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Schmutzige Züge um Toilette

Abstruser Vorwurf: Beschiss auf dem Klo; Schach-WM steht nach Kramniks kampfloser Niederlage vor Abbruch

von FM Hartmut Metz, 30. September 2006

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Wladimir Kramnik

 

Wesselin Topalow

Wladimir Kramnik

 

Wesselin Topalow

 

   Aus 50 Toilettengängen hat sich ein Drama entwickelt: Die Schach-Weltmeisterschaft in Elista (Russland), mit der die zwei Titel vereinigt werden sollten, steht vor dem Abbruch. Der mit 3:1 führende Wladimir Kramnik hat gestern Mittag mehr als eine Stunde lang in seinem Ruheraum gewartet und sich nicht ans nur wenige Schritte entfernte Brett begeben. Derweil saß Wesselin Topalow, Champion des Schach-Weltverbandes FIDE, wie die Unschuld vom Lande hinter seiner schwarzen Figurenreihe. Nachdem Kramniks Schachuhr eine Stunde lang vor sich hinlief, stoppte sie Schiedsrichter Geurt Geijssen und sprach Topalow den Punkt zum 2:3 zu.

   Ob die mit einer Million Dollar dotierte WM damit beendet ist, wird sich heute zeigen. Die sechste Partie ist auf 15 Uhr kalmückischer Ortszeit angesetzt. Kramnik macht sein Erscheinen von der Entscheidung des Berufungsgerichts abhängig. Mit einem Schreiben an dieses hatte auch die Eskalation begonnen. Das Management Topalows hatte „mehr als 50 Toilettengänge“ Kramniks beklagt. Das sei „verdächtig“. Die Bulgaren meinen dabei weniger einen Verdacht auf Blasenschwäche, sondern wittern Computer-Unterstützung bei der Zugauswahl. Der Waschraum ist der einzige Bereich, der nicht durch Videokameras kontrolliert wird.

   Dass laut seiner „Statistik“ Topalow nur vier- bis achtmal pro Partie in der Toilette verschwinde, sein russischer Widersacher aber ständig, wertete Manager Silvio Danailow dreist als Betrugsversuch und forderte die Sperrung der Waschräume. Der albernen Argumentation folgte das Berufungsgericht zum Teil und beschloss, den beiden Weltmeistern nur noch eine Toilette zur Verfügung zu stellen. Daran änderte auch nichts, dass Kramnik darauf hinwies, dass „die Räume sogar durch die Polizei kontrolliert wurden“. Und den Waschraum habe er nur so oft betreten, weil „der Ruheraum so klein sei und ich diesen mit als Auslauf“ benutze.

   Für den 31-Jährigen war gestern „das Maß voll“. Der Moskauer fühlt sich nicht nur wie in einer „Reality-Show“, weil die Videoaufzeichnungen aus seinem Ruheraum weitergegeben wurden. Kramnik sieht sich auch durch die FIDE, die ihren Weltmeister Topalow in allerlei Punkten bevorzugt habe, benachteiligt. Der Russe pochte jetzt auf Einhaltung der schriftlich fixierten Ruheräume samt dem inzwischen versiegelten Waschraum. Ansonsten werde er keinen Zug mehr in Elista ausführen.

    Bis dato halten sich hartnäckig Gerüchte, dass das Gespann Topalow/Danailow in vorherigen Turnieren selbst Computer einsetzte. Dass Kramnik über den Verdacht erhaben ist, zeigt sich zum einen in seiner dauernden Forderung nach elektronischen Kontrollen. Zum anderen wäre ihm kaum so ein Patzer wie in der zweiten Partie unterlaufen. Dort ruinierte der Moskauer in einem Zug eine Remisstellung. Der zuvor genial spielende Topalow konnte dies jedoch nicht nutzen und kassierte sogar das 0:2.

