Richtig Rudern in der Schachdatenflut Fünf ChessBase-Silberscheiben wollen ihre Nutzer zu neuen Ufern des Schachwissens navigieren von Harald Fietz, Februar 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Nicht nur Berufsschachspieler sehen sich im 21. Jahrhundert zunehmend gezwungen, ihr Eröffnungsrepertoire zu erweitern oder gar neue Systeme zu spielen. Datenflut und Aktualität helfen im Internetzeitalter den Gegnern, die mit Datenbank und Schachprogramm systematisch nach Lücken in Abspielen fahnden. Mancherorts wird dieser Trend als schädliche Verwissenschaftlichung des originären Spielgedankens beklagt, doch fördert dieser Weg ohne Zweifel die Erkenntnistiefe über die erste Phase des Schachspiels. Schachwissen erwirbt man nicht mehr nur mit Nachspielen von Zugfolgen und Partien, sondern die CD-ROM als multimediales Hilfsmittel erlaubt, durch Visualisierung Zusammenhänge zwischen statischen und dynamischen Schachelementen zu verinnerlichen. Diese ermöglicht zudem, Trainingsdateien und Variantenbäume als interaktive Lernmethoden zu nutzen. Das Eröffnungswerk klassischer Prägung gerät ins Hintertreffen und Buchproduzenten suchen nach Nischen: Englische Verlage setzen schon länger verstärkt auf Einführungsbücher (z.B. John Emms, "Easy guide to Nimzo-Indian", Cadogan 1998, Tony Kosten, "Mastering the Nimzo-Indian with the read and play method", Batsford 1998 oder Chris Ward, "Starting out: the Nimzo-Indian", Everman Chess 2002), deutsche Verlage bieten vereinzelt hochwertiges Layout und gründliche Recherche, wie beim vielgelobten Buch aus dem Hause Chessgate von Stefan Kindermann und Ulrich Dirr zur französischen Winawer-Varainte. Bisweilen wird einer Modevariante ein ganzer Band gewidmet (z.B. Bogdan Lalic, "Classical Nimzo-Indian - the ever-popular 4.Qc2", Everyman Chess 2001). Doch die Silberscheiben in gefälligen DVD-Hüllen füllen stetig die Bücherregale.
Mitte 2002 meldete das Statistische Bundesamt, dass im Januar 2001 bereits 53 Prozent aller deutschen Privathaushalte über einen Personalcomputer verfügen, die Internet-Anschlussquote lag bei 27 Prozent. Da wundert es nicht, dass die Firma ChessBase als Marktführer monatlich zwei bis drei Produktionen - vorwiegend zu Eröffnungen - herausbringt. Fünf Angebote sollen unter die Lupe genommen werden. Anhand aktueller Partien vom Europacup für Vereinsmannschaften im griechischen Chalkidiki wird zudem überprüft, wie exakt die Autoren das theoretische Umfeld orten.
ChessBase 2002, ca.
25 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-47-2
Bewertung des Rezensenten:
Thema
Der in der Schweiz lebende Schach-Profi Vadim Milov hat sich zwei Eröffnungssystemen der Nimzowitsch-Indischen Eröffnung gewidmet, die beide von Zeit zu Zeit in Mode kommen. Sowohl der Sämisch-Variante als auch der 4.f3-Variante ist eigen, dass die Errichtung eines Bauernzentrums und schnelle Entwicklung der Figuren angestrebt werden. Damit unterscheiden sie sich von den positioneller ausgerichteten Hauptvarianten mit 4.e3 oder 4.Dc2. In den 50er Jahren suchte die sowjetische Schule mit Michail Botwinnik, David Bronstein, Efim Geller und Boris Spasski hier nach neuen Wegen. Zuvor hatte auch 1942 Klaus Junge zweimal damit experimentiert. Zwar gab es immer mal wieder aufsehenerregende Siege (z.B. Gheorghiu gegen Fischer in Havanna 1966), aber Hauptsysteme wurden die Varianten nicht. Dennoch sind über 2900 Partien vor 1990 gespielte Partien eine überaus solide Werkschau der beiden Varianten, die seit 1999 durch Spieler wie Alexei Schirow, Alexei Drejew, Konstantin Sakajew, Juri Yakovich und insbesondere Sergei Wolkow wieder salonfähig gemacht werden.
