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"Grandioser" Gefängniswärter enttarnt

Mario Seitz gaukelt Sensationssieg bei Olympiade vor

von FM Hartmut Metz, 5. August 2006

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   Zunächst hat Deutschland seinem neuen Star kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das mag daran liegen, dass Schach in den Medien hier zu Lande bestenfalls in der zweiten Reihe steht. In Hünfeld reifte offensichtlich der künftige Weltmeister heran: Mario Seitz. Allein die „Fuldaer Zeitung“ nahm Notiz vom märchenhaften Aufstieg des in der deutschen Ratingliste außerhalb der Top 30.000 liegenden Spielers aus Osthessen.

   Erst gewann Seitz laut dem Blatt zum zweiten Mal die deutsche Bundeswehr-Meisterschaft, dann sorgte der vermeintliche Ausnahmekönner bei der Schach-Olympiade in Turin für eine Sensation. In einem der fünf Beiträge über den Höhenflug des 31-Jährigen stand zu lesen: „Mit dem Sieg ging für ihn auch ein Kindheitstraum in Erfüllung, denn er stand seinem Vorbild Garri Kasparow gegenüber. Der russisch-amerikanische Großschachmeister überreichte Seitz den Siegerpokal.“

   Der russische Schach-Großmeister befand sich jedoch wie Seitz nicht in Turin und ist kein Amerikaner, wie ein Leser bemerkte und der Zeitung einen Tipp gab. Nach Recherchen der Betreiber der Webseite www.deep-chess.de ruderte die Redaktion der „Fuldaer Zeitung“ im fünften Beitrag über das Gründungsmitglied der SG Springer Burghaun endlich verzweifelt zurück: Statt zu einer weiteren Jubelarie anzusetzen (wie am 20. Juni: „Außenseiter wird Olympiasieger“ mit Bild des genialen Osthessen samt zweistöckigem Pokal), räumte man zerknirscht ein: „Alles ist erstunken und erlogen“, wird Klaus-Jörg Lais, Pressesprecher des Deutschen Schachbundes, auf einmal zitiert.

   Der Vollzugsbeamte aus Großenbach hatte die „Fuldaer Zeitung“ mit Information gefüttert: „Der 31-Jährige beeindruckte die Konkurrenz durch vier Siege in Folge. Erst ein Niederländer stoppte die Serie. ,Ich hatte seine Spielstärke unterschätzt’, sagt Seitz. Die folgenden beiden Partien spielte er Remis und holte sich noch einen Sieg – das reichte fürs Finale. Dort traf er auf den Chinesen Zha Lee, den er nach sechs Stunden bezwang!“

   Das klang alles so überzeugend, dass sogar der hessische Justizminister Jürgen Banzer (CDU) ein Glückwunschtelegramm an seinen Mitarbeiter schickte: „Wir sind stolz, mit Ihnen einen Olympiasieger in den Reihen der Justiz zu haben“, hieß es darin. Die „Fuldaer Zeitung“ blieb natürlich rührig am Ball: „Als eine äußerst große sportliche Leistung, die über die Region hinaus auf Anerkennung stoße, hat Hünfelds Bürgermeister Eberhard Fennel den Sieg des Großenbachers Mario Seitz bei der Schach-Olympiade gewürdigt. Am Empfang zu Ehren des erfolgreichen Schachspielers nahmen ebenfalls die Bürgermeister Hermann Trabert (Nüsttal) und Alexander Hohmann (Burghaun) teil. Hoch erfreut über das ,grandiose Abschneiden’ seines Mitarbeiters Mario Seitz äußerte sich Werner Päckert, Leiter der Hünfelder Justizvollzugsanstalt. Er ermöglichte Seitz regelmäßig, immer rechtzeitig mehrmals in der Woche von seiner Dienststelle zum Training nach Koblenz zu fahren. Auch für die Weltmeisterschaft in Turin wurde er problemlos freigestellt. Da der 31-jährige Seitz mehr als zwei Jahrzehnte bei seiner Familie im Nüsttal wohnte, gratulierte Bürgermeister Trabert. In seiner Rede betonte er das Durchhaltevermögen, die Intelligenz und das außergewöhnliche Konzentrationsvermögen des exzellenten Schachspielers.“

    Mittlerweile haben sich die Honoratioren von Super-Mario distanziert. Seitz muss dienstliche Konsequenzen fürchten. In die eigene Haftanstalt wird er aber kaum eingeliefert werden, selbst wenn er sich Urlaub für Turniere ergaunert haben sollte – etwa für die Bundeswehr-Meisterschaften, bei der sich Seitz angeblich als Sieger für die Olympiade qualifizierte, tatsächlich diese jedoch auf Platz 24 beendet hatte.

