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Matthias Burkhalters Buchrezensionen Juli 2001

mehr Buchrezensionen von Matthias Burkhalter


Alle Jahre wieder und etwas mehr

Michael Dreyer, Ulrich Sieg (Hrsg.): Emanuel Lasker. Schach, Philosophie, Wissenschaft.
Softback 289 S., Philo Verlagsgesellschaft, Berlin, Wien 2001, Fr. 39.-

Endlich wieder einmal ein Schachbuch, das diesen Namen verdient. Der 28. Band der Reihe „Studien zur Geistesgeschichte" ist dem Lübecker Schachverein von 1873 gewidmet, da die Mehrzahl der sieben Autoren Mitglieder des Vereins sind oder sonst einen Bezug zu Norddeutschland haben. Die Beiträge sind allesamt auf hohem wissenschaftlichem Niveau und bringen Einblick in manchen Aspekt des Lebens und Schaffens des Weltmeisters. Ich nenne einige Kapitelüberschriften: „Intellektueller zwischen den Welten", „Laskers ‚Ideale' und die Fundierung der modernen Algebra", „Emanuel Lasker als Dramatiker", „Emanuel Lasker als Philosoph", „Emanuel Laskers politisches Denken". Der Band verfügt über zahlreiche weiterführende Fussnoten, alle standesgemässen Register, Fotos, Einblick in bisher nicht veröffentlichte Dokumente sowie eine tabellarische Übersicht des Lebens, gegliedert nach verschiedenen Aspekten.

Die Autoren verstehen es, die gebührende Distanz zum nichtschachlichen Schaffen von Lasker zu wahren. Es ist immer ein heikles Thema, einen Weltmeister oder einen Nobelpreisträger in anderen Gebieten zu beurteilen, weil sie dort eben bloss Meister, IM oder GM waren aber eben nicht die absolute Spitze. Obwohl das Buch ausschliesslich für den Schachhistoriker und -liebhaber gedacht ist, wird es wohl schnell vergriffen sein, denn heutzutage scheuen die Verleger die grossen Auflagen. Noch seltener allerdings ist Laskers philosophische Schrift „Die Philosophie des Unvollendbar". Dieser 1919 herausgegebene Band wird von Sammlern heiss begehrt, auch wenn er wohl von kaum jemandem gelesen wird.

Egon Varnusz: Lajos Portisch Mr. Hungarian Chess.
Softback 238 S., Mayer Nyomada, Budapest 2000, Fr. 29.-

Über Portisch gibt es bislang wenig deutschsprachige Publikationen. Varnusz hat 1977 im Corvina-Verlag eine Basis mit 86 Partien gelegt, die er dann in der englischen Ausgabe von 1979 auf 90 erweiterte. Der Vielschreiber legt uns nun 170 Partien des dominierenden ungarischen Schachmeisters der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Das nette Büchlein ist in ungarischer Sprache verfasst, was allerdings nicht sehr irritiert, da es fast vollumfänglich aus Partiematerial mit Diagrammen, Analysen und Kurzkommentaren besteht. Auch das in Registerform vorliegende Palmares und die guten Register sind verständlich. Ein biografischer Zugang zu Portisch, dem einigerorts allzu gute Beziehungen zu den staatlichen Instanzen des ehemaligen Ungarn vorgeworfen werden, fehlt aber bislang. Ob Portisch ein opportunistischer Staatsmeister war oder bloss ein eiskalter Schachrechner wird wohl erst nach seinem Ableben aufgearbeitet werden. Ein genialer Schachspieler war er aber alleweil und dies sehen wir in seinen Partien. Übrigens Portisch-Kadiri ist in der Ausgabe von 1977 Partie 48, zwei Jahre später die Nummer 47 und jetzt die 49. Absehbar ist eine spanische Ausgabe mit 190 Partien, dann die portugiesische mit 205 und dann...

Aleksander Pantschenko: Endspieltheorie und Praktik.
Softback 401 S., Caissa, Kecskemet 2001, Fr. 39.80

Alle Jahre wieder kommt der Sommer, und alle Jahre wieder erscheint ein umfassendes Endspielbuch. Jeder Sommer ist anders aber im grossen und ganzen sind sie ja doch alle gleich. Ebenso ist es bei den Endspielbüchern. Der vorliegende Band hat allerdings einen sehr renommierten Autor. Grossmeister A.N. Pantschenko hielt an der Gesamtrussischen Schachschule für Grossmeister in den Jahren 1981-1992 Vorlesungen, die die Grundlagen für sein Riesenopus bildeten. Jedes Thema ist umfassend und seriös abgehandelt. Das Buch hat durchaus Lehrbuchcharakter, denn es führt den Leser im selbständigen Studium durch alle Gebiete. Die Kommentare sind ausführlich und auch für den Amateurschachspieler hilfreich. Auf Seite 312 beginnen die „komplizierten Endspiele". Für mich haben diese schon 250 Seiten früher begonnen. Einziger Mangel sind die sehr matten Diagramme, die Figuren allerdings sind ebenso sauber und klar wie die Schrift. Gesamthaft ein gefälliges Buch, etwa so wie dieser Sommer.

Martin Hoffmann: kunstschaCH eine Auswahl der schönsten Schweizer Schachaufgaben aus den Jahren 1987-1996.
Kart. 136 S., VSKFS, Bern 2001, Fr. 25.-

In der letzten Nummer habe ich noch versprochen, auf die Problemanthologie „kunstschaCH" von Martin Hoffmann zurückzukommen. Der Autor hat diesem Anliegen schon im Juni vorgegriffen (vgl. SSZ 6/2001, S. 27). Die dortige Besprechung ist neutral und rein technisch. Es verbleibt also mir, meine Bewunderung über das Opus auszudrücken: Der Band ist perfekt. Layout, Präsentation, Inhalt, Ästhetik, bibliophile Aspekte, alles kommt zusammen und fügt sich zu Problem Nr. 366, das lautet: Wie kann man es besser machen?

Die Vereinigung der Schweizer Kunstschachfreunde ist ein Schachvolk, das ich bewundere und liebe. So verschroben, ins Schach verliebt, abartig, kunstvoll, perfektionistisch, artifiziell ist sonst keine Schachsparte. Wer dann noch die Zeitschrift „idee & form - schweizerische zeitschrift für kunstschach" abonniert hat, geniesst jeden Monat skurrile Galoppaden quer durch Caissas Reich. Ich glaube fast, im Kunstschach ist die Schweiz so nahe an der Weltspitze wie sonst in keiner Sparte. Wenn ein Kritiker wie ich dermassen des Lobes voll ist, muss irgendetwas kritisch sein oder bloss orthokritisch oder parakritisch, gar methakritisch? - Zugreifen, Auflage nur 700 Stück!


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