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"Chess960 ist besser als Sex"

Chess Classic Mainz sorgen für Popularisierung einer zweiten Schachvariante

von FM Hartmut Metz, 3. September 2005

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   Das Schach des nächsten Jahrtausends soll in Mainz gespielt werden. Die Rede ist nicht etwa von dem Weltranglistenersten Viswanathan Anand, der bei den Chess Classic Mainz alle Jahre wie Lance Armstrong bei der Tour de France den „Kannibalen“ spielt. Der Schnellschach-König bezwang den Russen Alexander Grischuk in der GrenkeLeasing Championship mit 5:3. „Wir sind nicht zu stoppen!“, verkündet Organisator Hans-Walter Schmitt gewohnt markig und meint nicht seinen Ziehsohn Anand, sondern die Schachvariante Chess960. Die ist auch sein Kind. Seit ihrer Einführung vor vier Jahren in Mainz hat sie selbst unter den traditionsbewussten Anhängern des eineinhalb Jahrtausende alten Spiels schon erstaunlich viele Freunde gefunden.

   Die Grundidee von Chess960 hatte Bobby Fischer entwickelt. Der Weltmeister von 1972 war die Eröffnungspaukerei leid. Die Stars feilen zwischen den Turnieren täglich bis zu zehn Stunden an ihrem Eröffnungsrepertoire, um den nächsten Kontrahenten vielleicht im 22. Zug der Spanischen Variante mit einer neuen Idee zu überraschen. Daher erfand der legendäre Amerikaner das Fischer Random Chess. Dabei wird vor jeder Partie die Grundstellung der Figuren nach bestimmten Regeln ausgelost. Nur die weißen Bauern stehen wie gewohnt auf der zweiten und die schwarzen auf der siebten Reihe. Die Regeln seines Idols Fischer verfeinerte Schmitt, um auch die Rochade - einen essenziellen Schachzug, bei dem der König in Sicherheit gebracht wird – im Fischer Random Chess zu ermöglichen.

 

Hans-Walter Schmitt

Organisator der Chess Classic Mainz: Hans-Walter Schmitt

 

   Danach war Chess960 geboren. Mit dem englischen Begriff für Schach paarte Marketingmann Schmitt die Zahl der potenziellen Startaufstellungen. Auch die „normale“ Position ist möglich, sie trägt die Nummer 518. Mit Turnieren bei den Chess Classic Mainz trug der Organisator aus Bad Soden das neue Spiel hinaus in die Schachwelt. Sogar eine Weltmeisterschaft gibt es, in der der Russe Peter Swidler den Ungarn Zoltan Almasi mit 5:3 im Zaum hielt. Der 29-jährige Ungar hatte im Vorjahr das FiNet Chess960 Open gewonnen und sich als Herausforderer für die FiNet Chess960-WM qualifiziert.

   „Ich bin mit Chess960 der beste Freund der Großmeister“, behauptet Schmitt. Schließlich können die sich zwischen den Partien auf die faule Haut legen. Die hektische Vorbereitung auf das Eröffnungsrepertoire des nächsten Kontrahenten entfällt. „Die Akzeptanz ist viel größer geworden“, konstatiert Artur Jussupow. Der deutsche Schnellschach-Europameister hatte 2001 in Mainz als Erster einen Wettkampf im Chess960 gewagt und festgestellt: „Wer es ausprobiert, wird es positiv bewerten.“ Die These des Weltranglistenersten Anand bestätigt sich in der Rheingoldhalle: „Wenn die Preisgelder klettern, steigt auch die Akzeptanz.“ Im Kampf um die insgesamt 36.000 Euro im FiNet Chess960 Open und dem folgenden Ordix Open meldeten 87 internationale Titelträger.

