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Bis alle seine Bauern wurden

Warum ein Amerikaner den "Kalten (Schach-)Krieg" gewinnen konnte: Teil 1

von Harald Fietz, Juli 2002

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   Am 1. September 1972 um 14.47 Uhr erschien Robert James Fischer auf der Bühne der Laugarsdal-Halle in Reykjavik. Er signierte das Partieformular der 21. Weltmeisterschaftspartie. Ein einzigartiger Nervenkrieg endete ohne Feindberührung. Zwei Stunden zuvor hatte der Russe Boris Spasski regelkonform telefonisch seine Aufgabe erklärt. Nicht nur die emphatisch jubelnden Zuschauer glaubten an den Beginn einer neuen Ära, auch der neue Schachweltmeister war von einer langen Regentschaft überzeugt. Knapp ein Vierteljahrhundert später beurteilte sein damaliger Gegner in einem Arte-TV-Interview die Situation ebenfalls vielversprechend: "Fischer war ein Don Quichotte, aber wenn ich über ihn spreche, sehe ich einen König über ein Königreich des Schachs regieren. Wenn ich dagegen an Kasparow denke, sehe ich kein Königreich des Schachs."

 

James Robert Fischer

James Robert Fischer, ein Amerikaner ganz oben (Quelle: LIFE Magazine November 1971)

 

   Der Einzelkämpfer aus der dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten hatte mit einem grandiosen Triumphzug und endlosen Schlagzeilen neue Kreise für das königliche Spiel erschlossen. Schachfans, Organisatoren, Sponsoren, Medien - alle standen bereit, am prosperierenden Umfeld teilzuhaben. Nur einer stand im Weg, der König selbst. Die Schachszene entwickelte sich dennoch weiter, wie seither viele internationale Turniere und Open beweisen. Doch immer noch fasziniert die Frage, wie es dem elften Champion seit Wilhelm Steinitz gelang, seinen Weg vom lokalen Brooklyn Chess Club bis an die Weltspitze zu schaffen. Wie konnte sich ein vaterlos aufgewachsener Eigenbrödler den amerikanischen Traum erfüllen? Warum zog er, trotz seiner Eskapaden, fast jeden Schachinteressierten in seinen Bann. Einige Erfolgsfaktoren und ihre Umstände sollen hier beleuchtet werden.

 

Das Jahr als Bobby die Augen aufriss

 

   Wer vor 50 Jahren mit Schach beginnen wollte, hatte es nicht so einfach wie heute. Internet und Datenbanken mit Millionen Partien waren ebenso wenig verfügbar wie zahllose Eröffnungsbücher und methodische Lehrwerke. Der siebenjährige Pimpf Bobby hatte nach einjähriger Bekanntschaft mit den 64 Feldern das Glück, dass seine Mutter Regina mit ihm und seiner fünf Jahre älteren Schwester Joan 1949 aus dem provinziellen Mobile bei Phoenix in der Wüste Arizonas in den New Yorker Stadtteil Brooklyn zog. Zu jener Zeit kamen vier von fünf amerikanischen Meister aus dem "Big Apple". Fischers Eintritt in die Schachszene geschah unter kuriosen Umständen. Am 14. November 1950 schrieb seine Mutter, um die kindliche Unersättlichkeit ihres Sohnes zu kanalisieren, eine Postkarte an die örtliche Zeitung "The Bookyln Eagle", wo Hermann Helms eine Schachspalte führte. Er galt als Insider, denn er gründete 1904 das "American Chess Bulletin" und organisierte Anfang der 30er Jahre große Simultanvorstellungen mit Capablanca und Aljechin. Fast zwei Monate irrte das Schreiben herum, bevor es Anfang Januar den richtigen Adressaten fand. Sein Ratschlag war einfach: Schauen sie am 17. des Monats in der öffentlichen Bibliothek vorbei. Wer Spielsteine mitbringt, hat die Möglichkeit, in einem Simultan gegen den erfahrenden 32-jährigen Meister Max Pavey, der u.a. 1939 während seiner Überseestudienzeit die schottische Meisterschaft gewonnen hatte, zu spielen. Bobby kam, spielte eine Viertelstunde und verlor die Partie durch Einstellen der Dame. Aber er gewann mit Tommy Nigro einen gleichaltrigen Gegner für viele Nachmittage und mit dessen Vater Carmine, dem Präsidenten des Brooklyn Chess Club, einen erfahrenen Tutor. Rückblickend noch viel wichtiger - er spürte erstmals den Stachel der Motivation. Gleichwohl verliefen die nächsten Jahre seltsam ruhig und unspektakulär. Im Alter von zehn nahm er 1953 erstmals an einem Turnier, der Clubmeisterschaft des lokalen Schachclubs, teil und wurde Fünfter. Auf Jugendturnieren zeichneten sich keine Erfolge ab. Aber ein bedeutendes Ereignis der Schachgeschichte brachte ihn zum Staunen und man darf vermuten, auch zum Träumen.

