Mannschaftspokal-Wochenende BerlinAspirant erstmals glücklich wie im Himmel: SC Baden-Oos gewinnt im Pokal gegen SG Porz seinen ersten nationalen Mannschaftstitel bei den Herrenvon Harald Fietz, Fotos Archiv Harald Fietz, Mai 2003 |
"Noch wachsen die Bäume für die Baden-Ooser Schachspieler nicht in den Himmel", resümierte Hartmut Metz in seinem Bericht für Schachmagazin 64 Nr.6 über das Pokalfinale 2002, in dem die Kurstädter dem Lübecker SV knapp unterlagen. Ein Jahr später strahlten die Gesichter der um den deutschen Spitzenspieler Rustem Dautov verstärkten Truppe, denn mit einem 2,5:1,5 bezwang man im Finale eine andere deutsche Schachhochburg, die SG Porz. Den Status eines regionalen Schachzentrums mit Ambitionen auf nationale Titel zu erreichen ist erklärtes Ziel des von Grenke-Leasing gesponserten Vereins: Nun klappte es - nach der Meisterschaft für das Frauenbundesligateam am Wochenende zuvor - auch erstmals bei den Herren. Was im vergangenen Jahr daheim im beschaulichen, traditionsreichen Kurhaus nahe des Spielcasinos nicht gelang, glückte mit etlichen Schreckmomenten in der Dreimillionenmetropole Berlin.
Anders als beim Fußball, wo der Slogan "Wir fahren nach Berlin" bei Spielern und Fans wie selbstverständlich deutschlandweit positive Emotionen hervorruft, setzt die Bundeshauptstadt beim Schach selten durch überregionale Ereignisse Akzente. Verflossen sind die Erinnerungen an das 1998 letztmals ausgetragene "Berliner-Sommer"-Open, welches nur eine Kreuzung vom Austragungsort, dem BCA Hotel Wilhelmsberg an der Landsberger Allee / Ecke Weißenseer Weg, stattfand. Hausinterne Events sind Markenzeichen des BCA, was für Business Conference Accomodation steht. Anno 2002 wurde hier erstmals der auf 130 Teilnehmer begrenzte "Lichtenberger Sommer" beherbergt (neue Auflage vom 16. bis 24. August 2003). Heuer boten zwei zusammengelegte Konferenzsäle und der geräumige Analyseraum sowie Hausbar klimatisierten Komfort und kurze Wege für Spieler, Organisatoren und Zuschauer. Hier ein paar Fotos vom Berliner Pokal-Wochenende.
Die Endrunde wollten alle Finalisten gerne ausgetragen, aber Turnierleiter Klaus Deventer gab im E-Mail-Schnellverfahren erwartungsgemäß dem SC Friesen Lichtenberg als Überraschungsteilnehmer der Endrunde den Zuschlag. Der Außenseiter aus der Oberliga Nord-Ost bezwang im Viertelfinale Bundesligist Godesberger SK mit 3:1 und überlebte zwei Runden zuvor durch glückliche Umstände, denn Aufbau Elbe Magdeburg setzte beim 2,5:1,5-Sieg drei nicht spielberechtigte russische Spieler ein und erhielt eine 0:4-Wertung. Auch der Sieg gegen den Zweitligisten SC Leipzig Gohlis bedeutete dazwischen einen Favoritensturz. Fünf Wochen hatte das Team um den Vereinsvorsitzenden Wolfgang Hartmann Zeit, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Und hier passte, wie sich alle einig waren, fast alles. Einzig die drei Berliner Tageszeitungen geizen mit größeren Berichten. Dafür brachte der Sender Freies Berlin in seiner 35-minütigen Sendung "Sportpalast" einen Vierminutenbericht inklusive Porträt der Jugendarbeit des Gastgebervereins. Dies ist um so beachtlicher, als ausgerechnet an diesem Wochenende mit dem Eishockey-Play-off Eisbären Berlin gegen Hamburg Freezers, dem Basketballspitzenspiel Alba Berlin gegen Telekom Basket Bonn und dem Fußballbundesliga-Ostderby Hertha BSC gegen Energie Cottbus reichlich Spitzensport stattfand.
