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Schock für Kramnik und die Zuschauer

Schach-Weltmeister übersieht gegen Programm Deep Fritz einzügiges Matt

von FM Hartmut Metz, 2. Dezember 2006

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Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

    Mit der ersten Hälfte des Kampfes „Mensch gegen Maschine“ kann Wladimir Kramnik nicht zufrieden sein. Nach drei der sechs Partien führte das Programm namens Deep Fritz in Bonn mit 2:1 gegen den Weltmeister. Erst im dritten Durchgang dominierte erstmals die Software aus Hamburg. „Nach dem, was in der zweiten Partie passiert war, musste ich heute mit doppelter Konzentration ins Match gehen. Das war psychologisch schwierig“, berichtete Kramnik mit Blick auf den anfängerhaften Patzer, bei dem er ein einzügiges Matt übersehen hatte. Erstmals zeigte sich der 31-Jährige beeindruckt von Deep Fritz. „Das Programm spielte sehr stark, aber ich verteidigte mich präzise und sicherte mir das Remis“, resümierte der Russe.

   Doch zurück zu Runde zwei, die das Publikum in der Kunst- und Ausstellungshalle und im Internet geschockt hinterließ: Ihr stärkster Vertreter hatte den schlimmsten Patzer seiner Karriere begangen und ein einzügiges Matt erlaubt! Anstatt in Führung zu gehen, kassierte Kramnik eine bittere Niederlage. Nachstehend die Partie.

  










Deep Fritz - Kramnik,Wladimir (2750) [D20]
Mensch - Maschine Bonn GER (2), 27.11.2006