   Spitzenturniere waren in den 50er Jahren rar und Duelle zwischen Amerika und der Sowjetunion besaßen kurz nach Ende des Koreakriegs zusätzliche Brisanz. Der einstige Weltkriegsverbündete hatte den in den 30er Jahren dominierenden Amerikanern längst den Rang abgelaufen. Ländervergleiche endeten 1945 15,5:4,5 und 1946 12,5:7,5 zugunsten der Sowjets. Auch den dritten Wettkampf im New Yorker Roosevelt Hotel in Juni 1954 entschieden die Spieler von hinter dem eisernen Vorhang mit 20:12 für sich. Es war aus Gastgebersicht keine Überraschung, dass Samuel Reschevsky gegen Wassili Smyslow vier Unentschieden erreichte, aber das 3:1 von Donald Byrne gegen Juri Awerbach und das 2,5:1,5 von Larry Evans gegen Mark Taimanow bedeutete Balsam für die amerikanische Seele. In Begleitung des Clubpräsidenten drängelte sich auch der elfjährige Fischer unter den täglich über tausend Zuschauern. Schach war in aller Munde und füllte die Titelseiten der New York Times. Max Pavey, der bereits 1957 an Leukämie starb, schaffte gegen den legendären Paul Keres einen seiner größten Siege. Fischer verklärte die Zeit nicht und urteilte über seinen Spiellevel in diesem Jahr kritisch: "Mit elf war ich gerade mal gut." (Brady 1973, S.1) Auch ein Jahr später, bei der US-Juniorenmeisterschaft in Lincoln, Nebraska im Juli 1955, erkannte man wenig Fortschritt. Mit fünf Punkten aus zehn Partien landete er auf Platz 20 unter 25 Teilnehmern. Er war der Jüngste im Feld und seine Wertungszahl betrug 1830. Neben den für ihn lästigen Schulpflichten praktizierte er in dieser Zeit fast täglich das Spiel im Manhatten Chess Club, dem er in diesem Sommer beitrat. Oft musste seine genervte Mutter, um ihm abholen, mit der U-Bahn oder dem reparaturanfälligen Auto spät am Abend von Brooklyn nach Manhattan und zurück fahren. Ihr größer Wunsch war, dass er bald Meisterehren erlangen würde, denn insgeheim hoffte sie: "Dann kann er sich endlich mit etwas Richtigem beschäftigen." (Brady 1973, S.9) Die Situation "verschlimmerte" sich jedoch, als Bobby im Sommer 1956 den Hawthorne Chess Club entdeckte, der sich im Haus des an den Rollstuhl gefesselten John W. Collins traf. Hier fand er nicht nur weitere Gleichgesinnte (u.a. William Lombardy und die Brüder Donald und Robert Byrne), sondern erstmals den Zugang zur Welt der Schachbücher. Seine Maxime stand fest. "Ich mach' mein Ding," pflegte er später mit entwaffnender Offenheit in Interviews auf die Frage nach anderen sozialen Kontakten und weiteren Interessen zu entgegnen.