Konzept
Das Konzept der CD-ROM ist konventionell, aber schlüssig: Eine Einleitung nebst zehn Einführungstexten zur Varianten, 6950 Partien (davon 68 vom Autor kommentiert) und abschließend 20 Partien mit Trainingsfragen. Ein wenig mehr an historischen Hintergründen und statistischen Auswertungen hätte es sein dürfen, doch die Einführungstexte sind gut strukturiert und der Autor spart lobenswerterweise bei den Zusammenfassungen nicht mit subjektiven Bewertungen. Auch das Trainingsmaterial konfrontiert den Nutzer mit knapp-skizzierten Situationsbeschreibungen didaktisch geschickt, so dass man stets das Gefühl hat, wie in einer echten Partie, nun die eine wichtige Entscheidung treffen zu müssen. Die analysierten Partien sind an instruktivsten, wenn sie mit Texten ergänzt werden. Solche Statements hätte man sich häufiger gewünscht, da bloße Informatornotation für Spieler unter DWZ 2000 in der Regel nicht sehr hilfreich ist.
Fazit
Die Revue der für kreative Ideen noch offenen Varianten schließt dennoch fundamentale Lücken, da die meisten gedruckten Produktionen vorrangig aus Platzgründen selektiv vorgehen. Dabei meinte Viktor Kortschnoi, der für seine Abneigung neutraler Standpunkte bekannte Landsmanns des Autors, meint in einer Kommentierung seiner Beste-Partien-Sammlung zur Sämisch-Variante: "Meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, den verfrühten Läuferzug zu widerlegen." (Band 1, S. 199) . In diesem Sinne werden auch der Spieler über DWZ 2000 und selbst der Meisterspieler froh sein, hier ein umfassendes Kompendium zu finden. Für Spieler mit DWZ unter 2000 empfiehlt sich als ergänzender Leitfaden beispielsweise das Buch von Emms, das beiden Varianten immerhin 19 Seiten widmet. Auch Ward führt auf 12 Seiten in grundlegende Prinzipien ein.
Und danach
Für den Zeitraum 1999 bis Anfang 2002 stehen rund 1000 Partien zur Verfügung. Der St. Petersburger GM Sergei Wolkow, der in der Datenbank 32 Mal (18+/8=/6-) mit den weißen Steinen vertreten ist, wird in den drei Jahren mit 18 Begegnungen geführt. Und im September 2002 traf er auf die für Polonia Warschau spielende Nummer eins der Frauen, die im Datenbestand mit zwei Niederlage gelistet ist. Diesmal sollte es in einer dramatischen Partie etwas mehr werden.
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S. Wolkow - J. Polgar [E25]
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Eine zweite Meinung: Rezension von FM Hans Wiechert.
ChessBase 2002, ca.
20 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-45-6
Bewertung des Rezensenten:
Thema
Der erste Vorsitzende des Schachclub St. Ingbert wagt sich an ein umfangreiches Terrain, denn er nimmt sich eine einführende Betrachtung der gesamten Nimzo-Indischen Eröffnung vor. Diese ambitionierte Herangehensweise skizziert er eingangs: "In mehr als 300 entscheidenden Partien werden die verschiedenen Systeme der Nimzowitsch-Indischen Eröffnung aufgezeigt, Methoden der Stellungsbeurteilung dargelegt, das Entwickeln und Durchführen strategischer Pläne demonstriert und taktische Besonderheiten analysiert."
Konzept
Neben den über 300 Partien gibt es einige Sätze über den Namensgeber Nimzowitsch, ein Dutzend kurzer Texte zu Bauernstrukturen rund um die Eröffnung und sieben Statements zur Unterteilung in die Informator-Code. Die Trainingsdatei enthält 35 Partien, darunter aber auch reine Wissensfragen, welcher Zug, welche Variante einleitet. Als Beigabe werden über 47000 Partien mit Analysen aus früheren Chessbase-Produktionen, vorzugsweise der Magazine, dazugepackt (allein Lubomir Ftacnik ist mit 280 Analysen vertreten). Aber dieser Materialteil, der insgesamt über 1300 - zumeist nur mit Varianten versehenen - Partien enthält, hat leider keine inhaltliche Verknüpfung zum Analysepart.
