglichkeit und begannen mit einer Partie Bridge."

"Weil es im Haus nur ein einziges Schachbrett gibt", vervollständigte King.

"Sehr bedauerlich", pflichtete Major Rook bei, "aber Sir Donald war in einigen Punkten doch ein wenig eigen. So sahen wir uns gezwungen, auf ein zwar angemessenes, aber weniger ritterliches Spiel zurückzugreifen."

"Sie haben nur ein Brett im Haus?" wunderte sich Peter. "Wieso denn das?"

Margaret lächelte schwach: "Sir Donald wollte verhindern, daß man während einer Partie parallel analysiert und sich dadurch einen unlauteren Vorteil verschafft."

"Mr. Bishop ist heute zum ersten Mal auf Knight-Castle", grinste Reginald, "denn bis vor zwei Monaten glaubte Sir Donald noch, sein Anwalt sei ein nur durchschnittlicher Vereinsspieler, da sein Club in der vierten Klasse rangiert."

"Und trotzdem hatte er Sie engagiert?" King war überrascht nach all dem, was er von John und Cathy gehört hatte.

"Sie haben sich ja schon ein gutes Bild von Sir Donald gemacht, Mr. King!" lachte Reginald. "Ich erinnere mich noch gut, wie er sich darüber geärgert hatte, daß es keinen Anwalt in Essex gibt, der gescheit Schach spielen kann. Er meinte dann, mit Mr. Bishop den Einäugigen unter den Blinden gefunden zu haben." Peter nahm diese Aussage gelassen hin. "Wie gesagt, vor zwei Monaten dann hatte er Besuch vom Vorsitzenden des hiesigen Schachvereins, und der klärte Vater darüber auf, daß Mr. Bishop früher einmal ein Spitzenspieler in der zweiten Klasse gewesen war."

"Ich mußte beruflich bedingt kürzer treten", entschuldigte sich Peter.

"Jedenfalls änderte dies sofort Sir Donalds Meinung", fuhr Reginald fort, "und bei nächster Gelegenheit lud er ihn für ein Wochenende hierher ein."

King atmete einmal tief durch, während er Sir Donald gedanklich in die Rubrik der allerseltsamsten Persönlichkeiten des Commonwealth einordnete. Dann wandte er sich wieder an Reginald: "Gut, wir waren bei Ihrer Bridge-Partie stehengeblieben. Was geschah dann?"

"Gegen 17 Uhr trafen Mr. Bishop und Miss Queen ein", übernahm Harrison das Reden. "Daraufhin beendeten wir unsere Partie Bridge. John wies unseren Gästen die Räume zu, und nach einer kurzen Erfrischung versammelten wir uns hier im Salon."

"Zum Plaudern!" rückte Major Rook zurecht. "Die Herren unterhielten sich über die Regierung und das Wetter, die Damen über die neuesten Modetrends. Sehr informativ!"

Harrison überhörte diesen Einwurf. "Punkt 18 Uhr zogen wir uns dann auf unsere Räume zurück, um uns für das Dinner umzukleiden."

"Punkt 18 Uhr?" wunderte sich King.

"John kam herein und wies uns auf die genaue Zeit hin", erläuterte Virginia mit einem leichten Lächeln, "und John irrt sich nie."

"Wann kamen Sie wieder herunter?" stellte King die nächste Frage.

"Ich habe mich 18:28 Uhr auf den Weg gemacht", gab Reginald Auskunft, "und dabei im oberen Flur Virginia, Miss Queen und Mr. Bishop getroffen. Wir sind gemeinsam in den Speisesaal gegangen."

"Und ich", setzte Harrison an, "war der Erste. Um 18:25 Uhr ging ich nach unten."

"Und Sie, Major?" wandte sich King an den Offizier.

"Ich habe gelernt, mich exakt an die Vorschriften zu halten!" Major Rook straffte seine Schultern ein wenig. "Wenn ich um 18:29 Uhr mein Zimmer verlasse, bin ich genau um 18:30 Uhr beim Dinner."

"Ist Ihnen zwischen dem Verlassen des Salons um 18 Uhr und dem Eintreffen im Speisesaal gegen 18:30 Uhr etwas Ungewöhnliches aufgefallen?" forschte der Chief Inspector, während er eine Seite in seinem Notizbuch umblätterte. "Ein Geräusch? Eine Person? Oder sonst etwas?"

Die Anwesenden dachten eine Weile nach, doch für sie schien alles seinen normalen Gang genommen zu haben. Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte er in die Runde: "Können Sie mir hier auf diesem Brett die Partiestellung von Sir Donald und Cathy nach dem 22. Zug von Cathy zeigen?"

"Wie bitte?" entfuhr es Reginald. Harrison, Virginia und Peter starrten King überrascht an, Major Rook zog die Augenbrauen finster zusammen und in Margarets Gesicht stand die Neugierde.

"Was soll denn dieser Unfug?" kam es trotzig aus des Majors Richtung. "Spielen Sie überhaupt Schach?"

"Nur zum Zeitvertreib", räumte King ein, "so zwischen zwei Mordfällen." Das sollte eine zynische Bemerkung werden, er erntete aber allseitiges Verständnis. "Bekommen Sie die Stellung hin?"

"Nun ja", Reginald hatte sich wieder gefaßt, "da wir immer nur sporadisch an dem Brett vorbeikamen, denke ich, daß wir keine exakte Zugfolge angeben können", allgemeines Nicken im Raum. "Der 22. Zug, sagen Sie?" King nickte. "Das dürfte dann so ungefähr zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als wir zum Umziehen nach oben gegangen sind."

"Können Sie diese Position aufbauen?" wiederholte sich King.

"Diese Partie hier ist noch nicht zu Ende!" konnte man Major Rook ärgerlich vernehmen.

"Glauben Sie denn, daß Ihnen dies bei der Aufklärung des Falles weiterhilft?" Aus Margarets Neugierde war echtes Interesse geworden.

"Die Position selbst nicht", gab King zu, "aber Cathy berichtete mir von einem eigenartigen Zwischenfall."

 

Weiterlesen: Schach-Krimi Teil 5


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