 

Das Arsenal für eine Mission

 

   Fischers Ding waren 32 weiße und 32 schwarze Felder; weitere Bildungshorizonte störten nur. Er schuf sich bereits früh mehr und mehr seine eigenen Realitäten und rebellierte, sich anderen Lebensrhythmen in Gesellschaft und seinem persönlichen Umfeld anzupassen. Noch musste er die Schule besuchen, aber seine Rückschau war wütend: "Man lernt nichts in der Schule. Es ist reine Zeitverschwendung. Wenn man mich gelassen hätte, hätte ich es früher als mit 16 hingeschmissen." (Ginzburg 1962) Seine Lehrer resignierten: "Er scheint im Unterricht nie zuzuhören. Er denkt sicherlich ständig über Schach nach." (Nack 1958) Doch hier erzielte er bald Überdurchschnittliches, wie der Turnierorganisator Frank Brady, ein Wegbegleiter Fischers seit dessen elftem Lebensjahr, später bilanzierte: "Fischer weiß mehr über Schachtheorie als irgend ein anderer Spieler." (Brady 1973, S.260) Bereits 1959 war sich der 24-jährige Bent Larsen, der als Sekundant Fischers im jugoslawischen Kandidatenturnier agierte, unsicher, ob er dem 16-Jährigen Ratschläge geben könne: "Ja, aber er hätte sie nicht angenommen. Er wusste alles." (New-in-Chess-Magazine, Nr.2, 1993, S.54) Da sich die Familie Fischer finanziell die Reisekosten für einen amerikanischen Sekundanten zu dieser Vorstufe der Weltmeisterschaft nicht leisten konnte, engagierte Mutter Regina ohne Wissen ihres Sohnes den damaligen Fernschachweltmeister Alberic O'Kelly de Galway aus Belgien. Doch der junge Fischer geriet außer sich und verlangte, dass nur Larsen oder Hein Donner in Frage kämen. Den Dänen kannte er bereits von Interzonenturnier in Portoroz 1958 und dem Turnier in Zürich 1959. Der Heranwachsende hatte schon damals klare Vorstellungen, wer ihm noch Nuancen des Spiels beibringen konnte. Ansonsten studierte er lieber ununterbrochen alleine.

   Brady merkte beim Sichten der von Fischer zusammengetragenen Bibliothek an, dass es keine Bücher über Schachgeschichte oder Biographien großer Spieler zu finden waren - mit Ausnahme von Jacques Hannaks Emanuel-Lasker-Biographie (1973, S.12). Dies ist erstaunlich, denn Fischer betrachtete sich als akribischen Systematiker, während er den "Kaffeehausspieler" Lasker verachtete. Ihn interessierten fast ausschließlich die schachlichen Produktionen, aus denen er unmittelbaren Nutzen für sein Spiel ziehen konnte. Der Wissensdurst war in dieser Hinsicht unstillbar. Unzählige Einzelhefte von Schachzeitungen aus aller Welt wie das deutsche "Fernschach", "Magyar Sakkelet" aus Ungarn, "Jaque Mate" aus Kuba, "64" und "Shakhmatny Bulletin" aus der UdSSR oder "Philippine Chess Bulletin" stapelten sich in seiner Behausung. Im Bezug auf Partiensammeln war der Amerikaner ein Allesfresser - und das Jahrzehnte vor der Informationsexplosion im Datenbankzeitalter. Was in sowjetischen Schachclubs Schachpersonal in Legionenstärke sichtete und archivierte, musste sich der schachbesessene Junge aus Brooklyn selbst erschließen - und dies gelang. Daher kann man sicher der Meinung zustimmen, dass Fischer in seiner Herangehensweise ein "wissenschaftlicher Typus" war (Ljubojevic am Rande des IBM-Turniers in Amsterdam 1981 - Interview in Carle/Coudari 1982). Der Amerikaner galt mithin als einer der besten Spieler nach Machart der sowjetischen Schachschule, wie selbst Michail Botwinnik, der Patriarch dieser Schachphilosophie, meinte (Gligoric/Ragosin 1960, S.30). Schließlich kannte Fischer bereits in jungen Jahren viele Schachpublikationen in kyrillischen Buchstaben und erlernte die russische Sprache, um zumindest passiv Einblick in aktuelle Theoriediskussionen zu haben. Diese Besessenheit zahlte sich aus: Beispielsweise wendete er 1971 in der zweiten Partie des legendären WM-Viertelfinal-Wettkampfs gegen Mark Taimanow im zwölften Zug einen Springerzug an, den er zuhause ausführlich vorbereitete. Gefunden hatte er ihn in einer Fußnote eines 1970 erschienenen Sizilianisch-Eröffnungsbuch von Alexander Nikitin, dem späteren Trainer Garry Kasparows! Dem Sizilianisch-Experten Taimanow war der Hinweis seines Landsmanns entgangen. Die Konfrontation mit der Finesse bedeutete theoretisches Neuland und hatte unmittelbare Auswirkung - er griff fehl.