Fazit
Da sich das Vorhaben an den jugendlichen Spieler oder den lernwilligen Vereinsspieler richtet, muss zentral die Qualität der Erklärungen für diese Zielgruppe beurteilt werden. Hier bleibt der Autor aber hinter seinem eigenen Anspruch zurück, benennt keine Quellen und nutzt kaum die Möglichkeiten, Zusammenhänge optisch anschaulich zu machen. Die Übersichten zu den Systemen sind reichlich dünn. Gerade als Vorspann zu über 300 Partien mit vorwiegend textlichen Ausführungen hätte hier allein der gewaltige Bestand deutscher und englischer Literatur ausgereicht, mehr historisches und aktuelles Hintergrundwissen zu liefern und die Wechselwirkungen zwischen Bauernstrukturen und Figurenspiel aufzuzeigen (einen ähnlichen, aber umfangreicheren Ansatz in 22 Kapiteln verfolgt beispielsweise das Buch von Kosten). Die meisten Aussagen Rippergers bleiben zu allgemein. Seine Befunde gelten für viele Eröffnungen und werden selten in den Kontext des Nimzo-Inders gestellt: "Ist das Brett durch Bauern verstellt, gibt es für Türme oder Läufer zu wenig Bewegungsfreiheit." oder "Bauern sind in großer Zahl vorhanden. Diese Vielzahl macht sie ungewöhnlich stark. Schon wenn zwei verbundene Bauern vorrücken, können sie in den Reihen des Gegner Panik auslösen." Leider fehlen neben der Visualisierung in Partien und Texten (selbst Diagramme wurden kaum verwendet) auch zusammenfassende Statements und Merkregeln. Wer praktische Anleitungen will, lernt - obwohl das Buch von 1998 ist und ausreichend Englischkenntnisse verlangt - auf 140 Seiten bei Tony Kosten wesentlich mehr. Auch das neuste Buch von Chris Ward liefert reichlich nützliche Tipps. Diese CD kann höchstens Novizen und Vereinsspielern bis DWZ 1700 empfohlen werden.
Und danach
In den 90er Jahre hat Capablancas Lieblingssystem mit 4.Dc2 einen Aufschwung erlebt und ständig galt es, sich mit vielen Partien auf dem Stand der Diskussion zu halten. Um 1997/98 kam - sicher auch aus rein praktischen Gründen - das scharfe 5.e4 als Antwort auf 4...0-0 in Mode. Die treffliche Überraschungswaffe, die auch Waldimir Kramnik anno 1998 bei seiner WDR-Fernsehpartie gegen Michael Adams anwandte, bedeutet zugleich eine erhebliche Arbeitserleichterung, waren doch nur 100-200 Spiele zu durchleuchten, um die wichtigsten Ideen zu verstehen. Der 25-jährige Großmeister Ivan Ivanisevic ist einer der Hauptverfechter. Im gesamten Datenbestand ist der im Europacup für Kisela Voda Skopje startende jugoslawische Nationalspieler mit 20 Partien vertreten. Unter dem E32-Eröffnungsindex ist er neunmal ausgewiesen, davon achtmal mit 5.e4. Aber leider vermittelt Ripperger nirgends etwas über die aktuellen Trendsetter und was Experten-Großmeister in bestimmten Varianten bevorzugen. Zu einem der meistdiskutiertesten Systeme, dem Lalic in seinem 2001 erschienen Buch 16 Seiten widmete, wird bei seinen 300 Analysen einzig die Informatoranalyse der TV-Begegnung ohne Erklärungen gebracht. In der fünften Runde des Europacups 2002 war es für Ivanisevic wieder einmal soweit. Gegen die Ukrainer von Danko Donbass saß ihm Georgi Timoschenko gegenüber. Bereits im zehnten Zug stieß man auf Neuland.
