Bedeutender Beitrag zur Schach-HistorieGarri Kasparow beleuchtet seine Vorgänger auf dem WM-Thronvon FM Hartmut Metz, 13. September 2003 |
Edition Olms
2003
ISBN 3-283-00470-6; 246 Seiten; 29,90 Euro
Bewertung des Rezensenten:
Garri Kasparow ist der weltbeste Schachspieler - aber auch die umstrittenste Persönlichkeit im Zirkus auf den 64 Feldern. Vor zehn Jahren löste er mit der Abspaltung des WM-Titels eine Krise aus, die bis heute andauert. Nachdem er jahrelang Kirsan Iljumschinow, Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE, als Mafiosi bezeichnete, paktiert der Russe plötzlich wieder mit dem Staatsoberhaupt der Republik Kalmückien. Inzwischen gebärden sich beide wie Brüder, und Iljumschinow ist sich nicht zu schade, Steigbügelhalter Kasparows bei der Rückkehr auf den WM-Thron zu spielen.
Garri Kasparow, Foto Harald Fietz
Jüngster Höhepunkt war die Verkündigung eines WM-Duells gegen den ukrainischen Weltmeister Ruslan Ponomarjow auf der Krim. Die Staatschefs aus der Ukraine, Leonid Kutschma, und Russlands, Wladimir Putin, waren geladen, um die ersten Züge auszuführen. Doch nun platzte der Titelkampf, weil sich Champion Ponomarjow nicht die Bedingungen von der neuerdings "kasparowphilen" FIDE diktieren lassen wollte. In der Posse bootete der Weltverband den widerspenstigen eigenen Weltmeister - daneben gibt es noch Wladimir Kramnik, der 2000 Kasparow den abgespalteten Titel abgeknöpft hatte - kurzerhand aus. Für Dezember setzte Iljumschinow eine neue WM im K.o.-Modus an. Der dabei ermittelte Weltmeister muss dann gleich gegen Kasparow antreten - der geruhsam zusehen darf, wie sich die anderen Großmeister auf dem Brett beharken.
Angesichts des widerwärtigen Schauspiels empfahl ein Kritiker in der Internet-Zeitschrift "Chess Today", man möge doch Kasparow endlich zum Ehren-Weltmeister erheben, damit dieser endlich Ruhe gebe - und dann könne sich das "Ungeheuer von Baku" voller Elan aufs Bücherschreiben konzentrieren.
Darauf versteht sich der 40-Jährige zwar nicht ganz so meisterhaft wie auf den Umgang mit den 32 Figuren - ein bahnbrechendes Werk bleibt sein neues Projekt dennoch: Der Ex-Weltmeister befasst sich vor allem mit seinen zwölf Vorgängern: "Meine großen Vorkämpfer - Die bedeutendsten Partien der Schachweltmeister" heißt die Reihe. Im ersten Band, der jetzt auf Deutsch bei Edition Olms (29,90 Euro) erschien, würdigt der gebürtige Aserbaidschaner vor allem Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker, die beiden ersten offiziellen Weltmeister.
Zu Ehren kommen aber auch andere Protagonisten des 19. Jahrhunderts, die inoffiziellen Champions vor dem ersten WM-Match 1886 zwischen Steinitz und Johannes Zukertort: André François Philidor, Kombinationskünstler Adolf Anderssen und Paul Morphy oder Herausforderer der Weltmeister wie Frank Marshall, Harry Pillsbury oder Akiba Rubinstein. Neue historische Ergebnisse darf man bei dem Buch, das auch auf CD alle 3 151 Partien der genannten Legenden zum Nachspielen mitliefert, nicht erwarten. Ja, bei der Einleitung verzapft Kasparow gar ziemlichen Unsinn: Jeden der Weltmeister sieht er als "Kind seiner Zeit", der auf dem Brett praktisch die Geschichte widerspiegelt. Das untermauert der aktuelle Weltranglistenerste mit an den Haaren herbeigezogenen Beispielen, die man für jeden konstruieren kann.
Geradezu froh muss man sein, dass Kasparow nicht auch noch das Thema mit dem angeblich "erfundenen Jahrhundert" im Mittelalter anschneidet, das er auf Grund einer abenteuerlichen Theorie in der europäischen Geschichte sieht. Besonders sein Erzrivale Anatoli Karpow bekommt schon vorab sein Fett weg: Ihm bescheinigt Kasparow zwar "einzigartiges Schachtalent" (vermutlich um seinen Sieg über ihn zu erhöhen), geißelt den ehemaligen Kommunisten aber auch als eine "zähe, seelenlose Maschine", "Breschnew-Kind" und "Symbol des politischen und gesellschaftlichen Stillstands". Vor allem auf den fünften Band, in dem es um Karpow und den von den meisten als besten Schachspieler aller Zeiten angesehenen Bobby Fischer gehen wird, dürfen die Leser gespannt sein. Vermutlich wimmelt es dort vor Rundumschlägen.
