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"Schwarzer Tod" unter Spionageverdacht

Blackburne in Rastatt verhaftet; Schachturnier Baden-Baden 1870, Teil III

von FM Hartmut Metz, 29. Juli 2006

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Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870

Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870 / Der unbekannte Schachmeister Adolf Stern, Schachzentrale Rattmann, ISBN 3-88086-190-0; 19,90 Euro.

 

   Wegen des deutsch-französischen Krieges, klagt Johannes Minckwitz, habe das Schachturnier von 1870 in Baden-Baden nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Das stimmt für die damalige Zeit, weil viele Kurgäste aus dem mondänen Ort nahe der Grenze abreisten. Auch Teilnehmer Adolf Stern gab auf und rückte ein in die von Preußen angeführten Truppen. Minckwitz, Redakteur der Deutschen Schachzeitung, hatte bezüglich der damaligen Resonanz Recht. In der Geschichte des königlichen Spiels wird der Baden-Badener Wettbewerb aber ewig einen herausragenden Stellenwert besitzen.

   In dem vor kurzem erschienenen Werk „Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870 / Der unbekannte Schachmeister Adolf Stern“ (wir berichteten in den vorherigen zwei Ausgaben) werden neben den Geschehnissen auf dem Brett und auf den Schlachtfeldern auch hie und da Zusammenhänge geschildert: So kehrte Joseph Henry Blackburne an einem spielfreien Tag in ein Hotel in Rastatt ein. Dort wurde der Engländer verhaftet: Spionageverdacht! Der bewahrheitete sich auch – aber nicht beim „Schwarzen Tod“, wie Blackburne ehrfürchtig von seinen Kontrahenten genannt wurde, sondern bei seinem Kutscher. Ein Franzose hatte sich ihm angedient und war in der Verkleidung in die Festung gelangt. Blackburne durfte tags darauf das Hotel wieder verlassen, bekam alle Kosten ersetzt und kehrte nach Baden-Baden zurück.

   Den legendären Wettbewerb 1870 gewann Adolf Anderssen vor Wilhelm Steinitz, dem ersten offiziellen Weltmeister der Schach-Historie. Der Endstand beim Turnier in Baden-Baden 1870: 1. Anderssen 13 Punkte, 2. Steinitz 12,5, 3. Blackburne, Neumann je 12, 5. Paulsen 9,5, 6. de Vere, Winawer je 8,5, 8. Minckwitz, Rosenthal je 7.

   Der nachstehenden Partie hat Garri Kasparow in seiner derzeit noch erscheinenden vorzüglichen Reihe „Meine großen Vorkämpfer“ (Edition Olms) besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zum Sieg über Louis Paulsen in Baden-Baden schreibt die russische Koryphäe: „In jenen Jahren entwickelte der künftige Weltmeister eine neue, scharfe Eröffnung, die in die Geschichte als Steinitz-Gambit einging. In ihr sind auf außergewöhnliche Weise die Angriffsvorstellungen vergangener Meister, die oftmals den König einfach im Zentrum stehen ließen, mit den Erkenntnissen der neuen Schule verflochten. Steinitz stellte eine äußerst originelle These auf (auch wenn diese, wie sich später herausstellte, nicht auf alle Positionen zutrifft): ,Trifft man die nötigen Sicherheitsvorkehrungen, so ist der König eine starke Figur, die sich auch selbst verteidigen kann …’ Aus den zahlreichen Begegnungen, die Steinitz mit seinem Gambit gewinnen konnte, hinterließ jene gegen Louis Paulsen wohl den bleibendsten Eindruck.“

 










