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Auch Schachspieler haben jedes Jahr gute Vorsätze

Wer der englischsprachigen Bücher überdrüssig ist, findet auch in deutscher Sprache Inspiration für eine systematischere Wissensaneignung

Rezension von Harald Fietz, März 2004

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   Schachbücher werden zunehmend wortlastiger - und das ist gut so. Fünf Sätze tragen gerade für Spieler zwischen DWZ 1600 und 2000 oft mehr zum Verstehen bei als fünf Varianten. Doch nicht jedermann besitzt ausreichend englische Sprachkenntnisse. Der ständige Blick ins Wörterbuch wird schnell zum Spaßtöter, denn wer sich freiwillig dem Studium des königlichen Spiel verschreibt, darf zumindest ein wenig Vergnügen erwarten. Dies erkannten der englische Gambit-Verlag und der französische Game-Mind-Verlag und ließen Werke, die sie für herausragend hielten, mit einigen Monaten zeitversetzt ins Deutsche übertragen. Es geht um Trainingsaufbau, den Faktor Glück, Schachprinzipien auf Topniveau und Methodik der Stellungsbeurteilung. Alles Dinge, die nicht dem kurzen Halbzeitswert einer Eröffnungszusammenstellung unterliegen, und die mit mehr Systematik zu verstehen, sich fast jeder Amateurspieler bestimmt mehr als einmal vorgenommen hat. Aber ist man mit der Aneignung von Schachwissen auf sich allein gestellt, gehört einige Willensstärke dazu, dem guten Gedanken Taten folgen zu lassen. Wenn der richtige Ratgeber auf der Ablage neben der vierzehntägigen Schachzeitung liegt, kann es vielleicht doch noch was werden. Fünf Bände mit höchst unterschiedlichen Intentionen sollen vorgestellt werden.

 

Die nächste Stufe erklimmen

 

Jesper Hall: Schachtraining für angehende Champions

Gambit Verlag 2002
ISBN 1-901983-79-X
192 Seiten; 21,95 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,5 aus 5

 

   Systematik kann als Zauberwort für Jesper Halls "Schachtraining für angehende Champions" herhalten. Der Untertitel "ein einzigartiger Kurs zum Selbststudium in den wichtigsten Gebieten des Schachs" zeigt die Ausrichtung. Wie flickt sich "Otto Normalverbraucher" ein selbstgeschneidertes Programm zur Leistungssteigerung? Hall knüpft an die Tradition des vielgerühmten "Schach für Tiger" von Simon Webb an, welches der Berliner Schachverleger Arno Nickel 2004 in erweiterter Form neu herausgegeben will. Der schwedische IM in Diensten des Bundesligisten SV Wattenscheid adressiert seine Leser in 15 Kapiteln ebenfalls in kumpelhaftem, ermutigendem Ton (etwa im Abschnitt "Und Larsen sprach: Du brauchst einen Plan!"). Er führt anhand eigener Erfahrungen und gut ausgewählter Beispiele viele nützliche Zutaten für den heimischen Übungsauftrag an: wie analysiere ich eigene Partien, die Rolle der Bauernstrukturen, grundsätzliche Merkregeln für wichtige Endspiele, Nutzung von Computer versus Analyse am Brett, was lerne ich wie zuerst, welche Kampfeinstellungen sollen mich leiten und reichlich mehr. Diese 192 Seiten werden vor allem Vereinsspielern bis zum Level von DZW 2000 einen durchdachteren Weg weisen, in welchen Bereichen sie ihr Schachkönnen über Grundsätzliches hinaus steigern müssen.

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Judith Hönecke.

 

 

Dem Glück nachhelfen

 

David LeMoir: Wie man Glück im Schach hat

Gambit Verlag 2002
ISBN 1-901983-78-1
192 Seiten; 21,95 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4 aus 5

 