 










Fischer, R - Taimanow, M [B44]
Vancouver (Kandidatenviertelfinale, 2. Partie), 1971

 

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 5.Sb5 d6 6.Lf4 e5 7.Le3 Sf6 8.Lg5 Da5+ 9.Dd2 Sxe4 10.Dxa5 Sxa5 11.Le3 Kd7 12.S1c3! Nikitins Empfehlung! 12...Sxc3 [12...a6 13.Sd5! (13.Sxe4 axb5 14.Lxb5+ Kc7 15.0-0-0 Le6 mit Gegenspiel lt. Taimanow.) 13...Kc6 (13...axb5 14.Lxb5+ Sc6 15.Sb6+ Ke7 16.Sxa8+- ) 14.Sbc7 Sf6 15.Sxa8 Sxd5 16.Ld2 Sb6 17.Sxb6 Kxb6 18.Le3+ und Weiß sollte aufgrund der luftigen Position des weißen Königs besser stehen.] 13.Sxc3 Kd8 [Fischer langjähiger Freund von den Philippinen erreichte im selben Jahr nur ein Remis gegen den Schweizer, der bei diesem Turnier die Jugendweltmeisterschaft gewann: 13...b6 14.0-0-0 Lb7 15.f4 f6 16.fxe5 fxe5 17.Td2 Le7 18.Le2 h5 19.Sd5 Lxd5 20.Txd5 Sc6 21.c3 Kc7 22.a4 Lf6 23.Thd1 Tad8 24.Lf3 e4! Torre,E-Hug,W, Athen 1971.] 14.Sb5 Le6 15.0-0-0 b6 16.f4 exf4 17.Lxf4 Sb7 18.Le2 Ld7 19.Td2 Le7 20.Thd1 Lxb5 21.Lxb5 Kc7 22.Te2 Lf6 23.Tde1 Tac8 24.Lc4 Thf8 25.b4 a5 26.Ld5 Kb8 27.a3 Tfd8 28.Lxf7 [Tal gibt in Informator 11/302 folgende Abspiel an 28.Te4 Lc3 29.T1e2 an. (Doch 29.Te7 Tc7 30.Txc7 Kxc7 31.Te7+ Td7 32.Txd7+ Kxd7 33.Lxb7 axb4 34.axb4 Lxb4 35.Ld5 hätte sofort gewonnen.) ] 28...Lc3 29.Ld2 d5 30.Td1 d4 31.Lxc3 Txc3 32.Kb2 d3 33.Kxc3 dxe2 34.Te1 Sd6 35.Lh5 Sb5+ 36.Kb2 axb4 37.axb4 Td4 38.c3 Th4 39.Lxe2 Sd6 40.Td1 Kc7 41.h3 Tf4 42.Tf1 Te4 43.Ld3 Te5 44.Tf2 h5 45.c4 Tg5 46.Kc3 Kd7 47.Ta2 Kc8 48.Kd4 Kc7 49.Ta7+ Kd8 50.c5 bxc5+ 51.bxc5 Se8 52.Ta2 Sc7 53.Lc4 Kd7 54.Tb2 Kc6 55.Lb3 Sb5+ 56.Ke3 Kxc5 57.Kf4 Tg6 58.Ld1 h4 59.Kf5 Th6 60.Kg5 Sd6 61.Lc2 Sf7+ 62.Kg4 Se5+ 63.Kf4 Kd4 64.Tb4+ Kc3 65.Tb5 Sf7 66.Tc5+ Kd4 67.Tf5 g5+ 68.Kg4 Se5+ 69.Kxg5 Tg6+ 70.Kxh4 Txg2 71.Ld1 Tg8 72.Lg4 Ke4 73.Kg3 Tg7 74.Tf4+ Kd5 75.Ta4 Sg6 76.Ta6 Se5 77.Kf4 Tf7+ 78.Kg5 Tg7+ 79.Kf5 Tf7+ 80.Tf6 Txf6+ 81.Kxf6 Ke4 82.Lc8 Kf4 83.h4 Sf3 84.h5 Sg5 85.Lf5 Sf3 86.h6 Sg5 87.Kg6 Sf3 88.h7 Se5+ 89.Kf6 1-0

