Champion sein ist nicht schwer, Champion werden dagegen sehr! Jesper Hall: Schachtraining für angehende Champions Rezension von Judith Hönecke, Mai 2004 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Gambit Verlag 2002
ISBN 1-901983-79-X
192 Seiten; ca 22 Euro
Bewertung der Rezensentin:
Endlich kann man den leidigen Titel des "Anfängers" abwerfen! Das behauptet jedenfalls der Schwede Jesper Hall und mit seinem Buchdebüt weckt er unter dem Titel "Schachtraining für angehende Champions" sicher manch sehnlichen Wunsch. Der Internationale Meister meint, dass nach der Lektüre seines Buches, welches als eine Anleitung zum Selbststudium gedacht ist, das Wissen über das königliche Spiel bei jedem Lernwilligen weiter ragen wird - der Anfänger soll neue Horizonte sehen und erreichen. Doch wie kann das gelingen? Na gut, so schnell klappt das nicht. Selbst als nunmehr starker Spieler mit einer Elo-Zahl von 2492 erinnert sich der Bundesligaspieler vom SV Wattenscheid an den harten Weg der Schach-Bildung, den ein kommender, starker Spieler zuerst abschreiten muss. Hall geht es in seinem Ratgeber in erster Linie darum, dass junge Schacher die richtige Methode zum weiteren Erlernen der vielen Geheimnisse rund um das quadratische Brett verstehen und anwenden können. Zugleich betont der Schwede jedoch, dass die beschriebenen Methoden nicht für jeden gleichermaßen passend sind. Er will primär Anregungen und didaktische Hilfen geben, denn wie man seine Tipps umsetzt, bleibt Sache des Schülers.
Zunächst skizziert Hall im Vorwort seinen schachlichen Werdegang und erläutert dabei seine Absichten: Seine Leitgedanken kreisen darum, wie man richtig trainiert und wie man sich (bzw. als Trainer seine Schüler) motiviert. Das macht neugierig und regt zum Weiterlesen an. Gleich im ersten Kapitel stellt er bescheiden die große Frage "Warum spielen wir Schach?". Dieser Abschnitt mit der Unterüberschrift "Schach und Inspiration" soll uns eines vor Augen führen: "Juwelen glänzen selbst im Dunkeln". Wie bei jedem Kapitel verdeutlicht zur Einführung eine gezeichnete Figur, was für ein Thema ansteht. Hier ist es das Bild des kleinen Hall mit seinem Schreibheft. Es diente - und wer kennt das nicht aus seinem Schachunterricht - als "Tagebuch" der Wissensaneignung Schritt für Schritt. Hall zitiert IM Stellan Brynell, wenn er nach den Ursachen der Lust am Schach sinniert: "Schachspielen macht keinen Spaß. Gewinnen macht Spaß," meint seinen Landsmann. Wie in allen Kapiteln erläutert Hall solche Thesen durch Episoden aus seinem schachlichen Werdegang und in diesem Abschnitt mit einigen glänzenden Schachkombinationen - also den Juwelen, die einem oft wohlige Erinnerungen zurückbringen und zu neuen Taten stimulieren. Zum Abschluss gibt es noch sechs Übungen und eine seiner Partien, wobei er mehr Wert auf das Offenlegen seiner Gedanken als auf einen wissenschaftlichen Beweis mit vielen Varianten legt. Da dieses Beispiel gut den Stil des Autor zeigt, will ich es anführen. Der Schüler ist hier in der angenehmen Rolle des "Zuhörer", der "en passant" lernt. Wer danach nicht angelockt ist, der sollte nicht weiterlesen ...
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Hall,J - Tschutschelow,W [B42]
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Oh, Sie sind noch da! Dann will ich etwas über Halls Art der Wissensvermittlung zusammenfassen:
Didaktisch geht er für seine Zielgruppe (vorrangig Jugendliche oder Klubspieler, die sich steigern wollen) in den 15 Kapiteln ähnlich und in überschaubaren Dosierungen vor (zu Recht ist jedoch das bisweilen vernachlässigte Endspielstudium mit 37 Seiten ausführlich weggekommen!).
Fast alle Kapiteln beginnt mit einer kleinen Anekdote aus Halls (Schach-)Leben. Diese kurzen, teils lustigen Geschichten bringen schon die ersten Tipps aus der Praxis.
Das Anschauungsmaterial bietet eine Mischung aus vielen Beispieldiagrammen (inklusive einiger Trainingsaufgaben) und ganzen Partien, wobei - wie eben schon am Beispiel aus der Bundesliga gezeigt - großer Wert auf Erklärungen gelegt wird.
