Fast hätte Aljechin die Hose ausgezogenDritter Teil zum 80. Geburtstag von Wolfgang Unzickervon FM Hartmut Metz, 2. Juli 2005 |
Wolfgang Unzicker
Wolfgang Unzicker, der am 26. Juni seinen 80. Geburtstag feierte, war zusammen mit Fritz Sämisch der erste Deutsche, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Ausland spielen durfte. Die Turniereinladung nach Luzern im Jahre 1948 bot wie alle einen unschätzbaren Vorteil: Die Teilnehmer bekamen ausreichend Verpflegung. In Luzern durfte sich Unzicker zudem über Platz eins freuen.
Seine Karriere scheint dem Jubilar nicht nur "wegen der guten Verpflegung in dieser Zeit" günstig verlaufen zu sein - auch wenn man "natürlich immer ein Haar in der Suppe findet und nie zu 100 Prozent zufrieden ist", gesteht Unzicker. Im Vergleich zu Ausnahmekönnern wie Anatoli Karpow habe er "nicht das Letzte aus einer Stellung herausholen können", referiert Unzicker und klopft zum Unterstreichen des Gesagten mit dem Finger auf den Tisch, "da hat es mir gefehlt!" Weltmeister, fällt der pensionierte Richter sein gestrenges Urteil, wäre er auch nicht als staatlich geförderter Profi nach sowjetischem Vorbild geworden.
"Die Teilnahme am Kandidatenturnier hätte mir schon gelingen können, aber selbst Paul Keres, Viktor Kortschnoi und Jewgeni Geller schafften es nicht auf den Thron." Das Trio zählt Unzicker - dabei Geller "mit gewissen Einschränkungen" - zu den Spielern, die "nie Titelträger waren, aber wirkliches Weltmeister-Format besaßen. Dazu gehören auch noch Zukertort, Rubinstein, Tarrasch und Bronstein".
Bei den Chess Classic in Mainz erfährt Unzicker am 9. und 10. August eine besondere Ehrung: Für den 386fachen deutschen Rekordnationalspieler organisiert Turnierausrichter Hans-Walter Schmitt eine Gala mit Karpow, Kortschnoi und Ex-Weltmeister Boris Spasski. Unzicker freut sich bereits auf das "Treffen mit alten Freunden und Kollegen". Bei den drei Legenden, die an seiner Gala in der Mainzer Rheingoldhalle teilnehmen, gerät der Münchner ins Schwelgen. "Kortschnoi ist einer der härtesten Kämpfer, die es je gab. Darin war er Keres und Smyslow überlegen, auch wenn sein Spiel nicht über deren Eleganz verfügte." Bei Kortschnois 70. Geburtstag in Zürich 2001 zitierte Unzicker in seiner Ansprache Tarrasch, der drei Meister gelobt hatte, die "immer mit gleicher Kraft spielten: Morphy, Pillsbury und Lasker". In diesen Reigen erhob Unzicker den mehrfachen Vizeweltmeister, der gegen Karpow knapp das Nachsehen hatte. Letzterer adelt den Jubilar als "Amateur-Weltmeister, dessen Partien man studiert haben muss". Unzicker gibt die Blumen an Karpow gerne zurück und zählt den Weltmeister mit den meisten Turniersiegen (161 an der Zahl) "zweifellos zu den Größten der Großen der Schach-Geschichte. Es war bedauerlich, dass er 1975 keine Gelegenheit bekam, gegen Bobby Fischer zu spielen". Dem Amerikaner, den Unzicker einmal bezwingen konnte, hätte er zwar "bessere Chancen eingeräumt" im Kampf der Titanen, aber danach habe Karpow gezeigt, dass er den "WM-Titel verdient und war lange Zeit unbestritten der Beste". Eine hohe Meinung besitzt der deutsche Rekordnationalspieler auch von dem letzten Großmeister bei seiner Chess-Classic-Gala: "Spasski ist zwar das Gegenteil von dem Kämpfer Kortschnoi. Wenn man jedoch den russischen Bär reizt, dann kann er gefährlich werden. Spasski war ein ungeheures Naturtalent, sicher eines der größten." Dass er nur von 1969 bis 1972 Weltmeister war, lag an dem übermächtigen Fischer. "Gegen den hätte jeder verloren", ist Unzicker überzeugt.
Der Jubilar fasziniert auch noch mit 80 als gewandter Redner. Manche Anekdote fällt ihm ein. So berührte ein älterer Herr, der sehr zitterte, eine Figur. Sein Gegner bestand darauf, dass er damit ziehen müsse. Vornehm zurückhaltend äußerte Unzicker: "Der ist auch nicht gerade der Inbegriff eines Gentleman." Sein Freund Ludek Pachmann, Verfechter von klaren Worten, dazu: "Du hast vielleicht Formulierungen. Sag, er ist ein Schwein und du liegst richtig!"
Beim Empfang zum Kongress in Hastings 1954/55 war erneut Pachmann einer der Protagonisten von Unzickers Lieblingsanekdoten. Als der Prager berichtete, dass seine Mutter die Stellung der Springer und Läufer auf dem Brett vertauscht hatte, als sie ihm Schach beibrachte, bemerkte Paul Keres nur trocken: "Das muss man in Betracht ziehen, wenn man deine Eröffnungsbücher studiert!"
Äußerst schlagfertig zeigte sich der Este zudem bei einer Begegnung mit Max Euwe in Varna. Als der Exweltmeister ihm und Unzicker von seiner legendären Partie 1934 in Zürich gegen Alexander Aljechin erzählte, entsponn sich folgender Dialog: "Als ich das Springeropfer brachte, zog Aljechin die Jacke aus." Keres: "Und wenn du die Dame geopfert hättest, hätte er wahrscheinlich die Hose ausgezogen ..." Den nachstehenden Erfolg über das einstige US-Wunderkind Samuel Reschewski kommentiert Unzicker selbst.
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Unzicker, Wolfgang - Reschewski, Samuel Herman [B85]
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