   Die Mühe, auch noch Partien zu seinen grandiosen Siegen zu erfinden, machte sich Seitz nicht. Dass aber auch überlegene Spieler einmal bezwungen werden können, bewies vor drei Wochen Twan Burg in der ersten Runde beim Open in Amsterdam gegen den gleichaltrigen Internationalen Meister Wouter Spoelman (Jahrgang 1990).

 










Burg,Twan (2268) - Spoelman,Wouter (2461) [C45]
3rd ACT Amsterdam NED (1), 15.07.2006

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sxc6 bxc6 6.e5 De7 7.De2 Sd5 8.c4 La6 9.De4 Sf6 10.De2 Sd5 11.De4 Sb6 Natürlich will der deutlich stärkere Spieler eine dreifache Stellungswiederholung und das daraus resultierende Remis vermeiden. 12.Sc3 De6 13.b3 Lb4 14.Ld2 Lxc3 15.Lxc3 d5 16.Dh4 dxc4 17.Tc1 [17.Le2! Sd5 18.Lxc4 Lxc4 19.Dxc4 Sxc3 20.Dxc3 0-0 21.0-0 ist klar besser für Weiß.] 17...Dg6 18.bxc4?! [18.Lb4 stellt eine gute Alternative dar, um Schwarz auch die kleine Rochade zu vermiesen.] 18...0-0 19.Le2! Dxg2? 20.Kd2? Sieht auf den ersten Blick stark aus, weil der König flieht und unangenehme Drohungen wie Ld3 und Thg1 auftauchen. Richtig ist indes [20.Ld3! Dxh1+?? (20...f5? 21.exf6 g6 22.Kd2 Df3 23.Thg1 Tfd8 24.Ld4! Td7 25.Txg6+! hxg6 26.f7+ Kxf7 27.Dh7+ Kf8 28.Dh8+ Kf7 29.Dg7+ Ke6 30.Te1+ nebst folgendem Matt.; 20...h6! 21.Le4 Dg5 22.Dxg5 hxg5 23.h4! g4 (23...gxh4? 24.Txh4 Tfd8 25.Lh7+ Kf8 (25...Kh8 26.c5 Sd5 27.Ld3+ Kg8 28.Lxa6 ) 26.Lb4+ Ke8 27.Lf5 mit baldigem Matt.) 24.Lxc6 Tab8 25.Tg1 Lxc4 26.Txg4 Le6 27.Td4 mit leichtem Vorteil für Burg.) 21.Ke2 g6 (21...Dxc1?? 22.Dxh7# ) 22.Txh1 ] 20...Tad8+ [20...Sxc4+ 21.Lxc4 Lxc4 22.Dxc4 Dxf2+ 23.Kd3 Tfd8+ 24.Ld4 c5 25.Dxc5 Df3+ 26.Kc4 dürfte noch gerade in der Remisbreite für Weiß sein.] 21.Ke3 Dg6 22.Tcd1 Txd1? [22...f6! Ein Zug, der Schwarz leicht entgehen kann. Dieser sieht aus wie eine Schwächung der Königsstellung. Weiß darf jedoch nicht nehmen, weil dann die e-Linie aufgeht und der König auf e3 im Regen steht.] 23.Txd1 Dc2? Nach [23...De6 24.Td8 f6 25.Txf8+ Kxf8 26.Dxh7 Sxc4+ 27.Lxc4 Dxc4 28.Dh8+ Kf7 29.Dh5+ Ke7 30.exf6+ gxf6 31.Dh7+ Kd6 32.Dc2 c5 steht der Nachziehende besser wegen der erneut gefährdeteren Königsstellung von Weiß.] 24.Ld3! Sxc4+? [24...Sd5+ ist zäher, verliert jedoch ebenso: 25.cxd5 Lxd3 26.Txd3 cxd5 27.Dd4 ] 25.Kf4 [25.Kd4! erweist sich als noch klarer, weil die Dame d8 kontrolliert und Schwarz so kein Schach mehr zur Verfügung steht.] 25...h6 26.Lxc2 g5+ 27.Kf5 Lc8+ 28.Kf6 gxh4 29.Tg1+ Kh8 30.Ke7 Ein schöner Schlusszug. Der in den feindlichen Reihen angelangte König attackiert den Turm, der kein gutes Plätzchen mehr findet. [30.Ke7 Tg8 31.e6+ Tg7 32.Lxg7+ Kg8 33.exf7# ] 1-0

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