 

Doch Fischer galt nicht nur als einer jener Theoriehaie, die wir sie heute kennen und die immer dem Trend hinterher jagen. Er wollte das gesamte Universum an Schachwissen aufsaugen. So war es nicht verwunderlich, dass er die beiden klassischen Schulen des 19. Jahrhunderts intensiv studierte. Wilhelm Steinitz und Michail Tschigorin faszinierten ihn als Antipoden. Steinitz sah er als den Vater des modernen Schach: "Er verstand mehr über die Bedeutung der Felder als Morphy und leistete viel mehr für die Entwicklung der Schachtheorie." Tschigorin bewunderte er wegen seines aggressiven Stils und den Fähigkeiten im Endspiel (beide Zitate in Brady 1973, S. 78/79). Aufgrund dieser Studien waren ihm natürlich alle offenen Eröffnungen aus deren Zeit geläufig. Er scheute sich nicht, in Turnierpartien vergessene Systeme zu reaktivieren, obwohl er dies in seinen "grünen Jahren" relativ häufiger tat. Insgesamt ist nach Wladimir Bagirows Auswertung von Fischers Weißpartien bis zum WM-Gewinn allerdings deutlich, dass die "Spanische Tortur" seine bevorzugte Waffe war. Die "Königin der Eröffnungen" brachte er 99 mal auf das Brett, während alle anderen offenen Spiele nur 14 Mal vorkamen (darunter dreimal Königsgambit, einmal Lettisch, einmal Philidor, zweimal Zweispringerspiel, zweimal Italienisch, einmal Vierspringerspiel und bloß viermal das heute so beliebte Russisch).

   Ein Blick in seinen Bücherschrank zeigte, dass er die theoretischen Pioniere verschlang und seine künftigen Gegner aus dem Ostblock genau unter die Lupe nahm: 

Freeborough / Ranken, Chess Openings - Ancient and Modern (von 1893)
Kotow / Judowitsch, The Soviet School of Chess (in russischer Sprache)
Aljechin, Turnierbuch New York 1924
Maizeles, Finales de Peones, (in spanischer Sprache)
Deppe, From's Gambit (in deutscher Sprache)
Romanov, Tschigorin's selected games (in russischer Sprache)
Selected games of Boleslavsky (in russischer Sprache)
The First Inter-Army Tournament of Friendship 1965, (in russischer Sprache)
Bilguer, Handbuch des Schachs, Ausgaben 1858 und 1874, (in deutscher Sprache)
Steinitz, Modern Chess Instructor
Gossip, Chess Players' Manual
Fine, Practical Chess Openings
Hooper, A Complete Defence to P-K4
Euwe, Theorie der Schacheröffnungen, (mehrere Bände)
Turnierbücher von Leipzig 1879, Berlin 1881, Kemeri 1937, Avro 1938, Amsterdam 1964, Piatigorsky Cup 1963, Zinnowitz 1966, Oxford 1967, Moskau 1967, Sousse 1967

