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Abkupfern beim Jazz und Schach nützlich

Als aufmerksamer Kiebitz hätte sich Hubert Schuh bei Kuppenheimer Pokal-Sensation leichter getan

von FM Hartmut Metz, 28. Januar 2006

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   In der Schule gilt Abschreiben und Abkupfern als verpönt – unter Lehrern, versteht sich. Der trickreiche Schüler kompensiert mangelndes Wissen aber dennoch gerne durch ein paar, nennen wir es mal beschönigend, „Hilfsmittel für Notfälle, in denen es um Leben oder Tod geht“. Beispielsweise kam unser Musiklehrer auf die grandiose Idee, eine Klassenarbeit über die verschiedenen Jazz-Stilrichtungen anzusetzen. Er spielte ein Jazz-Stück an, wir sollten danach notieren, ob es sich um New-Orleans-Jazz, Swing, Bebop, Free Jazz oder was auch immer handelte. Wodurch sollte das erst nur durch Heintje und Heino, später dann durch Abba, Smokie und Bay City Rollers geschulte Ohr das erkennen?

   Eine verzweifelte Frage, die sich alle stellten – außer Markus Nold. Er war nicht nur mein Schachgegner in den Pausen und Klassenprimus, sondern auch Musiker. Selbstredend wusste er dank seines vorzüglichen Gehörs alle Stilrichtungen sofort zu unterscheiden. Kurzerhand drückte ich ihm rund ein Dutzend verschiedene Farbstifte in die Hand, mit denen er während der laufenden Stücke herumspielte. Wir waren zwar faul und doof – aber die Bedeutung von zwölf Farbstiften, die jeweils einer Jazz-Art zuzuordnen waren, konnte jeder gerade noch auswendig lernen! Überflüssig zu erwähnen, dass diese Musik-Klassenarbeit selten gut ausfiel, obwohl zwecks Tarnung Fehlerchen eingebaut wurden ...

   Derlei Schandtaten sind nicht die feine englische Art, jedoch nützlich auf dem Weg zum Abitur. Im Schach genießt man dagegen schon fast Vorbildfunktion, wenn man abkupfert. Das ist bereits bei der Vorbereitung auf den nächsten Gegner wichtig. In der Eröffnung versucht der gute Spieler den Kontrahenten mit Varianten der Großen der Zunft zu überlisten. Um die Kombinationskraft zu stählen, ist es nützlich, bestimmte Opferschemata zu kennen und zu kopieren.

   Sind Hilfsmittel während einer Partie verboten, kann man sich manchmal aber doch gleichzeitig Anregungen im Turniersaal holen. Ein besonderes Beispiel dafür ergab sich vergangenen Samstag im deutschen Mannschaftspokal. Der Kirchheimer Oswald Gschnitzer zögert nicht, ein bekanntes Motiv umzusetzen. Sehen Sie, wie der Bundesligaspieler seine Chance gegen den Schramberg-Lauterbacher Rainer Braun nutzt?

 










Gschnitzer,Oswald (2427) - Braun,Rainer (2055) [D45]
Kirchheim -- Schramberg-Lauterbach 4:0 (2.2), 22.01.2006

1.Sf3 d5 2.c4 c6 3.e3 Sf6 4.Sc3 e6 5.d4 Le7 6.Ld3 Sbd7 7.0-0 dxc4 8.Lxc4 b5 9.Ld3 a6 10.e4 c5 11.e5 Sg4 12.Lf4 Lb7 13.Se4 h5 14.Te1 Kf8 15.a4 b4 16.h3 Sh6 17.Sd6 Ld5 18.Tc1 g5 19.Lg3 g4 20.hxg4 hxg4 21.Sh2 Lg5 22.dxc5 f5 23.exf6 Sxf6 24.c6 Tc8 25.Sxc8 Dxc8 26.Tc5 Sf7 27.c7 Lb7 28.Sxg4 Sh5 29.Le5 Le7 30.Lxh8 Lxc5 31.Se5 Sf4 32.Sxf7 Kxf7 33.Dg4 Lxf2+ 34.Kxf2 Sxd3+ 35.Ke2 Sxe1 36.Dg7+ Ke8 37.Kxe1 Dd7 38.Dg8+ Ke7 39.Le5 Dd5 Weiß hatte zuvor einfachere Siegmöglichkeiten ausgelassen. Nun zögert Gschnitzer aber nicht, endlich die Chance zu verwerten. 40.Dd8+! Dxd8 41.Lf6+ Die Steilvorlage für Schuh - der sie jedoch nicht entdeckte. [41.Lf6+ Lenkt den König ab oder deckt im Zweifelsfall das Umwandlungsfeld d8. 41...Kxf6 42.cxd8D+ ] 1-0