Im Laufe der drei Tage zeigte sich an vielen Kleinigkeiten, was neben motivierten Spielern zum Flair und dem Stellenwert einer Veranstaltung beiträgt: Rege Helfer, stets aktualisierte Bild- und Wortpräsentation auf der Webseite, Internet-Liveübertragung durch Axel Fritz' "Schach.com" inklusive Nachschub mit O-Tönen, gedruckte Plakate und Siegerurkunden, extra angefertigte T-Shirts, ungezwungene Kontakte zwischen Spielern und Zuschauern im Analysebereich usw. Und Interessierte kamen besonders am Samstag mit schätzungsweise 200 Besuchern reichlich (im Internet waren es 4.000 Zuschauer pro Tag). Die meistgestellte Frage war, welche Super-Großmeister die Spitzenteams außer dem wegen des Monaco-Amber-Turniers verhinderten Viswanathan Anand aufbieten. Und der Blick auf die Wertungszahlendurchschnitte ließ nicht nur die Augen der Organisatoren funkeln: Porz 2659, Baden-Oos 2649, HSK 2557 und Friesen Lichtenberg 2345 (bzw. 2313 wegen Spielerwechsel). Angesichts der krassen Abstände konnte Hartmann in seinen Eröffnungsworten nur dem Wunsch Ausdruck geben, dass sich seine Mannen tüchtig halten, schließlich war der Namensgeber des Vereins Karl-Friedrich Friesen ein Pädagoge, der zusammen mit Friedrich Ludwig Jahn 1811 im Berliner Volkspark Hasenheide die Turnbewegung gründete.
Doch dieser Appell sagte sich leicht. Das Los vermied eine Elefantenrunde im Halbfinale und der Oberligist, bei dem IM Jakov Meister mit Elo 2512 den Wertungsschnitt hob, erhielt die schwerste Herausforderung. Bereits nach zwei Stunden zeichnete sich ab, dass höchstens eine ehrenvolle Niederlage möglich war. Der frühere Fernschach-Weltmeister Friedrich Baumbach wurde von "Mister Bundesliga" Rafael Waganjan mit scheinbar einfachen Zügen in eine unangenehme Lage manövriert, denn die schwarzen Leichtfiguren standen am Damenflügel deplatziert. Ein Blackout sorgte an Brett drei für die erste Entscheidung des Tages.
|
R. Waganjan - F. Baumbach
|
Kurze Zeit später musste auch Hermann Brameyer gegen Alexander Graf die Waffen strecken. Sein König verlor im 15. Zug das Rochaderecht und, obwohl dem gebürtigen Usbeken gleiches widerfuhr, sickerten dessen Figuren schneller ein. Inzwischen hatte auch Christopher Lutz gegen FM Wolfgang Thormann einen Mehrbauern im Endspiel eingeholt. Die Frage war, ob er den Sieg herauspressen kann. Einzig am Spitzenbrett stand ausgerechnet Ex-Weltmeister Alexander Chalifman zur Freude der lokalen Schachfans unter Dampf. Sie nennen ihn liebevoll "Lokomotive", den kleinen, kauernd über das Brett gebeugte Mann im dunkeln Anzug. Meister lebt seit Sommer 2002 als Spätaussiedler in Berlin. Damals führte einer seiner ersten Wege vom Aufnahmelager Marienfelde zum Sommer-Open des SC Kreuzberg, welches er gewann. Trotzdem landete der 47-Jährige durch Vermittlung des Kreuzberger Vorsitzenden Norbert Sprotte nicht beim West-Berliner Bundesligisten, sondern schloss sich dem Ost-Berliner Friesen-Club an. In Deutschland mag sein Name - außer in Fachkreisen - ein bislang unbeschriebenes Blatt sein, aber in der früheren Sowjetunion und Russland gehörte er zu den Kandidaten, die in den vergangenen 20 Jahren die starken Halbfinal- und Finalmeisterschaften mitspielten. Mit Cheljabinsk trat er in den 90er Jahren mehrfach im Mannschaftseuropacup an. Auch als Schachinstruktor machte er sich einen Namen und einige seiner Schüler der jüngeren Zeit vollziehen große Fortschritte (darunter z.B. Jakow Geller, der in Cappelle la Grande 2003 mit vorne dabei war). Sicher wird er ihnen auch psychologische Kniffe beigebracht haben: Chalifman sprang er auf dem Brett unerschrocken an. Nach 19.g4 mussten die schwarzen Springer in die Defensive und im 34. Zug half nur ein entlastendes Bauernopfer. "Jakov ist Wahnsinn", frohlockten die Einheimischen angesichts des Freibauern in der a-Linie bereits. Doch im 47. Zug stellte der Weltranglistenzwölfte eine tückische Falle. Mit forciertem Turmtausch sanken die Gewinnchancen rapide und nach knapp sechs Stunden schloss man Frieden, um sich ohne Brett zur wortreichen Analyse unter hohem Nikotinkonsum in den Vorraum zu begeben. Kurz danach gewann Lutz sein Turmendspiel.