Quelle: Frank Brady in "Bobby Fischer - Profile of a Prodigy", New York: Dover, 1973, S.11/12

 

   Durch breite schachliche Kenntnisse bestückte der Alleinkämpfer Fischer einerseits sein Arsenal mit vergessenen, daher überraschenden Eröffnungsideen, und anderseits verschaffte ihm das unbändige Streben nach Vervollkommnung seines Schachstil und seine stete Bereitschaft zur theoretischen Diskussion auch abseits der Turnierhallen den Respekt seiner Gegner. Aber nur bisweilen akzeptierte er die Zusammenarbeit mit anderen Meistern (mit William Lombardy und Larry Evans gab es beispielsweise regelmäßige Arbeitsbeziehungen; zudem nutzte er Aufenthalte außerhalb der Vereinigten Staaten für Zusammenarbeiten, wie im Jahre 1967 vor dem Interzonenturnier in Tunesien, als er Zwischenstation in Belgrad machte und dort Svetozar Gligoric, Petar Trifunovic und Miroslaw Radojcic als Analysepartner empfing). Zuarbeiten brauchte er nur in einigen Phasen seiner Karriere, z.B. vom nationalen Meister Kenneth Smith, der ihm in den zwei Jahren vor den WM-Kampf viel Partienmaterial lieferte. Ansonsten liebte es der Superstar, alle Informationen selbst zu finden und zu prüfen. Sein ledernes Taschenschach erlangte Berühmtheit. Ob auf Parkbänken oder in Restaurants Fischer war allzeit bereit, neue Zugfolgen in sich hineinzufressen. Diese Einstellung machte ihn in seiner Heimat populär, denn hier gilt er etwas, dessen Erfolg das Werk der eigenen Hände ist.

 

Erste Schritte auf dem Weg zum Mythos

 

   Doch vom Emporkömmling zum Mythos kann es oftmals eine schmale Gratwanderung sein. Über Sportlerambitionen prägte Matthias Sammer drei Monate vor der aus deutscher Sicht unsäglichen Fußballeuropameisterschaft 2000 einen Satz, der ihn allzeit in eine Zitatensammlung bringen würde: "Qualität setzt sich immer durch. Nur, man muss sich auch durchsetzen wollen." Wenn diese Aussage im Schach auf einen zutrifft, dann auf Robert James Fischer. Es bedurfte allerdings einem Dutzend Jahre, ehe sich der Mensch und Schachspieler gefunden hatte, um dann ab 1970 einen raketenartigen Aufstieg zu absolvierten, der noch heute die Grundlage für den Mythos Fischer bildet. Die Zyklen seiner Karriere waren nach heutigen Standards recht ungewöhnlich. Bis 1972 spielte er nur knapp über 700 ernsthafte Turnierpartien. Das schafft ein Jungstar heute in der Regel bis zum 20. Lebensjahr. Doch in den 50er und 60er Jahren tickten die Schachuhren langsamer; die Zahl der starken Turnier war wesentlich geringer. Überhaupt ist erstaunlich, an wie wenigen herausragenden Turnieren Fischer zwischen 1957 bis 1972 teilnahm: sechs Turniere, die Qualifikationen für die Weltmeisterschaft waren, 14 internationale Turniere, acht US-Meisterschaften, die er alle gewann, und vier Olympiaden.