 










Topalow,Wesselin (2813) - Kramnik,Wladimir (2743) [D19]
WM-Titelvereinigung Elista (Russland) (2), 24.09.2006

1.d4 d5 2.c4 c6 Die Experten hatten eher Nimzo-Indisch oder Damenindisch erwartet. Die Zusammenarbeit mit Slawisch-Experte Jewgeni Barejew wirkte sich wohl auf Kramniks Repertoire aus. 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 dxc4 5.a4 Lf5 6.e3 e6 7.Lxc4 Lb4 8.0-0 Sbd7 9.De2 Lg6 10.e4 0-0 [10...Lxc3 11.bxc3 Sxe4 12.La3 galt lange Zeit als Hauptvariante. Für den geopferten Bauern erhält Weiß starken Angriff, weil der Läufer auf a3 dem König die kleine Rochade verwehrt.] 11.Ld3 Lh5 12.e5 Sd5 13.Sxd5 cxd5 14.De3 Lg6 Im Europacup 1999 versuchte Barejew [14...h6 gegen Kramnik!] 15.Sg5 [Nach 15.Lxg6 nimmt Schwarz mit 15...fxg6! und muss hernach keinen Angriff mehr am Königsflügel fürchten.] 15...Te8 16.f4 Lxd3 Der erste neue Zug. 17.Dxd3 f5 18.Le3 [18.Db5 bringt Weiß für einen Bauern nur in Schwierigkeiten. 18...De7 19.Dxb7 h6 20.Sh3 (20.Sf3? Sxe5! 21.Dxe7 Sxf3+ 22.Txf3 Txe7 mit leichtem Vorteil für de Nachziehenden.; 20.Sxe6!? Tab8 21.Dxd5 Dxe6 22.Dxe6+ Txe6 23.Td1 Tc6 24.d5 Tc2 25.Le3 Lc5 26.Lxc5 Sxc5 27.Tac1 Tbxb2 28.Txc2 Txc2 29.d6 Se6 30.g4 g6 31.Tb1 Sxf4 32.Tb8+ Kf7 33.Tb7+ Kf8 34.Tb8+ Kf7 35.Tb7+ mit Remisschluss.) 20...a6! und die Dame gerät in die Bredouille: 21.a5 Teb8 22.Dc6 Tc8 23.Db7 (23.Da4? Tc4 24.Le3 (24.Da2 Txd4-/+ ) 24...Ld2 25.Db3 Db4! 26.Ta3 Lxe3+ 27.Dxe3 Dxb2 28.Td3 ) 23...Tcb8 mit Zugwiederholung.] 18...Sf8 19.Kh1 Tc8? Die Kommentatoren empfehlen stattdessen [19...h6 oder; 19...Le7 , um den gefährlichen Springer zurückzutreiben.] 20.g4! Dd7 Nach langem Nachdenken rang sich Kramnik hierzu durch. [20...fxg4 21.f5 Le7 (21...exf5? 22.Dxf5 Dd7 23.e6! und nur mit 23...Txe6 kann Schwarz überhaupt noch weiterspielen. 24.Sxe6 Dxe6 25.Dxe6+ Sxe6 ) 22.Sxe6 Sxe6 23.fxe6 Lg5 24.Lxg5 Dxg5 25.Db3 und Weiß bleibt am Ruder.; 20...g6 ist schlecht und vor allem; 20...h6 taugt nichts wegen 21.Sxe6! Txe6 22.gxf5 und die Bauernlawine nebst Turmverdoppelung auf der g-Linie machen Schwarz das Überleben schwer.] 21.Tg1 Le7 22.Sf3 [Interessant ist erneut 22.Sxe6!? Dxe6 23.gxf5 Da6 24.Dd2! (24.Dxa6 bxa6 25.f6 Lxf6 ) 24...Ted8 25.Tg4 mit starkem Angriff auf der g-Linie.] 22...Tc4 23.Tg2 fxg4 24.Txg4 Txa4 [24...Tec8!? ist laut WM-Kommentator Ernesto Inarkjew eine brauchbare Alternative.] 