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Anderssen hatte Fluchtköfferchen immer am Brett stehen

Nach 136 Jahren erstes deutsches Buch über legendäres Turnier Baden-Baden 1870

von FM Hartmut Metz, 15. Juli 2006

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Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870

Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870 / Der unbekannte Schachmeister Adolf Stern, Schachzentrale Rattmann, ISBN 3-88086-190-0; 19,90 Euro.

 

   Schon bald nach dem Turnier 1870 in Baden-Baden hatten Organisator Ignaz Kolisch und Johannes Minckwitz – Teilnehmer des legendären Wettbewerbs und Redakteur der „Deutschen Schachzeitung“ – ein Buch darüber angekündigt: „Dasselbe wird in sehr einfacher, sachgemäßer Weise die Vorgänge in Baden-Baden berichten und sämtliche, sich einigermaßen zur Wiedergabe eignende, daselbst gespielte Partien, mit Anmerkungen versehen, sowie ein von dem berühmten Schriftsteller Herrn Iwan Turgenjew verfasstes Vorwort enthalten.“

   Daraus wurde nichts. Im Gegensatz zu vielen weit unbedeutenderen Wettbewerben wurde Baden-Baden 1870 bisher nur in einem englischen Werk mit fast allen Partien gewürdigt. Bis ein Buch über das erste legendäre Turnier in Deutschland herauskam, dauerte es 136 Jahre! Die Aufgabe bewältigte nun der Karlsruher Stefan Haas mit Bravour. Der 43-Jährige trug allerlei Interessantes zusammen und setzte den Verlauf des von Adolf Anderssen gewonnenen Turniers in Beziehung zum gleichzeitig beginnenden deutsch-französischen Krieg anno 1870/71. Der überragende Breslauer Anderssen hatte immer ein Fluchtköfferchen an seinem Tisch stehen, um im Bedarfsfalle vor den gefürchteten französischen Turkos, sollten sie den Rhein überqueren, Reißaus nehmen zu können. Mehr über die Geschichte des Turniers, das heute exakt vor 136 Jahren eingeläutet wurde, und das Buch von Haas in den nächsten Schachspalten.

    Mit der nachstehenden Partie hat es eine besondere Bewandtnis: Es handelt sich um eine Wiederholung. In der dritten Runde hatte Louis Paulsen gegen Cecil Valentine de Vere eine Gewinnstellung erreicht. Weil er jedoch mit schrägem Kopf auf die Uhr schaute, entdeckte er nicht, dass er sich mit seinen Zügen sputen musste. Das unbestechliche Fallblättchen für Schachuhren war damals noch nicht erfunden. Tatsächlich hatte der Meister aus Blomberg schon eineinhalb Minuten mehr verbraucht, als ihm mit einer Stunde pro 20 Züge zustanden. Sein Kontrahent de Vere verzichtete trotz der drohenden Niederlage edelmütig auf eine Reklamation – ganz anders Kontrahent Henry Blackburne, der die Gelegenheit gekommen sah, einen Rivalen um die vorderen Plätze um einen Punkt zu bringen. Deshalb schaltete der Brite die Turnierleitung ein. Diese fällte jedoch keine Entscheidung zu Gunsten de Veres und setzte stattdessen eine Neuauflage der Partie an. Diese gewann Paulsen in großem Stil – in der noch am selben Tag folgenden vierten Runde nahm jedoch der Engländer genauso eindrucksvoll Revanche.

 










Paulsen,Louis - De Vere,Cecil Valentine [C01]
Baden-Baden (3), 20.07.1870

1.e4 e6 2.d4 d5 3.exd5 exd5 4.Sf3 Ld6 5.c4 Sf6 6.Le3 0-0 7.c5 Le7 8.Sc3 Se4? [8...Le6 muss geschehen, befand Zukertort in der "Neue Berliner Schachzeitung".] 9.Dc2 Sxc3 10.bxc3 Te8 11.Ld3 Weiß steht nun ausgezeichnet, urteilte Turnierteilnehmer Johann Minckwitz in der Deutschen Schachzeitung. 11...g6 12.0-0 Sd7 [12...Sc6 war vorziehen (Zukertort).] 13.Tae1 f5? 14.c4 c6? 15.cxd5 cxd5 16.Lb5! Ein sehr unangenehmer Zug für Schwarz! (Minckwitz). Weiß nimmt nun den Angriff auf und nutzt die Schwächen des schwarzen Spiels sehr geschickt aus (Zukertort). 16...Tf8 17.Lh6 Tf7 18.c6! Sb6 Auf [18...bxc6 wird das schwarze Spiel ebenfalls gänzlich unhaltbar. Weiß spielt die Partie wunderhübsch! (Minckwitz). Zukertort gibt folgende Variante nach dem Schlagen auf c6 an: 19.Lxc6 La6 (19...Dc7 20.Tc1 Dieser Zug genügt auch. Ohne Computer zur Überprüfung entgingen aber den alten Meistern taktische Schläge wie (20.Txe7! ) 20...Tb8 21.Lxd5 ) 20.Lxa8 Dxa8 21.Da4 Sb8 22.De8+ Lf8 23.Te7! ] 19.c7 Dd6 20.Le8 Tf6 21.Lf4! Dxf4 Auf [21...Db4 folgt 22.a3 Dxa3 23.Te3 Db4 24.Tb1 mit Offiziersgewinn, vermerkt Minckwitz.] 22.Txe7 Sc4 23.Tfe1 a6 24.De2 b5 25.Lc6 [25.Lc6 An dieser Stelle widersprechen sich einige Quellen. Vier von fünf gehen allerdings davon aus, dass Schwarz aufgab. Die andere lässt die Partie bis zum sehenswerten Matt fortlaufen: 25...Txc6 26.Te8+ Kg7 27.De7+ Kh6 28.Dxh7+ Kxh7 29.T1e7+ Kh6 30.Th8# ] 1-0

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