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I. Ivanisevic - G. Timoschenko [E32]
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Eine zweite Meinung: Rezension von Michael Lorenz.
ChessBase 2002, ca.
25 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-50-2
Bewertung des Rezensenten:
Thema
Das Schach ist eine Leidenschaft, und bisweilen kommt noch die Passion für einige spezielle Eröffnungen hinzu. Diesem Motto hat sich FIDE-Meister Martin Breutigam verschrieben. Königsindisch mit h3 erzielt nämlich eine Erfolgsquote von 60 Prozent. Also kein schlechtes Argument - auch für viele Weltklassespieler. In der Datenbank ist Michal Krasenkow mit 65 Spielen stark präsent und auch der letztes Jahr verstorbene Wladimir Bagirow hatte ein Faible dafür (56x). Selbst Kasparow (11x) wandte die Variante letztmals 1996 auf Las Palmas gegen Kramnik an. Sein Nachfolger wählte sie 7x mit Weiß. Aus den Top 20 sind ansonsten Shirow (16x mit beiden Farben), Jewgeni Barejew (14x nur mit Weiß), Iwan Sokolow (13x mit beiden Farben) und Alexander Chalifman (10x mit beiden Farben) dabei. In der erweiterten Weltspitze ist Alexander Beljawski (20x) zu nennen. Besonders en vogue ist der Vorbeugezug auch bei Großmeistern aus der zweiten Reihe (Akesson, Agrest, Cebalo, Barbero, Ivanisevic und viele, viele mehr) Und Bent Larsen blickt laut Datenbank auf 28 Partien in fast 40 Jahren zurück; er brauchte eben ein paar Seitenweg gegen die sowjetische Analysephalanx.
Angesichts dieser Beliebtheit widmet sich der Bundesligaspieler der SG Bremen den Hauptvarianten: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.h3 (Informatorschlüssel E 71) und 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Sf3 0-0 6.h3 (E 90 - John Watson taufte diese Variante das Bagirow-System, eine Bezeichnung, die sich allerdings nicht durchgesetzt hat). Ergänzt werden diese Eckpfeiler der Untersuchung um die Zugfolge 5.Sf3 Lg4 sowie die Abtauschvariante mit 5.Sf3 0-0 6.h3 e5 7.dxe5.
Konzept
Breutigam strukturiert sein Material natürlich entlang einer Hauptdatenbank, die in seinem Fall 10452 Partien enthält und hat anhand von 150 Begegnungen besonderes Augenmerk auf eine bislang in der Schachtheorie fehlende Systematik plus Einführungskommentaren. Daneben bietet seine Training-Einheit 20 Partien, die - wohl wegen der Pläne in frühem Partienstadium - hier zurecht nicht in typische Stellung springen, sondern das Geschehen von Zug eins an aufdröseln. Die eigentliche Qualität offenbaren die 150 Paradebeispiele. Hier fällt auf, dass der Autor bereits mit der Produktion der CD zur Tschigorin-Verteidigung einige Erfahrung gesammelt hat. Seine grundsätzlichen Aussagen unterstreicht er einprägsam mit Diagrammen und nutzt ausgiebig die optischen Hilfsmittel, mittels Pfeilen Abläufe darzustellen. Die Kommentaren zeigen, dass hier zwei Jahrzehnte an "Eskorte des Systems" aufgebreitet werden. Einige Stellen weisen auf eine Artikelreihe, die Otto Borik 1982 als Herausgeber von "Schachmagazin 64" im Frühstadium der 1979 gegründeten Zeitschrift zusammenstellte. Der damals 17-jährige Breutigam fing Feuer und alte Liebe rostet nicht. Der Charme seines Werbens für diesen Königsinder liegt entsprechend einerseits bei den ausführlichen Varianten, die nicht nur mit der minimalen "Informator-Hilfssprache" abschließen, sondern mit viel Vokabular unterfüttert werden, und andererseits in der gelungenen Verquickung zwischen gegenwärtigem Theoriestand und historisch entstandenen Einschätzungen. Es ist eben etwas anderes, ob Jahre gelebter Schacherfahrung präsentiert werden, oder ob - auftragsbedingt - ein Themenfeld erschlossen wird.