Weiterführende Tipps fürs Training und kommentierte Literaturtipps stehen am Ende eines jeden Kapitels.
Besonders brauchbar sind Halls Resümees in Form von Fragenkatalogen (z.B. "Meine Fragen an die Eröffnung?" oder acht Fragen zur Entwicklung eines Plans).
Abschließend findet man ein Vorlage für Trainings- und Spielprotokolle, damit der sich verbessernde Spieler seine neuen Erkenntnisse und seine Trainingszeiten festhalten kann. Zu Schluss hilft ein Index zu Spielern, Problem- und Studienkomponisten und Eröffnungen, so dass man schnell zu einer bestimmten Stelle zurückfindet.
Welche Themen packt Hall an? Niemand darf erwarten, auf knapp 200 Seiten die ultimativen Weisheiten des Schachs in Händen zu halten, aber solides Rüstzeug - peppig präsentiert - bekommt man allemal.
Wie bereits erwähnt, steht am Anfang das Philosophieren über unseren Denksport. Dazu gehören Kapitel über die Inspiration, das Analysieren, das Berechnen und auch die Planbildung. Ohne Inspiration geht nix, Analysieren zeigt uns unsere Fehler auf, das Berechnen ist die Gratwanderung zwischen konkret überschaubaren Zugfolgen und intuitivem Ziehen und die Planbildung zeichnet den wahren Könner aus. Hier bringt Hall sehr instruktive Einblicke in das Denken großer Meister - allen voran das große skandinavische Vorbild Bent Larsen.
Den ersten 40 Seiten folgen Kapitel über Mittelspielthemen. Er geht dabei auf grundlegende Bereiche ein:
Bauernstrukturen in verschiedenen Formationen (geschlossenes Zentrum, offenes Zentrum, festgelegtes Zentrum, bewegliches Zentrum und dynamisches Zentrum);
Typen des positionellen Vorteils (anfällige Königsstellung, Materialvorteil, bessere Bauernstruktur, Kontrolle über wichtige Linien oder Reihe oder ein wichtiges Feld, besser platzierte Figuren, Raumvorteil, Entwicklungsvorsprung, Besitz der Initiative);
Ein Extrakapitel widmet sich dem "Kampf um Vorteil". Die Möglichkeiten der Verwertung guter Stellung erläutert Hall anhand von Gewinnführungen durch Spieler aus der führenden Schachnation ("Russische Geheimnisse");
Schließlich behandelt ein Abschnitt Zusammenhänge zwischen einer typischen Bauernstruktur (hier der Isolani) und den Wegen aus diesen Stellungen Pläne ableiten und somit das Schachverständnis zu heben. Gerade hier zeigt sich, wie hart selbst starke Spieler arbeiten müssen.
Im neunten Kapitel verliert er einige Wörter über die Eröffnung. Es geht insbesondere um die Herangehensweise an eine Eröffnung, die man neu lernen will (hier wird der Trompowski-Angriff als Beispiel gezeigt). Aber Halls Werk ist ja kein Eröffnungsbuch und trotzdem bekommt man beispielhafte Tipps, welche Überlegungen einen leiten sollen (z.B. Koordination von Figuren in bestimmten Stellungen oder Anstreben von Strukturen, die noch im Endspiel bedeutsam sind).
Großen Wert legt Hall - ich wies bereits darauf hin - auf das Endspiel. Sein Motto wird jeder kennen: "Weniger Figuren, mehr Probleme". Neben Klassikern von Capablanca und Reti gibt es auch einige Studien (schön und leider oft vernachlässigt). Sehr hilfreich erscheint mir, dass jeder Abschnitt (über Bauernendspiele, Turmendspiele, Leichtfigurenendspiele und Damenendspiele) mit einer Zusammenfassung in Form von grundlegenden Richtlinien endet. Das erleichtert schnelles In-Erinnerung-Rufen und hilft gerade dem sich stetig entwickelnden, jungen Spieler, diese jederzeit wichtigen Regeln regelmäßig zu durchdenken.
Die letzten Abschnitte widmet er noch einmal gezielt der Psychologie des Schachs - mentales Training, Nutzung des Computers und den Rollen des Trainers und des Spielers selbst.
Zur Veranschaulichung von Halls Anleitungen zum Selbststudium will ich ein Beispiel aus der Turmendspielpraxis von Garry Kasparow anführen (auch der große Meister kann irren!) und dann kurz die von Hall aufgestellten Turmendspielregeln zitieren.
