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Weltmeister in der zweiten Liga

Rustam Kasimdschanow gewinnt sensationell Titel

von FM Hartmut Metz, 31. Juli 2004

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Rustam Kasimdschanow

Rustam Kasimdschanow

 

   Der neue Weltmeister belässt es nicht nur bei einem Novum: Rustam Kasimdschanow ist bei seinem Titelgewinn der erste Moslem auf dem Thron des Schach-Weltverbandes FIDE. Der Usbeke belebt damit eine Tradition, die die den schönen Künsten zugeneigten Araber begründeten. Als in Europa noch nicht einmal das finstere Mittelalter herrschte, waren Schachmeister wie Al-Adli und Al-Suli längst im arabischen Kulturraum Berühmtheiten. Begriffe wie Schach (Schah) fußen aus der Zeit, als unter dem Sassaniden-Schah Khosrau I. (531- 599) das Spiel aus Indien Fuß fasste. Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert sorgten die Araber bei ihren Eroberungszügen auch für die Ausbreitung des königlichen Spiels in Europa.

   Als noch bemerkenswerter als Kasimdschanows Abstammung erweist sich seine Zukunft: Der 25-Jährige fungiert als Spielertrainer des deutschen Zweitligisten Godesberger SK! Zum Verdruss des Erstligisten Solinger SG, der den Asien-Meister von 1998 nach Deutschland geholt und beschäftigt hatte, wechselte der zuvor noch nie durch ganz überragende Ergebnisse aufgefallene Weltmeister ins Unterhaus. Dazu hatte ihm sein Freund Robert Hübner, rund ein Vierteljahrhundert die deutsche Nummer eins, geraten. Der Vater eines Sohnes ist fast solch ein Sprachtalent wie sein Mentor Hübner und beherrscht neben seiner Muttersprache zudem Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch.

   Den sensationellen Sieg des Weltranglisten-54. in Tripolis kann man schwerlich als glücklich bezeichnen - Kasimdschanow erwies sich in Libyen als Favoritenschreck: Die Wettkämpfe gegen Europameister Wassili Iwantschuk (Ukraine), den Russen Alexander Grischuk und den bis zum Halbfinale mit 9,5:0,5 Punkten überragenden Weselin Topalow (Bulgarien) hatte er remisiert und sich anschließend im Schnellschach-Tiebreak durchgesetzt. Genauso kam es im Endspiel gegen den Weltranglistensechsten Michael Adams. Zwar befand sich Kasimdschanow beim 3:3 vor allem am Ende der sechsten Partie (siehe unten) kurz vor dem Abgrund - aber auch hier entwischte der Usbeke und schlug den Briten im Tiebreak mit 1,5:0,5.

 










Kasimdschanow,R (2652) - Adams,M (2731) [C91]
FIDE-WM Tripolis (7.6), 12.07.2004

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0-0 8.d4 d6 9.c3 Lg4 10.Le3 exd4 11.cxd4 Sa5 12.Lc2 c5 13.h3 cxd4 14.Lxd4 Lh5 15.g4 Lg6 16.Sc3 Tc8 17.Tc1 Sc6 18.Le3 Sb4 19.Lb1 d5 20.e5 Se4 21.Se2 Sc5 22.Lxc5 Txc5 23.Txc5 Lxc5 24.Sf4 Db6 25.Tf1 Le4?! [ 25...Lxb1!? sieht nicht besser aus, weil Weiß daraufhin Angriffschancen erhält oder Material gewinnt: 26.Dxb1 Td8 27.Sg5 g6 28.e6 fxe6 29.Sgxe6 Td6 30.a3 Sc6 31.Dc2 Ld4 32.Td1 Le5 33.Txd5 und Kasimdschanow steht überlegen.; 25...d4 26.a3 Sc6 27.Sxg6 hxg6 28.b4 Le7 29.Le4 a5 ist die wohl einzige Alternative, um Bauerntausch am Damenflügel zu forcieren und hernach auf Remis zu spielen.] 26.a3 Sc6 27.Sxd5 Lxd5 28.Dxd5 Sd4 29.Kg2 Sxf3 30.Dxf3 g6 31.b4 Ld4 32.De4 Lb2 33.Td1 Td8 Ansonsten geschieht 34.Td7 nebst La2 mit unangenehmem Druck auf f7. 34.Txd8+ Dxd8 35.La2 De7 36.e6! Ungeachtet der ungleichfarbigen Läufer, die normalerweise in Endspielen Unentschieden begünstigen, besitzt Weiß mit den Damen auf dem Brett gewisse Gewinnchancen. Die Stellung um den schwarzen König wird durch den Bauernvorstoß nach e6 bloßgelegt. 36...fxe6 37.Da8+ Kf7 38.Dxa6 Dd7 39.g5! Legt die Bauern auf g6 und h7 fest und schließt das Schlupfloch f6 für den feindlichen König. 39...Ke7 40.Da8 Ld4 41.Dg8?? Ein schwerer Schnitzer nach der Zeitkontrolle, der Adams unerwartete Siegchancen einräumt! Weiß muss mit der Dame auf der Diagonale bleiben. 41...Dc6+! 42.Kg3 [ 42.Kf1 Dc1+ 43.Kg2 Dxg5+ 44.Kf1 Df6 45.Dxh7+ Kd6 führt unweigerlich zum Matt. Die weißen Figuren können dem eigenen König nicht mehr beistehen. Ein Beispiel: 46.Ke2 Dxf2+ 47.Kd3 De3+ 48.Kc2 De2+ 49.Kc1 Le3+ 50.Kb1 Dd1+ 51.Kb2 Ld4# ] 42...Lxf2+?? Verschenkt den WM-Titel! Wie so oft, wenn sich die Geschehnisse auf dem Brett dramatisch verändern, realisiert die sich lange nur verteidigende Seite nicht den kompletten Wandel und ist froh, ins Remis entwischen zu können. Nach [ 42...De4!-+ hätte sich Adams aber dagegen langsam mit dem Match gegen Garri Kasparow beschäftigen können: 43.Dxh7+ Kf8 ( 43...Kd6 ergibt nur ein Remis nach 44.Df7 ) 44.Dh6+ Lg7 45.Dh4 Le5+ 46.f4 De1+ 47.Kg4 De2+ 48.Kg3 Lc3 49.Dh6+ Ke7 50.Dh7+ Kd6 51.h4 Le1+ 52.Kh3 Df3+ 53.Kh2 Lg3+ 54.Kg1 Df2+ 55.Kh1 Dh2# ] 43.Kxf2 Dc2+ 44.Ke3 Weiß entkommt dem Dauerschach nicht, daher einigten sich die beiden Finalisten friedlich. 1/2-1/2

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