Fazit
In der Bilanz bietet der konzeptionelle Ansatz etwas für ein breites Spektrum an Nutzern. Das Ergebnis müsste Spielstärken vom Amateur bis zum Halb- und Vollprofi zufrieden stellen. Die Vereinsspieler wissen die vielen grundsätzlichen Stellungsbeschreibungen zu schätzen, der erfahrene Crack die komplette Schau der Erkenntnisse bis etwa Mitte 2002. Um die mentale Einstimmung zu steigern kann ein in 2002 neuaufgelegtes Buch von Joe Gallagher "Beating the Anti-King's Indian" (Erstauflage 1996 bei Batsford) dienen, welches selbst in Kreisen vieler Bundesligaspieler Kultstatus erreicht hat, weil es explizit den schwarzen Standpunkt herauskehrt. Dem Widerstand gegen die Systeme mit h3 sind 22 Seiten gewidmet. Genau doppelt so umfangreich ist das entsprechende Kapitel in einem anderen Insider-Buch, der amerikanischen Veröffentlichung von John Watson "The unconventional King's Indian" (Hypermodern Press 1997). Mit der Kombination CD-Buch kann jeder Lernwillige Fortschritte erzielen - die Informationslücken sind jedenfalls geschlossen.
Und danach
Egal wer sich an dieses Eröffnungsthema wagt, der Name Krasenkow wird ihm mehr als einmal begegnen. Dessen Erfolgsquote erreicht bei immerhin 65 Partien phänomenale 83 Prozent. Diese Autorität hat sich scheinbar nicht überall herumgesprochen, denn bei Mannschaftseuropacup 2002 siegte er erneut - der Gegner griff auch diesmal in den Wirren des Mittelspiels fehl. Es handelte sich dabei um Lorenc Rama von Studenti aus Albanien.
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M. Krasenkow - L. Rama [E90]
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ChessBase 2002, ca.
30 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-42-1
Bewertung des Rezensenten:
Thema
Der moldawische Großmeister Dorian Rogozenko befasst sich ebenfalls mit einem Komplett-System. Die Slawische Verteidigung charakterisiert er, obwohl sie häufig als ruhige, positionelle Spielweise bezeichnet wird, als "komplexe Eröffnung, in der solides Stellungsspiel oftmals mit gewaltigen taktischen Komplikationen einhergeht." Der in dieser Saison erstmals für die Schachfreunde Neukölln antretende Bundesligaspieler, weist in seiner Einführung bereits auf die Bedeutung der Zugfolgen hin. Sein Werk richtet er in erster Linie an Schachamateure, aber gesteht er ein, dass selbst Großmeister mit Zugumstellungen bisweilen ihre Mühe haben. Wie also eine komplizierte Sache, in verständliche Form packen?
Konzept
Rogozenko, der zur Slawischen Eröffnung regelmäßig auf dem Schach.de-Server der Firma ChessBase Übungsstunden abhält, versteht gerade hier sein Metier. Er verwaltet eine Materialbasis von über 31000 Partien, die er in 85 Abspiele gliedert. Bereits hier offenbart sich ein deutlicher Unterschied zum eben besprochenen Konzept - die differenzierte Aufschlüsselung bedingt, dass Aufbauten und Pläne wesentlich genauer eingegrenzt werden. Manche Erläuterungen beginnen bereits beim 3. oder 4. Zug, um die große Line aufzuzeigen; andere nehmen den 11., 12. oder gar 14. Zug als Ausgangspunkt, um zu verdeutlichen, nach welchem Charakter sich die Variante verzweigt. Hilfreich zum Verständnis sind auch die Anmerkungen, welches Abspiel wann in Mode war.