   Gleiches Format, gleiche Seitenzahl, aber ein gänzlich unorthodoxes Thema greift sich David LeMoir für "Wie man Glück im Schach hat" heraus. Der Engländer ist auf dem Kontinent sicher weniger bekannt (er war im Jahr 2000 Meister der Grafschaft Norfolk) und sein Anliegen wird eher im Untertitel "Eine praktische Anleitung, wie man seine Gegner zur Selbstzerstörung ermutigt!" offensichtlich. Das klingt recht marktschreierisch. Doch es wird bald deutlich, dass ihm als Unternehmensberater ein strukturiertes Herangehen und vor allem eine präzise, keineswegs floskelhafte Sprache vertraut sind. Neun Kapitel füllen drei Kapitel über Schachunfälle: 1. Der Ausbruch aus dem Gefängnis (warum passieren Missgeschicke und welche Gegenmittel sind denkbar), 2. Aspekte des Glücks (welche Methoden erzwingen das Glück und wie "infam" zwangen große Schachkämpfer wie beispielsweise Lasker oder Tal ihre Gegenüber zu Fehlern) und 3. Das erfolgreiche spekulative Opfer (Übersichten zu Ursachen und Motiven risikoreicher Züge). LeMoir bietet Beispiele aus der Großmeisterpraxis, aber auch eigene Kapriolen aus dem englischen Turnierleben. Bei letzteren fühlt sich der Vereinsspieler eher an den Level seiner Schachpraxis erinnern und mit einem Markerstift wird er bestimmt viele Weisheiten leuchtend herausstreichen. Am Ende ist wie bei einem Management-Seminar: Vieles hört sich plausibel an, aber in der Praxis wird man nur einen Teil umsetzen können. Doch dieses Buch kann ein guter Trostspender sein, wenn es wieder einmal einer Erklärung für eine "unglückliche" Niederlage bedarf.

 

Partien durchleben

 

John Nunn: Schach verstehen Zug um Zug

Gambit Verlag 2002
ISBN 1-901983-76-5
280 Seiten; 24,94 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

   Widmen sich die ersten beiden Werke speziellen Fragestellungen, so strebt John Nunn den Lerneffekt durch intensives Nachvollziehen ganzer Partien an - 280 Seiten Allgemeinbildung mittels 30 Begegnungen aus dem letzten Vierteljahrhundert. Ähnlich tiefschürfend wie Igor Stohls 50-Partien-Revue "Instruktive Meisterwerke aus der modernen Schachpraxis", welche auf 368 Seiten im gleichen Großformat kommt. Während der Slowake allerdings primär fortgeschrittene Spieler zwischen DWZ 2000 und 2400 im Visier hat, richtet sich Nunn an das Verständnis von Vereinsspielern ab DZW 1600 aufwärts. Jede Partie umfasst eine thematische Einleitung (z.B. zähe Verteidigung, Opfer auf Position, Raumvorteil) und resümiert mit einer Aufzählung am Ende die Lehren. Obwohl es auch lange Varianten gibt, vertraut Nunn überwiegend der Überzeugungskraft des Wortes. Er tritt als Schachlehrer auf, der in seinen Lektionen schon mal zu psychologischen Überlegungen ("Nur keine Panik!" als Leitmotiv) und kleinen Anekdoten abschweift. Zu dem Stohl-Band gibt es nur eine Partieüberschneidung - und selbst die ist im Vergleich reizvoll. Aber Achtung: Was so leseleicht daherkommt, bedarf vieler Stunden Studium. Eine Partie füllt leicht einen ganzen Abend. Es sollten übrigens besser gleich zwei verschiedenfarbige Marker die Seiten "verschönern", um generelle Stellungsbetrachtungen und spezielle Lehrsätze zu unterscheiden. Ein Band, der sicher für viele bis zum Oberligalevel neue Einsichten bringt, und vielleicht auch manchem Bundesligaspieler an Stellen ein "Aha" entlocken wird. Voraussetzung ist allerdings unbedingt die Bereitschaft zu arbeiten, zu arbeiten und nochmals zu arbeiten.

 

Zwischen Dynamik und Statik

 

Jossif Dorfman: Die Schachmethode

Game Mind Verlag 2001
ISBN 2-957-2890-3-2
208 Seiten; 24,95 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3 aus 5

 