SG Porz |
- | Friesen Lichtenberg |
3,5:0,5 | |
1. | Chalifman |
- | Meister |
remis |
2. | Lutz |
- | Thormann |
1:0 |
3. | Waganjan |
- | Baumbach |
1:0 |
4. | Graf |
- | Brameyer |
1:0 |
Als die Kölner den Sieg sicherstellten, trauerte die Hamburger schon zwei Stunden den verpassten Chancen nach. Im zweiten Halbfinale gab es zwar nicht die krasse Underdog-Situation, aber der Hamburger SK, der im Viertelfinale Cupverteidiger Lübecker SV mit 2,5:1,5 entthronte, wählte eine ähnliche Mannschaftsstrategie: Möglichst viel dichthalten und einen "lucky punch" setzen. Auch hier beendeten die hinteren Brett den Arbeitstag früh. Robert Hübner verteidigte sich gegen Karsten Müller mit einem soliden Franzosen, aber Chancen die Remisbreite zu verlassen gab es objektiv keine. Der Däne Sune Berg Hansen wählte eine andere Vorgehensweise. Er überraschte die deutsche Nr. fünf mit einem interessanten Figurenopfer, dass bestimmt keine Computereingebung ist. Die Wirkung blieb nicht aus, denn nach zweieinhalb Stunden wanderten auch hier die Klötze in die Kiste zurück.
|
R. Dautov - S. B. Hansen
|
Zwei Großmeister der 2600er-Kategorie entschärft und den Druck wiederum auf die vorderen Brettern verlagert. Dort ging es feuriger als im Parallelkampf zu, aber dann explodierten die Stellungen auf der falschen Seite. "Dauerläufer" Peter Swidler, der in den vier Stunden einer Turnierpartie wohl die Stecke eines Halbmarathons abschreitet, hatte gegen Lubomir Ftacnik besonderen Grund zur Sorge, während sein früherer Landsmann Michal Krasenkow allmählich seinen Eröffnungsvorteil verspielte. Doch Caissa schenkte diesmal alle Fortune an die Badener. Der St. Petersburger überlebte eine glatt verlorene Stellung, weil der HSKler aus Bratislava einen einfachen Figurengewinn ausließ. Orientierten sich seine Gedanken zu sehr auf die schwachen, schwarzen Felder am Königsflügel, wo er schließlich opferte, oder war es die Magie der seltsamen Läuferkonstellation im Zentrum? Einen solchen Blackout plausibel zu erklären gelingt nicht.
|
L. Ftacnik - P. Swidler
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7 7.Lc4 c5 8.Se2 Sc6 9.Le3 0-0 10.0-0 Ld7 11.Tb1 a6 12.dxc5 Sa5 13.Ld3 Dc7 14.f4 [ 14.Dc2 Tfc8 15.Sc1 e6 16.Sb3 Tab8 17.Tfd1 wurde in Chalifman - Averbukh, Panormo 2001 ohne Begeisterung als Remis vereinbart!] 14...Le6 15.Da4 Tfd8 16.Ld4 Ld7 17.Db4 Tac8 18.e5 Lc6 19.Sg3 e6 20.Db2 Lf8 21.Df2 Lxc5 22.Lxg6 [ Gewann 22.Lxc5 Txd3 23.Lb6 Dd7 24.Lxa5 nicht einfach Haus und Hof?] 22...Lxd4 23.Lxh7+ Kxh7 24.cxd4 Tg8 25.f5 Ld5 26.Tbe1 exf5 27.Dxf5+ Tg6 28.Te2 Sc6 Mit aufziehender Zeitnot fügte sich der Slowake ins Remis - noch hielt auch die Stellung an Brett zwei. 29.Dh3+ Th6 30.Df5+ Tg6 31.Dh3+ Th6 1/2-1/2 |
Doch damit nicht genug. Als der dritte Remisschluss besiegelt war, rechneten alle mit einem Blitz-Tie-Break. Spätestens mit Tausch der Damen hatte Jan Gustafsson, der zur Zeit als Teil des mehr oder weniger intensiv betriebenen Jurastudiums ein Praktikum bei einem Notar absolviert, den Beweis geliefert, dass die Stellung die Remisbreite erreicht hat. Nachdem das weiße Angriffstreiben die gesamte Partie auf seiner Stellung lastete, dämmerte mit dem Umschwung wohl nach und nach die Aufmerksamkeit des 24-Jährigen weg. Eine Standardposition in einem Turmendspiel, die er sonst mit 99-prozentiger Sicherheit hält, ruinierten zwei aufeinanderfolgenden Gedankentrübungen.