 

   Die Steilvorlage an dem vier Meter von ihm entfernten Brett entging Schuh allerdings. Der Kuppenheimer war zu sehr an seinem Tisch gegen Helmut Reefschläger beschäftigt, um die Sensation gegen den deutschen Pokalsieger OSC Baden-Baden perfekt zu machen. Nach ein paar Schritten hinüber hätte er sicher dasselbe Motiv erkannt und bei sich umgesetzt. Schließlich bekam er bei Gschnitzer sogar die Brettfelder f6 und d8 sowie die zu opfernde Figur vorgegeben! Finden Sie die beste Fortsetzung im 40. oder 41. Zug?

 










Schuh,Hubert (2321) - Reefschlaeger,Helmut (2308) [D31]
Kuppenheim -- Baden-Baden 3:1 (2.3), 21.01.2006

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 c6 4.e3 f5 5.Dc2 Sf6 6.Ld3 Ld6 7.Sge2 0-0 8.f3 Sa6 9.a3 c5 10.cxd5 Sxd5 11.Sxd5 exd5 12.Lxa6 bxa6 13.dxc5 Dc7 14.b4 Le5 15.Lb2 Te8 16.Kf2 f4 17.exf4 Lxf4 18.Sxf4 Dxf4 19.Dc3 Dh4+ 20.g3 Dh6 21.Dd4 Ld7 22.h4 Lc6 23.Tae1 Dg6 24.g4 Df7 25.Kg3 Tf8 26.Te3 Dc7+ 27.De5 Dxe5+ 28.Lxe5 Tfe8 29.Td1 Te7 30.f4 Tae8 31.Ted3 Td7 32.h5 Kf7 33.Ld6 Te2 34.Txd5 Lxd5 35.Txd5 Te3+ 36.Kh4 Txa3 37.c6 Td8 38.c7 Tc8 39.Le5 Ke7 Mit dem Wissen aus der anderen Partie hätte Schuh sicher an dieser Stelle die Gewinnfortsetzung gefunden. 40.f5? Ein verzeihlicher Fehler. Beim letzten Zug vor der Zeitkontrolle kann man die erste Chance auf die sofortige schwarze Aufgabe noch auslassen. 40...Tf3 Der 25fache Nationalspieler Reefschläger hatte mittlerweile die Abwicklung entdeckt und glaubte im Zeitnotwahn, mit dem Turmzug diese verhindert zu haben, wie er später erzählte. 41.Ta5?? "Das ist der einzige Zug, der nicht sofort gewinnt", kommentierte die deutsche Schach-Legende Robert Hübner sarkastisch die Partiefortsetzung am dritten Brett. Die Jagd nach den völlig unwichtigen schwarzen Doppelbauern scheint in der Tat völlig verfehlt. Spätestens jetzt hätte der Kuppenheimer die zweite Chance zum Todesstoß nutzen müssen: [41.h6 war schon wie im 40. Zug angezeigt. Danach gewinnt analog zu Gschnitzers Kombination 41...gxh6 Andere Züge sind keinen Deut besser, verschaffen sie doch Weiß einen weiteren gefährlichen Freibauern. 42.Td8! Txd8 43.Lf6+! Kxf6 44.cxd8D+ Stattdessen schleppt sich die Partie nicht nur hin - Schwarz schippert auch noch voller Kraft auf den Remishafen zu!] 41...Te3 42.Ld4? [42.Lg3 Txg3 Das Qualitätsopfer ist nun nicht mehr ganz so folgenreich wie in der Partie. Weiß steht danach weiter vor einem relativ leichten Sieg. 43.Kxg3 Txc7 44.h6! gxh6 45.Txa6 h5 46.g5 Tb7 47.Ta4 Kd6 48.Kf4 (48.Kh4 Kc6 49.Kxh5 Kb5 50.Ta1 Td7 51.f6 Kxb4 52.Tf1 Tf7 53.g6 hxg6+ 54.Kxg6 Tf8 55.f7 a5 56.Tb1+ Kc3 57.Kg7 Txf7+ 58.Kxf7 a4 führt zum Remis.) 