   Eine intensive Trainingsphilosophie kennzeichnete einstmals die Schachsupermacht Sowjetunion, und aus der stammt der gebürtige Ukrainer Jossif Dorfman. Der frühere Sekundant von Garri Kasparow lebt seit 1990 in Frankreich und trainierte dort das Nationalteam und fünf Jahre (1993 bis 1997) den aufstrebenden Etienne Bacrot. 1998 arbeitete Vesselin Topalow mit ihm zusammen. Gleichwohl auf den Buchrücken diese Kooperationen ausdrücklich als Referenz herausgestellt werden, ist es enttäuschend, dass kein einziges Beispiel seiner Schützlinge präsentiert wird (ob es wohl eine Art Abkommen über Geheimniswahrung gibt?). Auch in anderer Hinsicht muss ein Hinweis gegeben werden. Obwohl die Partienauswahl und der thematische Zuschnitt von hohem schachpraktischen Interesse sind, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit einem besseren Layout und einem kritisch-kompetenten Lektorat eine inhaltlich und äußerlich andere Klasse hätte erreicht werden können. Schriftbild mit Tintenstrahldrucker und Seitengestaltung bewegen sich auf dem Niveau einer Schülerzeitung vor zehn Jahren; Fotos scheinen auf keinem besonders hochwertigen Fotokopierer reproduziert worden zu sein. Hier können sich die Verlagsdirektoren, das französischen GM-Duo David Marciano und Gilles Miralles, wirklich etwas bei ihren englischen Kollegen abschauen.

   Eine Schachmethode auf 208 Seiten zu offerieren mutet ehrgeizig an. Was verbirgt sich dahinter? In einem 40-seitigen theoretischen Teil liefert Dorfman viele Überlegungen zu "wie bestimmte ich eine kritische Stellung" und "wie erstelle ich eine statische Bilanz". Kritische Stellungen prägen in seiner Definition: a) dass kein Abtausch notwendig ist, b) keine Veränderung der Bauernstruktur vorgenommen wird und dass sie am Ende von erzwungenen Zügen entsteht (z.B. einer Kombination). Ein statisches Elemente kann z.B. ein dauerhaft beseitigter Bauernschutz des Königs sein, ein dynamisches Element ist die Option der Rochademöglichkeit. Dorfman dekliniert vier Merkmale für die Bewertung einer Stellung: 1. Die Stellung des Königs, 2. Materialverteilung, 3. Wem kommt der Abtausch der Damen zugute? und - am umfangreichsten - 4. Bauernstrukturen. Dies gelingt schlüssig, wenngleich die Erläuterungen umfassender hätten sein können. Wenig erfährt man allerdings, wie bei der Einschätzung der Statik einer Stellung latente dynamische Faktoren berücksichtigt werden müssen. Hier hätte ein Lektor mit entsprechender Spielstärke Anregungen geben können. Es folgen 64 ausführliche Dorfman-Partien und 30 weitere Spiele des Autors als Anhang. In den 64 Partien markieren Karos, wo der Leser eine kritische Stellung antrifft. Leider fehlen erkenntnisleitende Fragen; der Leser bekommt mal eine mehr oder mal ein weniger ausführliche Antwort.

 

Jossif Dorfman: Der kritische Augenblick

Game Mind Verlag 2001
ISBN 2-84735-003-9
144 Seiten; 19,90 Euro

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 3 aus 5

 

   Der Nachfolgeband mit 144 Seiten ist ein ergänzender, nach den vier Statikmerkmalen geordneter Übungsband. Die Kenntnis des Hauptbandes ist anzuraten. Die kritischen Augenblicke werden nun mit den Informator-üblichen Bilanzelementen abgefragt (Ausgleich, Weiß bzw. Schwarz hat leichten Vorteil, Weiß bzw. Schwarz hat klaren Vorteil). Es werden auch Partien anderer Spieler untersucht. Allerdings stehen bei vielen Partien bzw. Stellungen überhaupt keine Fragen. Wo dies der Fall ist, kommen bisweilen bloße Allgemeinplätze vor (z.B. "Es ist logisch, dass ein beliebiger zentraler Zug die Bilanz unverändert lässt." S. 85 oder "Der russische Großmeister nimmt zum richtigen Zeitpunkt einen Zentrumsdurchbruch vor." S.99).

   Abgesehen vom schlichten Äußeren bleibt nach der Durchsicht das ambivalente Gefühl, dass an vielen Stellen eine ausgefeiltere, übersichtlichere Methodik und Didaktik möglich ist. Gerade bei den eigenen Partie hätten mehr Gedankengänge offengelegt werden können; Resümees - wie sie Nunn erstellt - hätten den jeweiligen Lernwert deutlicher herausgestrichen. So sollten vor allem fortgeschrittene Spieler (DWZ 2000 aufwärts) das instruktive "Rohmaterial" ergänzen. Nunn zeigt die Richtung auf!

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Peter Oppitz.

 

 

 

die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 2 / 2004, S. 45/46
die Rezensionsexemplare stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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