   Zwar erregte der 13-Jährige bereits 1956 weltweites Aufsehen mit seiner berühmten Partie gegen Donald Byrne, aber ein erfolgreiches Jahr bedeutete es keineswegs. Bloß der Gewinn der US-Juniorenmeisterschaft mit 8,5 Punkten aus zehn Partien und einem halben Punkt Vorsprung vor 27 Wettbewerbern stellte ein Highlight dar. Der Glanzsieg gegen Byrne beim New Yorker Rosenwald Memorial war indes bloß einer von zwei Gewinnen aus elf Partien. 4,5 Punkte langten nur für einen Platz im unteren Tableau. Noch zeichnete ihn nicht aus, was ihn in seiner Glanzzeit charakteristisch war, eine hohe Gewinnquote gegen schwächere Spieler. Ein Beispiel aus diesem Turnier ist nicht untypisch: Gegen einen Draufgänger wie Eliot Hearst (der in diesem Turnier dreimal gewann, sechsmal verlor und nur zweimal remisierte) kam er in Schwierigkeiten. Konfrontation mit einer selten gespielten Eröffnung und einem Königsangriff behagten dem Schachgenie nie. Es geschah in der Schlussrunde seines ersten bedeutenden geschlossenen Turniers, welches Samuel Reschewsky mit 9:2 Punkten gewann.

 










Fischer, R - Hearst, E [C64]
New York (Rosenwald Memorial), 1956

 

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Lc5 4.0-0 Sd4 5.Sxd4 Lxd4 6.c3 Lb6 7.d4 c6 8.La4 d6 9.Sa3 Sf6 10.Te1 [Ein philippinischer Freund wählte einen anderen Plan: 10.Dd3 0-0 11.Lg5 h6 12.Lh4 g5 13.Lg3 d5 14.Lxe5 Sxe4 15.f3 Sd6 16.Lc2 Lf5 17.Dd2 Lxc2 18.Lxd6 Dxd6 19.Sxc2 Lc7 20.g3 Tae8 21.Tae1 Dg6 22.Txe8 Txe8 23.Te1 Txe1+ 24.Sxe1 De6 25.Kg2 Kg7 26.Sd3 Ld6 27.De1 Dxe1 28.Sxe1 1/2-1/2 Torre,E-Gulko,B, Polanica Zdroj 1977] 10...De7 11.Lg5 h6 12.Lh4 g5 13.Lg3 h5 14.f3 h4 15.Lf2 g4 16.Sc4 g3 Weiß öffnet die Schleusen. 17.hxg3 hxg3 18.Lxg3 Sh5 19.Lh2 Lc7 20.Se3 Dh4 21.Dd2 Ld7 22.Lb3 Th7 23.Df2 Dg5 24.Tad1 Sf4 25.Lxf4 exf4 26.Sf5 0-0-0 27.Kf1 Th2 28.Lxf7 Ein erstaunlicher Materialismus, der drei Züge später eine Figur kostet. 28...d5 29.Td2 Tf8 30.Dg1 Th7 [Noch einfach war 30...Tfh8 und Weiß ist völlig hilflos.] 31.exd5 Thxf7 32.dxc6 Lxc6 33.d5 Lb5+ 34.Tee2 Txf5 35.Dxa7 Txd5 36.c4 Lxc4 37.Da8+ Lb8 38.Tc2 Tc5 39.Ke1 Lxe2 40.Da5 Dg3+ 0-1

 

   Das Jahr 1957 wurde zu seinem großen Durchbruch, obwohl er es am Jahresbeginn nicht schaffte, sich für Clubmeisterschaft des Manhattan Chess Club zu qualifizieren, nachdem er eine wichtige Partie gegen Pavey verloren hatte. Gegen den früheren Weltmeister Max Euwe spielte er im März ein Minimatch und verlor einmal bei einem Remis. Doch dann begann ab Jahresmitte etappenweise sein Weg in die Weltspitze. Das Drama zwischen individuellem Willen zur Höchstleistung und kollektivem Widerstand einer Schach-Supermacht entspann sich.


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Bobby Fischer (2)