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Leko kann nun besser schlafen

Nach 4,5:3,5 über Adams inoffizieller Weltmeister im Fischer Random

von Eric van Reem und Hartmut Metz, Foto Eric van Reem, Juni 2001

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   Was dem Deutschen seine Ostfriesen, sind die Iren den Schotten. Bei einer Abart des Schachs, Shuffle Chess (übersetzt: Mischschach), wird die Startposition aller Figuren vom König bis zum Springer auf der ersten und achten Reihe ausgelost, während sich bei den jeweils acht gleichen Bauern davor nichts ändert. Rasch verbreitete ein gemeiner Schotte die Kunde vom „Irish Shuffle": Der tumbe Ire mische die acht Bauern und lose hernach deren Position aus. Dass sich dadurch nichts im Vergleich zum herkömmlichen Schach ändert, fand einer gar nicht lustig: Hans-Walter Schmitt. Der Turnierorganisator aus Bad Soden setzt alles daran, die verbesserte Variante des „Freistil-Schachs", Fischer Random Chess, zu mehr als einer Lachnummer zu machen. Der sture wie einfallsreiche Schmitt verkündete vollmundig bei den Chess Classic Mainz, dem herkömmlichen Schach „mit der revolutionären Idee binnen zehn Jahren" den Garaus zu machen.

Fischer Random Chess in Mainz

Fischer Random Chess bei den Chess Classic in Mainz

 

   Das „Mischschach" wurde bereits 1792 von Philip Julius erwähnt. Im ersten niederländischen Schachbuch zeigte sich der Armeegeneral und Günstling Napoleons gelangweilt von den stets wiederkehrenden Eröffnungszügen. Der „Senator des französischen Imperiums" war es leid, dass Patzer Züge auswendig lernten und damit bessere Spieler schlugen. „So wird es unmöglich, die Stellungen vorher zu studieren", bemerkte Philip Julius. Ein Gedanke, der über 200 Jahre später nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Richtig durchsetzen konnte sich Shuffle Chess aber trotzdem nie.

   Dem legendären US-Amerikaner Bobby Fischer gefiel jedoch der Ansatz. Fleißige Sekundanten und Computer helfen schließlich heutzutage Großmeistern wie Garri Kasparow, ellenlange Varianten auszutüfteln. Oft reproduzieren die Spieler 15 Züge lang alte Partien, ohne dass neues Terrain beschritten wird. Fischer, der 1972 ungeschlagen als Weltmeister abtrat und nur noch einmal 20 Jahre später bei seinem Revanchematch gegen Boris Spasski auf die Schachbühne zurückkehrte, vermeidet dies mit seiner verbesserten Version des Shuffle Chess. 960 verschiedene Grundpositionen, inklusive der seit Jahrhunderten bekannten, erübrigen das Büffeln jeglicher Art von Eröffnungstheorie. Ein Programm lost jedem Stein sein Plätzchen hinter den Bauern zu. Nur zwei Regeln gilt es dabei zu beachten: Die Läufer ergänzen sich wie gewohnt. Einer steht auf einem schwarzen Feld, der andere gehört folglich auf ein weißes. Fischers Innovation von 1992 besteht vor allem darin, das Shuffle Chess mit der üblichen Rochade-Möglichkeit dynamischer zu gestalten. Deshalb muss der König auch zwischen die Türme gedrängt werden und findet sich nie auf den Eckfeldern wieder. Weil die Startstellungen Vor- oder Nachteile besitzen, erhielten auch beim Debüt auf Topniveau in Mainz der Weltranglistenvierte Michael Adams (England) und der drei Plätze tiefer eingestufte Peter Leko die spiegelbildliche Position, um den Glücksfaktor auszuschließen. Der Ungar setzte sich im Sparkasse Mainz Match mit 4,5:3,5 durch. Leko hatten die Experten favorisiert, bekam der 21-Jährige doch von Fischer darin kostenlose Lektionen in Blitzpartien. Inzwischen lebt sein Freund in Japan, zuvor hatte sich das 58-jährige Schachgenie vor den US-Behörden in Budapest und Deutschland verborgen, weil er mit dem Spasski-Match in Jugoslawien die serbische Kriegspropaganda unterstützt hatte.

   „Die fehlende Eröffnungstheorie kommt meinem katastrophalen Gedächtnis entgegen", freute sich der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel. Der ehemalige Mombacher Oberligaspieler belegte bei seinem „ersten Rendezvous" mit 5:2 Punkten Platz zwei im Prominenten- und Journalistenturnier. Eckhard Freise (4,5 Punkte) schätzte Fischer Random auf Anhieb. Es fördere „analoges Denken. In einem wilden Strudel versucht man Haken einzuziehen, um sich zu orientieren", meinte der Professor für mittelalterliche Geschichte. Allerdings entstehen im Endspiel stets vertraute Positionen. „Fischer Random bleibt auch die nächsten 20 Jahre exotisch. 90 Prozent der Schachspieler lehnen es ab", glaubt Freise.