Steinitz,William - Paulsen,Louis [C25]
Baden-Baden (13), 30.07.1870

1.e4 e5 2.Sc3 Sc6 3.f4 exf4 4.d4?! Der Zug, der das Steinitz-Gambit einleitet. 4...Dh4+ 5.Ke2 d6 6.Sf3 Lg4 7.Lxf4 0-0-0?! Als die "logischste Zugfolge" bezeichnet Kasparow [7...f5 , um in allen Varianten "hervorragendes Spiel" gegen die offene Königsstellung zu erlangen.] 8.Ke3 Dh5 [8...De7!? 9.Kf2 f5 10.exf5 Dd7 hält Kasparow für besser.] 9.Le2 Da5? Erneut ist [9...f5 angebracht, um nach 10.h3 Lxf3 11.Lxf3 De8 12.Kf2 fxe4 "schrittweisen Ausgleich" zu bekommen.; 9...g5! 10.Sxg5 Sf6! 11.h3 Lxe2 12.Dxe2 Dg6 13.d5 Se5 14.Sf3 Lh6! bescherte Lajos Portisch 1975 gegen Janez Barle exzellente Kompensation für den Bauern.] 10.a3! Auch am Damenflügel droht der Dame Ungemach. 10...Lxf3 11.Kxf3! Nur so. [11.Lxf3? g5 12.Lg3 Lg7 bringt Schwarz zurück ins Spiel.] 11...Dh5+ [11...g5? würde nun mit 12.b4 pariert. Schließlich schlägt der Bauer auf f4 jetzt nicht mit einem Zwischenschach! 12...Db6 13.Le3 mit zu vielen Drohungen wie d5 oder Sa4.] 12.Ke3 Dh4 13.b4 g5 14.Lg3 Dh6 15.b5 Sce7 16.Tf1 Sf6 17.Kf2 Sg6 18.Kg1 Der sowjetische Autor Ivo Neistadt bemerkte einst zu der erreichten Stellung: "Es ist kaum zu glauben, dass Weiß sechs seiner 18 Züge mit dem König ausführte! Die unglückliche Stellung der Dame sticht sofort ins Auge!" Während der weiße Monarch an einem sicheren Plätzchen ankam, wird der verwaiste schwarze Damenflügel rasch aufgerollt. 18...Dg7 19.Dd2 h6 20.a4 Tg8 21.b6! Dieses typische Bauernopfer ist der beste Zug. Steinitz öffnet Linien für seine Attacke. 21...axb6 22.Txf6! Ein schönes positionelles Opfer. Danach erhält der Springer sein Idealfeld d5. 22...Dxf6 23.Lg4+ Kb8 24.Sd5 Dg7 25.a5 Nutz- und wehrlos steht die schwarze Armada herum. 25...f5 Paulsen will die Dame zur Verteidigung am Damenflügel einsetzen. Schneller verliert beispielsweise [25...Se7 26.axb6 Sxd5 27.Ta8+! Kxa8 28.Da5+ Kb8 29.Da7# ; oder 25...b5 26.a6 b6 27.a7+ Kb7 28.c3 f5 29.Da2 Ka8 30.exf5 Sf4 31.Lxf4 gxf4 32.Sxb6+ cxb6 33.Lf3+ d5 34.Dxd5+ Txd5 35.Lxd5+ Db7 36.Lxb7+ Kxb7 37.a8D+ Kc7 38.Ta7+ Kd6 39.Dd8+ Kc6 40.Dd7# ] 26.axb6 cxb6 27.Sxb6! Se7 [27...fxg4? 28.Ta8+ Kc7 29.Dc3+ Kxb6 30.Da5+ Kc6 31.d5+ Kd7 32.Dxd8# ] 28.exf5 Eine minimale wie verzeihliche Ungenauigkeit. [28.Db4 hätte die Partie noch schneller beendet. 28...Kc7 29.Sa8+ Kc8 30.Lxf5+ Td7 31.Lxd7+ Kxd7 32.Dxd6+ Ke8 33.Sc7+ Kf7 34.De6# ] 28...Df7 29.f6 Sc6 30.c4 Sa7 31.Da2 Eigentlich war es Zeit aufzugeben, doch Paulsen lässt sich lieber matt setzen. 31...Sb5 32.Sd5 [32.Da8+ Kc7 33.Da5 Kc6 34.Dxb5+ Kc7 35.Dc5+ Kb8 36.Ta8# ] 32...Dxd5 33.cxd5 Sxd4 34.Da7+ Kc7 35.Tc1+ Sc6 36.Txc6# 1-0

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