48...Kd5 49.Ta5+ Kd6 50.b5 Kc5 51.f6 Kb4 52.Ta1 h4 53.Ke5 Txb5+ 54.Kf4 Kc3 Es drohte 55.Tb1+ 55.Txa7 Tb4+ 56.Kf5 Tb5+ 57.Ke6 Tb6+ (57...Txg5 58.f7 lässt den Bauern durchmarschieren.) 58.Ke7 h3 59.f7 h2 60.f8D h1D 61.Dg7+ Kc4 62.Df7+ Kc5 Ändert wie andere Züge auch nichts am baldigen Verlust. (62...Dd5 kostet die Dame nach 63.Ta4+ ) 63.Df2+ Kd5 64.Td7+ Ke5 65.Dxb6 ; 42.Lf4 ist schlechter wegen 42...Te4 ] 42...Td3 43.Lxa7? Mit [43.Le5 hätte der Anziehende wieder in obige Variante mit Lg3 einlenken können.] 43...Txc7 44.Lc5+ Kf7 45.Txa6 Td5 [45...h6 wäre ein guter Zug, um die weiße Bauernphalanx am weiteren Vormarsch zu hindern.] 46.Ta8 Tdxc5! Wickelt in ein Turmendspiel ab, das laut Hübner und dem Kuppenheimer Großmeister Ludger Keitlinghaus als Remis gilt. 47.bxc5 Txc5 48.Ta7+ Kg8 49.h6 gxh6 50.Kh5 Tc6 51.Te7 Tc4 52.Te6 Kg7 53.Txh6 Tc1 [53...Txg4 funktioniert nicht wegen des Zwischenzugs 54.f6+ Kf7 55.Kxg4 ] 54.Kg5 Tg1 55.f6+ Kg8 56.Th3 Tf1 57.Te3 Tf2 58.Te8+ Kf7 59.Th8 Txf6?? [59...Th2 verteidigt den halben Punkt einfach: 60.Kf5 Tf2+ 61.Ke5 Te2+ 62.Kf4 Kxf6 63.Txh7 mit bekannter Remisstellung.] 60.Txh7+ Ke6 61.Th6 Das ist das Problem: Weiß tauscht die Türme und unterstützt sogleich den Durchmarsch des g-Bauern. 61...Txh6 62.Kxh6 Kf7 63.g5 Kg8 64.Kg6 und Weiß hat die Opposition - im Gegensatz zur Politik ist diese im Schach erstrebenswert und von Vorteil! Der Beweis: [64.Kg6 Kh8 65.Kf7 Kh7 66.g6+ Kh6 67.g7 ] 1-0

 

   So blieb Schuh doch der Ärger über einen verpassten Sieg erspart. Zeitgleich hatte auch Velimir Kresovic gewonnen, womit das 3:1 der Rochade Kuppenheim über Bundesliga-Spitzenreiter OSC Baden-Baden perfekt war. Tags darauf holte Schuh auch im Pokal-Achtelfinale gegen Kirchheim einen ganzen Punkt. Der Leistungsträger des badischen Pokalsiegers bezwang Klaus-Peter Zuse. Trotzdem schied der Gastgeber mit 1,5:2,5 gegen den Erstligisten aus.

 

Deutscher Pokal in Kuppenheim

Die Kuppenheimer Pokalhelden Hubert Schuh (links) und Velimir Kresovic (dahinter) schlugen den ehemaligen Kuppenheimer Helmut Reefschläger und Raoul Strohhäker. Foto: Metz


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