Selbst analysiert hat der Autor 154 Partien; beim übrigen Material sind Robert Hübner gar mit 408 Analysen und Gerald Hertneck mit 109 Analysen vertreten. Ergänzt wird das Konzept - wie üblich - durch eine Trainingsdatei und einen Variantenbaum. Die Trainingsdatei enthält zwar nur 22 Beispiele, aber sie ist gerade in den Nuancen Beleg, warum diese Silberscheibe 10 Euro teurer ist: Ein Profi liefert eben dieses Quantum an Extragüte - die Fragen sind präzise und herausfordernd.
Fazit
Rogozenko bringt neben jeder Menge , teilweise bisher unveröffentlichter Analysen auch reichlich Erklärungen; diese sind selten allgemeiner Natur, sondern begründen präzise, welche einzelne Idee oder welcher Plan vorgegeben ist. Die 85 Einführungen sind gute "Navigationspunkte", um in die Untiefen der Varianten vorzustoßen. Die Zielgruppe ist wie bei Milov von Vereinsspieler bis zum Großmeister. Jene, die mit dieser Eröffnung neu beginnen, sollten erwägen, noch ein Einführungsbuch zu erstehen, z.B. Matthew Sadlers "The Slav" (Cadogan 1997). Der Engländer spielt wie der Moldawier die Eröffnung mit beiden Farben - und dass ist gut so, denn häufig bleiben sie dadurch - mit Erkenntnisgewinn für den Nutzer - gefangen im Spannungsfeld entgegengesetzter Ideen.
Und danach
In der Auftaktrunde des EU-Cups begegnete der Weltranglistenzehnte Wassili Iwantschuk am Spitzenbrett von Polonia Warschau Klaus Bischoff, der die österreichischen Farben von Klagenfurt unterstützte. Mit einer frühen Neuerung versuchte die deutsche Nr. 13 den in Lwow beheimateten Ukrainer zu beeindrucken, aber bereits nach 15 Zügen erlangte Schwarz Raumvorteil und die Kontrolle über die einzige offene Linie. Der Rest lehrt die präzise Umsetzung slawischer Strategie.
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K. Bischoff - W. Ivantschuk [D15]
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Eine zweite Meinung: Rezension von Joachim Kick.
ChessBase 2002, ca.
30 Euro
CD-ROM ISBN 3-935602-43-x
Bewertung des Rezensenten:
Thema
Der Däne Curt Hansen wagt ebenfalls den Rundblick auf eine Eröffnung, die vor nicht all zu langer Zeit als anrüchig galt, da Schwarz dem Weiß-Spieler einen scheinbaren Entwicklungsvorsprung gewährt. Siege - wie Larsens Gewinn 1979 in Montreal gegen den damaligen Weltmeister Karpow in Hochform - galten als exotische Eintagserfolge. Doch Hansen, der das Thema in die beiden Systeme mit 2...Dxd5 und 2... Sf6 unterteilt, bringt für jedes der Hauptstandbeine einen Rückblick, der viel weiter in die Historie zoomt und weitere Vorkämpfer benennt. Namen wie Howard Staunton, Adolf Anderssen, James Henry Blackburne, Frank Marschall, Savielly Xavier Tartakover, Ossip Bernstein, Jacques Mieses findet man nicht auf jeder CD-Produktion und sie leisteten Pionierarbeit nicht nur gegen leicht bezwingbare Amateure, sondern gegen die Großen ihrer Zeit. Diese Revue durch 150 Jahre Schachgeschichte zieht Aufmerksamkeit auf noch weitere, mehr oder weniger bekannte Spezialisten. Für 2... Dxd5 sind es natürlich Larsen und seine dänischen "Gefolgsleute" Niels Jörgen Fries Nielsen, der bereits 1982 ein Eröffnungswerk in Dänisch verfasste, und auch Curt Hansen selbst, sowie der Australier Ian Rogers und Ratimir Cholmov aus der ehemaligen UdSSR. Bei 2... Sf6 begegnet man mit den Deutschen Kurt Richter und dem Jugoslawen Nikola Karaklajic zwei eifrigen Verfechtern, und in der einstmals uneingeschränkten Schach-Supermacht praktizierten insbesondere Aivars Gipslis, Roman Dzindzichashvili, Nona Gaprindaschwili und Nona Gureli. Bereits Hansens thematischer Aufriss bringt manch Unvermutetes, macht neugierig und verspricht eine spannende Untersuchung.