25.Tag1 g6 26.h4 Tb4 27.h5 Db5 28.Dc2!! Der Damenzug wirkt wie ein Fehler, lässt er doch den Turm sogar mit Tempo auf b2 einsteigen. 28...Txb2 [28...Tb3! 29.hxg6 h5 30.g7 (oder 30.T4g2!? Dd3 ) 30...hxg4 31.gxf8D+ Kxf8 32.Dg6 Dd3 ! 33.Dh6+ Kf7 34.Txg4 Tg8 35.Dh5+ Kf8 36.Dh6+ Kf7 37.Dh5+ mit Dauerschach.; 28...Dc4? verliert dagegen nach 29.Dh2 mit durchschlagendem Angriff: 29...Dd3 30.hxg6 hxg6 31.Dh6 Kf7 32.Txg6! Sxg6 33.Dh7+ Kf8 34.Txg6 Db1+ 35.Lg1 Dxg6 36.Dxg6 ] 29.hxg6!! Das geniale Damenopfer krönt die letzten Züge, deren Hintergründe sich jetzt eröffnen. 29...h5! [29...Txc2 führt zum baldigen Matt: 30.gxh7+ Kxh7 31.Tg7+ Kh8 32.Tg8+ Kh7 33.T1g7+ Kh6 34.f5+ Lg5 35.Txg5 und Schwarz ist wehrlos.; Kramnik gestand nach der Partie, dass er sich bis zu dieser Stelle auf dem Pfad des Sieges wähnte. Er hatte nur 29...Sxg6 30.Txg6+? Kh8 berechnet, wonach Schwarz gewinnt. Erst jetzt entdeckte er; 29...Sxg6 30.Dxg6+!! hxg6 31.Txg6+ Kh7 (31...Kf7 32.Tg7+ Kf8 33.Tg8+ Kf7 34.T1g7# ) 32.T6g3 und Schwarz kann das Matt nur noch unter großen Opfern abwehren.] 30.g7! hxg4 [30...Txc2? 31.gxf8D+ Kxf8 32.Tg8+ Kf7 33.T1g7# ] 31.gxf8D+ Auch Topalow glaubte, er würde den vollen Punkt einfahren. "Dann entdeckte ich jedoch die Verteidigung mit Lg5, wonach ich mich wohl in der interessanten Position ins Remis fügen müsste", äußerte der FIDE-Weltmeister. 31...Lxf8?? [Nur 31...Kxf8 führt zu der von Topalow angesprochenen Variante: 32.Dg6 De2 33.Dxg4 Lg5!! Nur so ist das Matt zu parieren. 34.Te1 Dc2 35.fxg5 Kg7 mit beiderseitigen Chancen.] 32.Dg6+?? Die Kiebitze daheim an ihren Computern kritisierten diesen Zug harsch. Von den starken Großmeistern vor Ort sah jedoch auch keiner den im Prinzip einfachen Gewinn durch [32.Txg4+ Lg7 33.Dc7! Df1+ 34.Sg1 . Doch als Spieler weiß man: Der Angreifer ist so auf die Nähe des Königs und Züge auf der g-Linie fixiert, dass man dort die Entscheidung wähnt und sucht. Deshalb kann einem der Damenausfall nach c7 durchaus entgehen.] 32...Lg7 33.f5 Te7 [33...exf5 missfiel Kramnik zurecht. 34.Lh6 Dd7 35.Sg5! Tb6 36.Dh7+ Kf8 37.e6 Texe6! 38.Dh8+ Ke7 39.Dxg7+ Kd8 40.Sf7+ Kc8 41.Tc1+ Kb8 42.Lf4+ Ka8 43.Sd6 Dd8 44.Tc8+ Dxc8 45.Sxc8+- ] 34.f6 De2! 35.Dxg4 Tf7 36.Tc1? [36.Dh5 verspricht laut dem ukrainischen Großmeister Michail Golubew mehr: 36...a5 (36...Dxe3? 37.Sg5+- ) 37.Tg3!