Schachlich gibt es an dem in gewohnter Olms-Qualität aufgemachten ersten Werk wenig zu nörgeln. Peinlich nur die Anmerkung auf Seite 33, auf der ein Spieler namens Lipke 1898 als Großmeister tituliert wird - gleichwohl dieser Titel erstmals 16 Jahre später in St. Petersburg an Lasker&Co. verliehen wurde. Abgesehen von ein paar weiteren Schludrigkeiten ist "Meine großen Vorkämpfer" historisch bedeutsam. Vor allem die Analysen der Partien gefallen. Kasparow scheute auch keine Mühe, alte Kommentare zu überarbeiten und Positionen neu einzuschätzen.
Das gilt besonders für die nachstehende Begegnung mit dem Begründer des modernen Positionsspiels, Wilhelm Steinitz. Der am Schluss sechstplatzierte aufstrebende 26-jährige Wiener erhielt dafür 1862 beim Turnier in London, das Anderssen gewann, den Schönheitspreis. Die zum Teil gekürzten Kommentare stammen aus Kasparows neuem Buch.
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W: Steinitz S: Mongredien1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Dd8?! Populärer und natürlicher ist [ 3...Da5 mit bestimmten Kontermöglichkeiten, wie auch das WM-Match 1995, Kasparow - Anand (New York/Partie 14) zeigte.] 4.d4 e6 5.Sf3 Sf6 6.Ld3 Le7 7.0-0 0-0 8.Le3 b6 9.Se5 Lb7 10.f4 Sbd7 11.De2 Sd5?! [ Logischer ist 11...c5 , obwohl Weiß nach 12.Tad1 etwas besser steht.] 12.Sxd5 exd5 13.Tf3 f5! 14.Th3 g6 15.g4?! Laut Lasker ist dies ein "findiges und starkes Spiel". Meiner Meinung nach ist es durchaus auch strittig. 15...fxg4? Notwendig war [ 15...Sxe5 16.fxe5 Lc8! (aber nicht ( 16...fxg4 17.Txh7 wie in der Partie.)) 17.gxf5 Lxf5 und Weiß kann überhaupt nichts mehr entgegensetzen, weil nun sogar seine Verteidigung zusammengebrochen ist.] 16.Txh7!? Der Beginn einer mutigen Kombination, die dem jungen Steinitz den Schönheitspreis einbrachte. Einfacher ist [ 16.Dxg4! Sf6? ( 16...Sxe5 17.dxe5 Dc8 18.e6 Tf6 19.f5 Df8 20.fxg6 hxg6 21.Lxg6 Dg7 22.Tg3 mit weißer Gewinnstellung.) 17.De6+! Kg7 18.f5 Lc8 ( 18...h5 19.Sxg6 Tf7 20.Lh6+! ) 19.Lh6+ Kh8 20.Sxg6+ hxg6 21.Lxf8+ Sh5 22.Txh5+ gxh5 23.Dh6+ Kg8 24.Dg7# ] 16...Sxe5 [ Im Falle von 16...Kxh7 würde 17.Dxg4 Sxe5 ( Schlecht ist hingegen 17...Sf6? 18.Dxg6+ Kh8 19.Dh6+ Kg8 20.Kh1+- ) 18.fxe5 unter Zugumstellung zur Partie führen. ] 17.fxe5 Kxh7 18.Dxg4 Tg8? Dieser Zug verliert zweifellos. Eine bessere Verteidigung mit [ 18...De8! würde Weiß dazu zwingen, sehr genau zu spielen: 19.Dh5+ Kg7! ( 19...Kg8 20.Lxg6 Tf7 21.Kh1 Lf8 22.Tg1 Lg7 23.Lh6+- ) 20.Dh6+ Kg8 21.Lxg6 Tf7 22.Kh1! Lf8 23.Dh5 und Schwarz ist ungeschützt: 23...Dd7 24.Tg1 Lg7 25.Dh7+! Kf8 26.Lxf7 Dxf7 27.Txg7 Df1+ 28.Tg1 Df3+ 29.Tg2 Df1+ 30.Lg1 ] 19.Dh5+ Kg7 20.Dh6+ [ Natürlich nicht 20.Dxg6+? Kh8! ] 20...Kf7 21.Dh7+ Ke6 [ 21...Tg7 22.Lxg6+ Kf8 23.Dh8+ Tg8 24.Lh6# ] 22.Dh3+! Kf7 23.Tf1+ [ Auch 23.e6+! beendet rasch die Jagd nach dem König und führt zwangsläufig zu einem Matt in acht Zügen.] 23...Ke8 24.De6 Tg7 25.Lg5 Dd7 [ Oder 25...Lc8 26.Dc6+ Ld7 27.Dxg6+ Txg6 28.Lxg6# ] 26.Lxg6+ Txg6 [ 26...Kd8 27.Tf8+ De8 28.Txe8# ] 27.Dxg6+ Kd8 28.Tf8+ De8 29.Dxe8# 1-0 |
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