Konzept
Der dänische Bundesligaspieler des SG Porz schöpft aus einer Hauptdatenbank von 28810 Partien, darunter 77 von ihm durchgesehene Begegnungen - einige würden allerdings wegen der wenigen Abspiele nur das Prädikat "Anmerkungen" statt "Analyse" erhalten. Eine separate Trainingsdatei sucht man zunächst, aber die ist diesmal in den Analysebestand integriert worden. Mit den zwölf Partien, die durch blaue Balken in der Liste markiert sind, hat sich Hansen extra viel Mühe gegeben, denn sie enthalten 316 Fragen (inklusive Tests mit Punkten und Zeitvorgaben). Das ist etwa so wie ein Dutzend Mal Turnieralltag zu durchleben. Besonders wenn man die 62 Einführungstexte gut studiert hat, bringt diese Übung einen hohen Lerneffekt. Ein vorbildliches Konzept für andere Autoren.
Und dann gibt es seit einem halben Jahrzehnt den "Hamburg-Test". Neben dem Buchautor Matthias Wahls ("Modernes Skandinavisch", Verlag Schach!! Jürgen Daniel 1997) sind Karsten Müller und Niels Michaelsen im Team des Hamburger SK in der ersten Hälfte der 90er Jahre Vorkämpfer für die vernachlässigte Eröffnung gewesen. Die beiden Großmeister "plagten" sich mit der Eröffnung aus Sicht beider Farben: Wahls bis 1997, Müller noch 2000, doch der IM stellte die Anwendung bereits 1996 - nach 16 Spielen (9 Siege, 7 Remis) - überraschend ein und schwenkte zu Sizilianisch um. Was meint Hansen zu den Hansestädtern? Leider müssen eingefleischte Skandinavisch-Anhänger in dieser Hinsicht enttäuscht werden. In seinen Übersichten erwähnt er zwar Referenzpartien des Trios, in denen sie ideenreiche Wege für Schwarz gefunden haben. In den ausführlichen Untersuchungen wird jedoch keine Reflektion des Fortgangs der Theorie mit Verweis auf das Wahls-Buch vorgenommen. Diese verpasste Chance ist eigentlich das einzige Manko der Produktion. Gut dokumentiert werden hingegen aus früheren Chessbase-Quellen die Arbeiten von Karsten Müller mit 119 Partieanalysen (plus zwei gemeinsamer, wortloser Kommentierungen mit Curt Hansen) und Matthias Wahls mit drei Analysen und vier ausführlichen Eröffnungsübersichten, die parallel zur Arbeit am Buch entstanden.
Das vorgelegte Konzept erfordert entsprechend vom Kunden Eigenarbeit, doch dafür ist die CD mit den vielfältigen Selektionsmöglichkeiten ein gutes Fundament. Hier kann man sich - anders als beim Printmedium - auf untypische Entdeckungstouren begeben. Gerade das Hamburger Beispiel verdeutlicht, dass Spezialeröffnungen oftmals regionale Hochburgen haben oder von Spielern in Einzelkämpfermanier hochgehalten werden. Hier lässt sich nachvollziehen, wie sich Varianten in der Handhabung durch diese Spielertypen formen. Portugal ist so eine Gegend, wo die IM-Garde Carlos Santos, Rui Damaso und Luis Galego viel Kompetenz erworben hat. In Tschechien gibt es eine Reihe Skandinavisch-Jünger mit Thomas Oral, Michal Konopka und dem wenig bekannten Pavel Simacek. In Deutschland sollte man die älteren Partien von Ralf Lau begutachten, in Frankreich das Material von Eric Prie sowie dem jungen Laurent Fressinet und in England hat wohl Julian Hodgsons Beispiel manchmal selbst auf Michael Adams abgefärbt. Auch der osteuropäische Nachwuchs mit dem Ukrainer Andrei Volokitin und dem im Westen kaum bekannten St. Petersburger Jewgeni Alekseev bewegt einiges. Die "Mainzer Grazien" Elisabeth Pähtz und Alexandra Kostenjuk hatten es früher im Repertoire und Ex-Europameisterin Nathalia Zhukova und die vielfache deutsche Meisterin Gisela Fischdick sind dem Skandinavier weiterhin treu. Solche Profile enthüllen oft ganz andere Einsichten, als das Buchstudium entlang der Zugfolgen.