   Während das ukrainische Ass Wassili Iwantschuk das königliche Spiel für „kompliziert genug hält", gewinnt Leko dem „Freistil-Schach" einen äußerst positiven Aspekt ab. Obwohl er nicht als Faulpelz verschrien ist, jauchzt der einst mit 15 Jahren jüngste Großmeister aller Zeiten: „Endlich muss man sich nicht mehr die ganze Nacht hindurch mit den Eröffnungszügen des nächsten Gegners plagen. Die beste Vorbereitung für den nächsten Tag besteht darin, gut zu schlafen!" Wladimir Kramnik beschäftigte sich nach dem „LRP-Duell der Weltmeister" in Mainz mit der neuen Variante - und war begeistert. Der 26-Jährige konnte sich nicht mehr davon lösen und bestritt mit seinem spanischen Sekundanten Miguel Illescas rund 40 Blitzpartien im Fischer Random Chess! Gegenüber Organisator Schmitt ulkte der Braingames-Weltmeister, dass Garri Kasparow sicher auch sehr davon angetan sei. „Schließlich kann er bei den 960 Startpositionen einen Haufen neue Varianten aushecken!" Der Theorie-Papst wird vielleicht auch nächstes Jahr bei den Chess Classic Mainz fehlen. Ganz sicher aber wird Schmitt seine „Revolution" fortsetzen. Wie will der 49-Jährige Fischer Random Chess weiter fördern? Sicher mit der „Gründung eines Fischer Random Weltverbandes", das kündigte der Macher der Chess Classic bereits an. Bei seinem Hang zum Spektakulären dürfen die Schachfans aber gewiss auf noch mehr hoffen. Etwa auf ein Fischer-Random-Turnier mit dem Großteil der Top Ten? Einem Duell der Weltmeister im Fischer Random? Oder schleppt der umtriebige Schmitt am Schluss gar Bobby Fischer nach Mainz?


   Abschließend Einschätzungen aus Mainz zu dem ersten Wettbewerb auf Weltklasse-Niveau:

Peter Leko: „Es war ein harter Kampf. Ich bin selbstverständlich froh, dass ich gewonnen habe. Aber man sollte das Ergebnis nicht überbewerten, es war nur ein Experiment. Da die ersten Züge sehr wichtig sind, sollte man überlegen, ob man in der Eröffnung mehr Zeit zur Verfügung gestellt bekommt. Die fünf Minuten vor der Partie, als wir die ausgeloste Stellung zum ersten Mal gesehen haben, brachten mir persönlich wenig. Ich wäre auf jedem Fall bereit, mehrere Zweikämpfe oder Turniere zu spielen, wenn mehrere Organisatoren den Mut aufbringen, solche Wettbewerbe zu organisieren."

Michael Adams: „Dieses Match war eine hervorragende Werbung für Fischer Random Chess. Leider kann man es nur in Mainz spielen. Aber ich hoffe, dass andere Organisatoren die neue Idee ebenso aufgreifen. Ich war etwas enttäuscht, dass in der zweiten und sechsten Partie die gleiche Grundstellung ausgelost wurde. Außerdem gab es einige Startpositionen, die nicht so interessant schienen, zum Beispiel jene in der fünften Partie. Deshalb schlage ich vor, einige von den 960 möglichen Anordnungen zu streichen. Ich hätte gerne mal eine Partie gespielt, in der die Damen in der Ecke platziert sind, also auf h1 oder a1. Leider wurde eine solche Stellung nicht ausgelost."

Organisator Hans-Walter Schmitt: „Ich bin davon überzeugt, dass wir in zehn Jahren nur noch Fischer Random Chess spielen. Die klassische Anfangsposition hat für Spieler, die nur Fischer Random Schach gelernt haben, keine besondere Bedeutung. Die Turniere werden vermutlich schon im Herbst stattfinden, auch die Organisatoren aus Dortmund bekundeten bereits Interesse. Vishy Anand wird ein fantastischer Random-Spieler sein, er ist schnell und er ist ein Schachspieler. Kramnik, der Schach wissenschaftlicher angeht, könnte mehr Probleme mit Random Chess haben. Ein Match zwischen den beiden Weltmeistern wäre hochinteressant. Es ist nicht einfach, die Wissenschaftler zu überzeugen. Die vielen Möglichkeiten, die Fischer Random Chess bietet, machen den Tüftlern, die alles ausanalysieren und zu erklären versuchen, anscheinend Angst. Für Spieler ist Fischer Random Chess die Zukunft."

Artur Jussupow, der im Vorjahr zwei Shuffle-Chess-Partien gegen das Schachprogramm Fritz on Primergy verloren hatte: „Die Qualität der Partien war meiner Meinung nach sehr hoch. Leko spielte das ganze Match gut, und Adams hat sich gesteigert. Wie er in der sechsten Partie gewann, fand ich einfach unglaublich! Es war eine tolle Show, die er da bot. Adams und Leko waren die richtigen Spieler für dieses Match. Beide sind sehr kreativ, obwohl sie diese Kreativität nicht immer im klassischem Schach ausleben können. Fischer Random Chess ist für sie eine Spielwiese. Kreative Spieler wie Morosewitsch oder Schirow sorgen schon in ihren eigenen normalen Partien für Random-Stellungen! Es ist nicht schwieriger, eine FRC-Partie zu kommentieren als eine herkömmliche Schachpartie. Selbstverständlich sollte man vor allem in der Eröffnung aufpassen. Bei normalen Partien muss man ja viele theoretische Varianten kennen, was für Kommentatoren nicht immer leicht ist. Fischer Random Chess bildet noch keine Konkurrenz zum klassischen Schach. Jetzt müssen wir abwarten, wie das Match in den Medien und bei den Schachfans angenommen wird. Schnellschach wurde vor etwa zehn Jahren auch nur müde belächelt, jetzt ist es nicht mehr aus der Turnierpraxis wegzudenken. Fischer Random Chess sorgt für eine neue Dimension im Schach."

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