+- Dxe3 38.fxg7 Tb1+ 39.Kh2 Tb2+ 40.Kh3 Txg7 41.Sg5 Df2 42.De8+ Df8 43.Dxf8+ Kxf8 44.Sxe6+ Kf7 45.Sxg7 a4 46.Sf5 Tb3 47.Sd6+ Ke6 48.Kh4! Kd7 (48...Txg3? 49.Kxg3 a3 50.Sxb7 a2 51.Sc5+ Ke7 52.Sb3 ) 49.Tg7+ Kc6 50.Tg8 a3 51.Ta8 b5 52.Ta6+ Kd7 (52...Kc7 53.Txa3 Txa3 54.Sxb5+ Kc6 55.Sxa3 ) 53.Sf5 b4 54.e6+ und Weiß behält die Oberhand.] 36...Tc2 37.Txc2 Dd1+ 38.Kg2 Dxc2+ 39.Kg3 De4 40.Lf4? [Topalow ist noch immer zu sehr dem Angriffsgedanken verhaftet. Nach 40.Dxe4 dxe4 41.Sg5 kann sich Schwarz wohl kaum retten. 41...Lh6 (41...Lf8 42.Sxe6 sollte wegen der drei mächtigen verbundenen Freibauern verlieren.; 41...Tc7 42.Sxe6 ; Am aussichtsreichsten dürfte noch 41...Td7 42.fxg7 Txg7 43.Kf4 Tg6 44.Kxe4 sein, auch wenn da Weiß gewinnen sollte.) 42.Sxf7 Lxe3 43.Sd8! a5! (43...Lxd4? verliert wegen 44.f7+ Kf8 45.Sxe6+ Kxf7 46.Sxd4 a5 47.Kf4 a4 48.Sb5+- ) 44.d5 exd5 45.e6 Kf8 46.e7+ Ke8 47.Se6 Lb6 48.Sg7+ Kf7 49.e8D+ ] 40...Df5 41.Dxf5 exf5 42.Lg5 a5 Kramnik lässt seinen a-Bauern laufen, der die Leichtfiguren umgehend beschäftigt. 43.Kf4 a4 44.Kxf5 a3 45.Lc1 [45.Sd2 a2 46.Sb3 Tc7 47.e6 Lxf6 48.Kxf6 Kf8 49.Ke5 Th7 50.Kd6 (50.Kxd5 Th5 ) 50...Ke8 ist hoffnungslos.] 45...Lf8 46.e6 [46.Lxa3 verliert ebenso: 46...Lxa3 47.Ke6 b5 48.Kxd5 b4 49.Sd2 Td7+ 50.Kc4 Tc7+ 51.Kd5 Lc1 52.Sb3 Tc3 53.Sa5 b3 54.Sxb3 Txb3 ] 46...Tc7 47.Lxa3 [47.e7 Lxe7 48.fxe7 Txe7 49.Lxa3 Te3 erlaubt Schwarz den Übergang in ein gewonnenes Endspiel mit Mehrqualität.] 47...Lxa3 48.Ke5 Tc1 49.Sg5 Tf1?! [49...Tg1! ist stärker, um den Springer aus seiner dominanten Position zu vertreiben. 50.Sf7 b5 ] 50.e7 Te1+ 51.Kxd5 Lxe7 52.fxe7 Txe7 53.Kd6 Te1? Das verdirbt die Partie ins Remis. Laut den Tablebases, die diese Endspiele mit sechs Steinen perfekt bis zum Ende kennen, gewinnt nur [53...Te3! ] 54.d5 Kf8 55.Se6+? [55.Kd7! rettet laut den Tablebases das Unentschieden. Dieser Zug wie auch einige folgende sind allerdings für Menschen nur schwer zu finden. 55...b5 56.Se6+ Kf7 57.Sd8+ Kf6 58.Sc6 Tb1 59.Kd6! b4 60.Kc5! b3 61.Kb4! Kf5 (61...b2 62.Kb3 Td1 63.Kxb2 Txd5 und dieses Endspiel hält Weiß leicht remis.) 62.d6 Ke6 63.Sd4+ Kxd6 64.Sxb3 ] 55...Ke8 56.Sc7+ Kd8 57.Se6+ Kc8 58.Ke7 Th1 59.Sg5?! [59.Kd6 ist zäher.] 59...b5 60.d6 Td1 61.Se6 b4 62.Sc5 Te1+ 63.Kf6 Te3 und weil Weiß nach b3 den Springer für den Bauern geben muss, streckte Topalow die Waffen. 0-1

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