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 b5 Ein selten gespielter Zug in der Großmeister-Praxis - Kramnik hat die Variante daher sicher für Fritz vorbereitet. 4.a4 c6 5.Sc3 b4 6.Sa2 Sf6 7.e5 Sd5 8.Lxc4 e6 9.Sf3 Weiß hat den Bauern zurück und besitzt Entwicklungsvorsprung. Der schlägt aber kaum zu Buche. Schwarz hat im Gegenzug den wunderbar platzierten Springer auf d5 erhalten. 9...a5 10.Lg5 Db6 11.Sc1 Logisch gespielt: Den abseits auf a2 stehenden Springer versucht Weiß zu reaktivieren. 11...La6 [Als weniger gut hat sich 11...h6 12.Ld2 La6 13.De2 Lxc4 14.Dxc4 Sd7 15.Sb3 c5 16.0-0 Le7 erwiesen. Loek van Wely verpasste im Vorjahr eine bessere Stellung gegen Joel Lautier. Statt 17.Tfc1?! hätte er (17.dxc5! Sxc5 18.Sxc5 Lxc5 19.Dg4! spielen sollen, wonach Schwarz gewisse Schwierigkeiten am Königsflügel zu lösen hat.) 17...cxd4 Nach dem schlechten weißen Zug stand Schwarz in der genannten Partie gut.] 12.De2 h6 13.Le3 Lxc4 14.Dxc4 Sd7 15.Sb3 Le7 16.Tc1?! Präziser ist [16.0-0 , um mit dem f-Turm nach c1 zu streben. Vorteil dabei: Der a-Bauer bleibt gedeckt. ] 16...0-0! 17.0-0 [Im Falle von 17.Dxc6?! Dxc6 18.Txc6 S7b6 macht sich der Schwächling auf a4 bereits bemerkbar. Schwarz erhält den Bauern zurück und steht deutlich besser.] 17...Tfc8 18.De2 c5 [18...Da6 hätte dafür gesorgt, dass Deep Fritz wohl wieder zurück in sein Eröffnungsbuch gekommen wäre. Die Stellung ist aus Garri Kasparow - Peter Swidler (Russisches Superfinale 2004) bekannt. Dann hätte Bediener Mathias Feist dem Gegner erneut den Bildschirm zudrehen müssen. Kramnik darf immer das Programm mitnutzen, so lange es sich in seiner Eröffnungsdatenbank befindet.] 19.Sfd2?! Danach übernimmt Schwarz die Regie. [Korrekt ist 19.dxc5 Lxc5! 20.Sxc5 Sxc5 21.Ld4 , obwohl es zunächst so aussieht, als befände sich der Springer auf c5 in einer äußerst unangenehmen Fesselung. 21...Tc6! (21...Da6 22.Dxa6 Sxa6 23.Tfd1 Kf8 24.Sd2 Ke7 25.Sb3 und Schwarz funkt S.O.S wegen seines a-Bauern. ) 22.Db5 Tac8 23.Tc2 Dxb5 24.axb5 T6c7 25.Tfc1 Sb7 26.Txc7 Txc7 27.Txc7 Sxc7 28.b6 Sd5 29.Sd2 mit ausgeglichener Stellung.] 19...Dc6! Das sieht zunächst merkwürdig aus, wandert die Dame doch von einer potenziellen Fesselung in die andere, diesmal auf der c-Linie. 20.Dh5 Hier ging ein Raunen durchs Publikum. Gegen einen Menschen würde man sich nicht sonderlich sorgen - bei einem Computer fürchtet man indes gleich einen schrecklichen taktischen Einschlag auf h6 mit weißer Attacke. Nichts bringt [20.Dg4 ein: 20...Sxe3 21.fxe3 Dxa4 22.Txf7?! (22.Df4 Tf8 23.dxc5= ) 22...Kxf7 23.Tf1+ Kg8! (23...Ke8 ist gefährlich. 24.Dxe6 Dc6 25.Df7+ Kd8 26.Sc4 Ta6?! (26...De4 27.e6 Sf6 28.Sxc5 und Schwarz steckt in Schwierigkeiten.) 27.d5 Dg6 28.d6 Dxf7 29.Txf7 ) 24.Dxe6+ Kh8 25.Dxe7 c4 26.Tf7 Te8 27.Dxd7 Dxd7 28.Txd7 cxb3 ; Auf 20.dxc5 gefällt 20...Sxe5! 21.Lxh6 Sg6 22.Le3 Sdf4 23.Lxf4 Sxf4 24.Dg4 Sd3 25.Tc2 Lf6 und der Nachziehende hat keinen Grund zu klagen.] 20...Dxa4! Unbeirrt bedient sich Kramnik. 21.Sxc5? Ein Schnitzer. [Wie die tägliche E-Mail-Schachzeitung "Chess Today" berichtet, erfreute der russische Großmeister Sergej Schipow seine Fans mit der faszinierenden Variante 21.dxc5 Db5 (21...g6?! 22.Dxh6 Sxe5 23.Ld4 Lf8 24.Dh3! Sf4 25.De3 Sed3 26.g3! Sxc1 27.Txc1 Sh5 28.g4! Sg7 29.Se4+- mit entscheidendem Angriff.) 22.c6! S5f6 (22...Txc6? natürlich nicht wegen 23.Sd4 ; Zum Ausgleich reicht hingegen 22...g6! 23.Dxh6 Sxe5 24.Ld4 Lf8 25.Dh4 Le7= ) 23.exf6! Dxh5 24.cxd7 Txc1? (24...Td8! 25.fxe7 Txd7 26.Tc5 f5 27.Sxa5 Txe7 gibt Weiß gute Gewinnchancen.) 25.fxe7 Tcc8[] Ansonsten geht nichts mehr, um eine Damenverwandlung zu verhindern. 26.Lb6! Dg5 27.dxc8D+ Txc8 28.Ld8 Txd8 29.exd8D+ Dxd8 30.Ta1 und Schwarz muss sich lange verteidigen, um das Remis zu sichern.] 21...Sxc5 22.dxc5 Sxe3 23.fxe3 Lxc5! [23...Tf8 24.Df3 Tac8 25.Se4 Db3 26.Df2 verspricht kaum mehr als Ausgleich.] 24.Dxf7+ Kh8 25.Df3 [Das potenzielle Dauerschach macht Schwarz zunichte nach 25.Dxe6? Lxe3+ 26.Kh1 Txc1 27.Txc1 Td8!-+ ] 25...Tf8 26.De4 Dd7 27.Sb3 [27.Sf3? verliert wegen 27...Dd5! 28.Dxd5 Lxe3+ 29.Kh1 exd5 ; Gleiches gilt im Falle von 27.Txc5 Dxd2 28.Txf8+ Txf8 29.h3 a4 30.Dd4 Td8 31.Dxd2 Txd2 32.Ta5 Txb2 33.Txa4 b3 34.Tb4 Kh7 35.Tb6 Kg6! 36.e4 (36.Txe6+ Kf5 37.Tb6 Kxe5 38.Tb4 Kd5 39.Kh2 Kc5 40.Tb7 Kc4 41.Txg7 Te2 und der b-Bauer kann nur noch durch ein Turmopfer vor der Verwandlung abgehalten werden.) 36...Kg5 37.g3 Den Königsmarsch nach f4 darf Weiß nicht zulassen.] 27...Lb6 28.Tfd1 Df7 29.Tf1 Da7! Lehnt keck die Einladung zur Remisschaukel [29...Dd7 30.Tfd1 Df7 ab.] 30.Txf8+ [30.Sd4 ist wohl etwas besser: 30...Lxd4 31.Txf8+ Txf8 32.Dxd4 Df7 33.h3 mit leichtem schwarzen Übergewicht.] 30...Txf8 31.Sd4 a4?! [Nach der Partie gefiel Kramnik 31...Lxd4 32.Dxd4=/+ (32.exd4?! a4 ist vermutlich schon verloren für Weiß. Die Bauern am Damenflügel sind extrem gefährlich.) 32...Df7 mit Übergang in die oben erwähnte Variante besser.] 32.Sxe6! Lxe3+ 33.Kh1 Lxc1?! [33...Te8 verlangt Deep Fritz mehr ab. Nur mit exakter Verteidigung erzielt der Computer dann die Punkteteilung: 34.Tf1! (34.Tc7?! Da6 35.Dxe3 Dxe6 36.Tc5 Df5! 37.De1 b3 und Schwarz gewinnt: 38.h3 a3 39.bxa3 b2 40.Tb5 Txe5 41.Tb8+ Kh7 42.Dd1 Td5 43.De1 Tb5 44.Txb5 Dxb5 45.Db1+ g6 46.Kh2 De5+ 47.Kh1 h5 48.a4 Kh6 49.a5 Dc3 50.Kh2 Dc7+ 51.g3 Dc1 mit Umwandlung.) 34...Da6! 35.Tf3! Dxe6 36.Txe3 Da6 37.h3 a3 38.bxa3 bxa3 39.Te1 a2 40.Ta1 Tf8 41.Kh2 De6 42.Dd4 Die Position wirkt unersprießlich - aber es ist auch nicht zu sehen, wie Schwarz den Bauern auf a2 verwerten kann.] 34.Sxf8 34...De3?? Ein unglaublicher Patzer! [34...Kg8 rettet wenigstens einen halben Zähler: 35.Sg6 Lxb2 36.Dc4+ Df7 (36...Kh7 37.Sf8+ Kh8 38.Sg6+ ) 37.Dc8+ Kh7 38.Sf8+ Kg8 ] 35.Dh7# 1-0

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