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Piket,J - Kasparow,G
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Auf der Basis dieses und weiterer Turmendspiele resümiert Hall folgende Richtlinien :
Aktivität, Aktivität, Aktivität - das sind die drei wichtigsten Richtlinien im Turmendspiel.
Wenn Sie unter Druck stehen, ist es meist korrekt, einen Bauern für aktives Spiel zu opfern.
Es gibt ja diesen alten Spruch "Turmendspiele sind immer remis". Ich hätte eine leicht abgewandelte Version anzubieten: "In Turmendspielen gibt es immer eine Chance auf Remis".
Der Turm gehört hinter den Freibauern; am zweitbesten ist die seitliche Deckung und am ungünstigsten die Aufstellung des Turms vor dem Freibauern.
Der Autor, der zugleich Mitglied in der schwedischen Nationalmannschaft ist, richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche mit einer DWZ von 1400/1500 bis zu Spielern mit 2000 DWZ-Punkten. Da das Buch in einem handlichen Format gedruckt wurde (zwischen A4 und A5) passt es super in die Tasche, so dass auch unterwegs fleißig geackert werden kann. Gerade für Jugendliche ist so ein Werk toll für die Fahrt zum nächsten Turnier oder als Lektüre für den Urlaub geeignet. Diese werde es schätzen, dass Hall sehr persönlich schreibt und sich auf eine Sprache versteht, die junge Schützlinge fesselt und einbezieht. Er verdeutlicht Aspekte des Schachs bisweilen durch Vergleiche mit anderen Sachverhalten, zum Beispiel Planbildung mit Monstern unter dem Bett (die sind unheimlich, riesig und gefährlich - reizen aber eben die Phantasie an!). Durch die ausgeprägt bildliche Sprache eignet es sich auch gut für Kinder, da sie es sich so vieles besser vorstellen können. Aber lange Varianten und umfangreiche Zugfolgen bietet dieses Werk ebenfalls, so dass es nicht nur für die jüngere Generation geeignet ist. In den eigenen Partien (meist Verlustpartien!) erklärt Hall zudem die für viele Leser sicher reizvollen psychologischen Hintergründe. Diese Ausführungen sind teilweise sehr anspruchsvoll gestaltet, jedoch sollte man nach zwei mal durchlesen keine Schwierigkeiten mehr beim Verstehen haben.
Fazit: Das Werk gefällt mir sehr gut, eben weil Hall ergiebig aus dem eigenen Erfahrungsschatz "plaudert". Sein Schreibstil erweckt Neugierde und lässt einen stetig weiterlesen und die Partien nachspielen. Seine Ansichten über das königliche Spiel sind einleuchtend und daher vertrauenswürdig. Dies hilft, dass man Hinweise und Ideen besser im Kopf behält. Er ist auch auf schwierige Themen eingegangen, wie zum Beispiel der Rolle der Bauernstruktur, und hat dort zumindest wichtige Ideen und Pläne bearbeitet. Solche Schwerpunkte gehören eben zum harten Selbststudium. Meine jahrelange Trainingserfahrung mit einem A-Trainer hat aber auch gezeigt, dass nicht nur eine zehn-stundenlange Analyse einer Partie zur Verbesserung der Spielstärke erforderlich ist. Denn wenn man alleine seine Partien analysiert, entgehen einen bisweilen manch wichtige Varianten, die man auch nach vielen Stunden nicht unbedingt findet. Mit Hall kann man zwar methodisches Arbeiten an seinem Schach gut verbessern, doch viel Wissen muss erst im Erfahrungsaustausch mit anderen Spielern richtig zur Anwendung kommen - sowohl im Gruppentraining als auch in der Partienpraxis. Dennoch hat mich der Großteil seiner Tipps sehr angesprochen und ich bin mir sicher, dass es vielen ähnlich gehen wird. Hall veranschaulicht wichtige Schachthemen und zeigt, wie sie angeeignet werden können. So ein Buch sollte auf keinem Bücherregal fehlen. Der absehbare Erfolg, der sich nach dem Durcharbeiten einsetzen sollte, rechtfertigt auch den Preis. Und vielleicht befinden wir uns bald in eben der Situation, die das Cover dargestellt: Dem großen Finale. Dort sind wir mit Halls Ratschlägen bestimmt gut gewappnet.
Eine zweite Meinung: Rezension von Harald Fietz.
das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.