|
M. Krasenkow - J. Gustafsson
|
Keiner der Beteiligten fand eine schlüssige Erklärung für die Tragikomödien. "Was soll ich sagen. Es war einfach nicht unser Tag. Glückwunsch an die sympathischen Baden-Ooser zum Pokalsieg", meinte Müller im Rückblick. Norddeutsche bleiben selbst in der Niederlage eher nüchtern und haderten nicht viel.
SC Baden-Oos |
- | Hamburger SK |
2,5:1,5 | |
1. | Swidler |
- | Ftacnik |
remis |
2. | Krasenkow |
- | Gustafsson |
1:0 |
3. | Dautov |
- | Hansen |
remis |
4. | Hübner |
- | Müller |
remis |
Der Finaltag verlief undramatischer als manche Beobachter erwarteten. Nach gut vier Stunden waren alle Kämpfe und um 14 Uhr die Ehrungen vorbei. Als kurz vor 9 Uhr die Mannschaftsaufstellungen abgegeben und die Farben ausgelost wurden, offenbarte sich, dass über Nacht etliche Gedanken in Taktikspielereien investiert worden waren. Anders als in der Bundesliga, wo die Brettfolge nach Rangliste geschieht, muss im Mannschaftspokal nur ein Kader von 14 Spielern gemeldet werden. Die Aufstellung kann für jeden Kampf neu festgelegt werden. Davon machten alle Teams Gebrauch.
Im kleinen Finale war der Aufstellungspoker weniger bedeutsam, denn schon die erste Zwischenbilanz nach einer Stunde zeigte, dass die Amateure einen schweren Stand hatten. In allen Partien besaßen die Titelträger bereits in dieser frühen Phase Zeitvorteile von 15 bis 40 Minuten. Außer am vierten Brett, wo es nach drei Stunden zum Remisschluss kam, konnte aber keine Balance mehr hergestellt werden. Sicher war der Sieg für Gustafsson keine Widergutmachung für das Malheur am Vortag, aber er demonstriert, wo die Unterschiede lagen. Nachdem die Figurenaufmärsche beendet waren, reichte schon die erste Ungenauigkeit im 20. Zug, um die gewinnbringende Initiative zu erringen.
|
J. Gustafsson - H. Badestein
|
Hamburger SK |
- | Friesen Lichtenberg |
3,5:0,5 | |
1. | Ftacnik |
- | Thormann |
1:0 |
2. | Hansen |
- | Meister |
1:0 |
3. | Gustafsson |
- | Badestein |
1:0 |
4. | Müller |
- | Baumbach |
remis |
Im Finale kam es nicht zum Treffen der "St. Petersburger Wanderfreunde", denn Chalifman, der wie Swidler während der Partie ein unermüdlicher Spaziergänger ist, wurde von Brett eins an Brett vier versetzt. Offenbar trauten die Köln-Porzer Lutz, der in Bundesliga und Nationalmannschaft schon oft das Spitzenbrett unter Kontrolle hielt, einiges zu. Doch warum den wertungsstärksten Spieler an das "bedeutungslose" letzte Brett verbannen? Nach einer Annahme aus dem Hamburger Rechnerlager ist hier der Ausgang in 90% der Fälle wegen der Berliner Wertung nicht relevant. Den Prozentwert der sogenannte "Thies-These" bezweifelt Karsten Müller, der Doktor der Mathematik, zwar, doch auch er glaubt, dass der im Einzelpokal engagierte Thies Heinemann, der sein Diplom in Stochastik ablegte, in der Tendenz die richtige Wahrscheinlichkeitsdimension vermutet. Selbst bei 75% wäre die Statistik revolutionär, aber eine Beweisführung steht noch aus.