Fazit
Hansens CD offeriert wirklich für jeden Geschmack etwas. Sein Stil den Nutzer anzusprechen gleicht an vielen Stellen einem gepflegten Gespräch und dies ist für Vereinsspieler jeglicher Spielstärke geeignet. Auch Neulinge werden durch die geschickte Verknüpfung der Traditionslinien innerhalb und zwischen den beiden Hauptabspielen gut fit gemacht.
Trotzdem sollte sich der Wissbegierige auch das Wahls-Buch aneignen, zumal dort Analysen und Partien enthalten sind, die nicht den Eingang in den Wissensbestand der Festplatte gefunden haben. Manche norddeutsche Einschätzung bringt eine zusätzliche Deutung und verdient, in die Datenbank eingepflegt zu werden. Gleichwohl bleibt für alle Gewichtsklassen, die sich für die skandinavische Herausforderung interessierten, die Hansen CD ein definitives Nonplusultra.
Und danach
Skandinavische Favoritenstürze sind meistens sehenswert, denn es sind in der Regel taktische Scharmützel, die fast jeden begeistern. Bereits beim letztjährigen EU-Cup für Vereinsmannschaften war das so, heuer passierte es wieder. Titelverteidiger Norisky Nikel fehlte am Ende ein halber Brettpunkt zum Turniersieg, vielleicht ging der entscheidende Punkt bereits in Runde eins an die Spanier von C.A. Reverte Albox verloren. Gegen seinen titellosen Gegner mit einer Wertungszahl von 2393 übersah der in Essen beheimatete Russe Igor Glek eine sehenswerte Riposte.
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I. Glek - J. Hernando Rodrigo [B01]
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Der Überblick über fünf populäre Eröffnungssysteme mittels CD-ROM macht klar, dass für viele Zwecke die elektronische Präsentation berechtigte Vorzüge hat. Hansens Produktion ist der Star des Quintetts und Ragozenko steht ihm höchsten in der historischen Perspektive etwas nach. Beiden Großmeistern gebührt das Kompliment, auch mit unerprobten Ideen nicht hinter dem Berg zu halten. Milov und Breutigam haben Systematik und persönliche Note in das Schattendasein spielbarer Varianten gebracht. Nur Ripperger fällt in der analytischen Souveränität - und nicht selten wegen seiner trivialen Präsentation - neben diesen Experten deutlich ab.
Allerdings sind die handlichen Rundlinge für das CD-Laufwerk nicht die allein beglückenden Boten geballter Schachkompetenz und die englischen Verlage haben wieder einmal zuerst den Bedarf erkannt, denn sie sind auf einfache, für jedermann verständliche Überblicksbücher umgestiegen. Kompendien als Druckausgaben sind Überbleibsel einer verflossenen Zeit - auch wenn uns bisweilen sinnlich-kompetente Produkte aus dem Hause Chessgate die Ausnahme-von-der-Regel bestätigen. Hier wurde versucht, die Symbiose zwischen Computer und Buch als derzeitigen State-of-the-Art zu unterstreichen. Gegen das Rudern in den wöchentlichen Internet-Schachdatenfluten wird letztlich jeder seinen Armzug selbst bestimmen müssen. Der Blick in ein gutes Buch schadet nie - und sei es nur, um sich mental auf die Untiefen einer CD-ROM vorzubereiten.
(erschien mit leichter redaktionellen Bearbeitung als Mehrteiler in
Schachmagazin 64,
Nr. 20/2002, S.552, Nr. 24/2002, S.665-667 und Nr. 1/2003, S.12-13)
die CDs stellte
ChessBase, Mexikoring
35, 22297 Hamburg, für die Rezension zur Verfügung