Solche Zahlen scherten die beiden hinteren Brett wenig. Nach zwei bzw. zweieinhalb Stunden wurden 20- bzw. 21-zügige Unentschieden unterschrieben. Und fünf vor zwölf spitzte sich die Lage an Brett zwei zu. Für 18 Züge blieben Graf noch 25 Minuten bis zum 40. Zug, während der Pole in Baden-Ooser Reihen eine satte Viertelstunde mehr übrig hatte. Auf das Feld f2 wirkten die schwarzen Figuren ein. Lange sieben Minuten fahndete der in Leipzig ansässige Porz-Spieler, um sich zu versichern, dass ihm nur ein einziger Damenzug hilft. Krasenkow kehrte ans Brett zurück und schob nach Sekunden den Bauern auf e3 - Damentausch war unvermeidlich, ebenso wie 25.Td5 a tempo. Seine Antwort notierte der Schwarzspieler schon nach einer Minute, aber die Überprüfung dauerte: zwei, drei, vier Minuten und der Pulk der Zuschauer schwoll an. Es sah gefährlich aus, denn der König musste in die Ecke und der prächtige Läufer auf d4 erhielt umgehend mit e5 Befestigung. Doch der Schein trog. Als Graf g3 spielte, um den Eindringling auf f2 abzuholen, war die Luft raus.
|
A. Graf - M. Krasenkow
|
Um 12.20 Uhr kämpfte nur noch das Spitzenbrett. Und hier verfinsterte sich der Zustand für Schwarz. Nach 20 Zügen und jeweils exakt einer Stundenumdrehung auf beiden Zifferblättern herrschte noch Sorglosigkeit. Dann aber setzte der Deutsche mit 23...d5 auf Figurenkontakt. Nicht nur die Variantenberechnung wurde komplexer, sondern auch seine Uhr tickte länger. Bei Zug 30 näherte sich der Zeiger bis auf drei Minuten dem Strich der zwölf und im 37. Zug brachte der vermeintlich aktivste Damenzug von c2 nach c1 die Wende (auf b1 oder a4 wäre wenig losgewesen). Wie am Vortag bei Gustafsson folgte dem ersten Fehlgriff unmittelbar der zweite Fauxpas - eine Leichtfigur ward abgängig und Thilo Gubler, dem Mannschaftsführer des Teams aus dem Baden-Badener Stadtteil Oos, stand das Strahlen im Gesicht.
|
P. Swidler - C. Lutz
|
Durch den Sieg entging der Großmeisterriege - und leider den Zuschauern - ein Blitzentscheid mit vier Runden nach Scheveninger System, welcher erstmals in einem Finale angesetzt worden wäre.
SC Baden-Oos |
- | SG Porz |
2,5:1,5 | |
1. | Swidler |
- | Lutz |
1:0 |
2. | Krasenkow |
- | Graf |
remis |
3. | Hübner |
- | Waganjan |
remis |
4. | Dautov |
- | Chalifman |
remis |
Bei der Würdigung des Siegers muss angemerkt werden, dass beim "Pokern" an den beiden Spitzenbrettern eine übergroße Portion Schachglück zur Seite stand. Leicht hätte es gegen die Hamburger zum Aus kommen können und ein Finalblitz wäre bei diesen Kräfteverhältnissen völlig offen gewesen. Aber die Resultate geben immer dem Gewinner Recht und die Unterlegenen haben eben ihren unfreiwilligen "Beitrag" dazugetan. Bemerkenswert ist darüber hinaus - angesichts der neuentfachten Diskussion um den Einsatz ausländischer Spieler - zu erwähnen, dass bei diesem Wettbewerb mindestens die Hälfe der Spieler pro Team die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Die Spannung und den sportlichen Wert minderte es keineswegs und das war letztlich auch der befriedigende Lohn für den umsichtigen Organisationseinsatz der Gastgeber.
(erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung in Schachmagazin 64, Nr. 7, S. 186 - 190)