   Die Profis beherrschen auch Chess960. Es sind zwar eher Überraschungen für Amateure möglich, weil sie nicht schon aus der Eröffnung heraus überspielt werden – aber letztlich nähern sich die Partien nach 15 oder 20 Zügen Stellungen an, die der Schachspieler von den klassischen Partien her kennt. „Die Figuren stellen möglichst rasch wieder ihre Dialogfähigkeit her“, nennt das Eckhard Freise, seines Zeichens eloquenter Professor für mittelalterliche Geschichte und erster Millionär in der Jauch-Quizshow. Der Stammgast bei den Chess Classic Mainz ulkt: „Chess960 ist besser als Sex – es gibt mehr Stellungen.“

   Keine Sache, die Elektronenhirne erregt. Bei der ersten Livingston Computer-WM im Chess960 wurde das Programm des Frankfurters Roland Pfister seinem Namen vollauf gerecht. Die Rochade-Regel, die nur ein bisschen schwerer als im normalen Schach ist, führte die Engine irregulär aus. Mit dem Patzer hatte „Patzer“ die Partie verloren. Fast zeitgleich hatte der Baden-Badener Großmeister-Anwärter Rainer Buhmann den Inder Pentela Harikrishna dank der Rochade bezwungen. König und Turm stehen danach immer wie im normalen Schach, auch wenn sie von unterschiedlichen Feldern kommen. Als Buhmann rochierte, seinen Turm so auf die d-Linie brachte und Material auf dieser gewann, bezweifelte Harikrishna die korrekte Ausführung. Der herbeizitierte Schiedsrichter Sven Noppes bestätigte jedoch Buhmanns Rochade, woraufhin die indische Nummer zwei hinter Anand aufgab. Es gab auch ohne Rochade einige kuriose Kurzpartien renommierter Spieler: So gab der Internationale Meister Klaus Klundt nach zwei Zügen auf! Großmeister Fabian Döttling hatte mit 1.b3 seinen Läufer auf a1 belebt, der sogleich nach g7 schielte. Klundt entwickelte bei dem „Fingerfehler“ statt den Springer g8 nach f6 jenen von h8 nach g6. Nach Lxg7 war noch gleich die Qualität weg, weshalb der Bayer umgehend die Waffen streckte. Das „Schäfermatt“ des Chess960 fand Freise in der neunten Runde mit einem erstickten Matt nach lediglich vier Zügen gegen einen völlig perplexen Gegner!

   Schmitt fechten solche Problemchen nicht an. Zuversichtlich tönt der Organisator, der inzwischen einen bundesweiten Chess960-Turnierzyklus aufbaute: „Ich vergleiche Chess960 mit dem Internet. Das war Mitte der 90er Jahre auch nicht aufzuhalten.“

   Direkt vor den Chess Classic Mainz endete die Mannschafts-EM in Göteborg. Ausgerechnet Chess960-Vizeweltmeister Almasi gab dabei eine Steilvorlage für das Fischer-Schach: Seinen brillanten Sieg gegen Christopher Lutz hatte er bis zum letzten Zug zu Hause mit dem Computer ausgearbeitet! Der Deutsche, der am Brett verzweifelt nach einer Rettung suchte, konnte einem Leid tun. Alle Verteidigungskunst half nicht mehr.

 










Almasi,Z (2619) - Lutz,C (2616) [B80]
Mannschafts-EM Gothenburg SWE (6.1), 04.08.2005

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.f3 e6 7.Le3 b5 8.g4 h6 9.Dd2 b4 10.Sa4 Sbd7 11.0-0-0 Se5 12.b3 Ld7 13.Sb2 d5 14.Lf4 Sxf3 15.Sxf3 Sxe4 16.Dd4 f6 [16...Sc3 taugt nicht so viel, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Anhänger des schwarzen Systems müssen deshalb wohl noch früher nach einer Verbesserung Ausschau halten. 17.Te1 Sxa2+ 18.Kd2 Le7 19.h4! Lf6 20.Le5 Lxe5 21.Sxe5 Dc7 22.Sbd3 Tc8 23.Sxd7! Dxc2+ 24.Ke3 Kxd7 25.Dxg7 verspricht dem Anziehenden Vorteil.] 17.Te1! [17.Ld3!? Lc5 18.Lxe4 Lxd4 19.Lg6+ Kf8 20.Txd4 ergab in Sofia eine aufregende Partie, die sich Viswanathan Anand und Wesselin Topalow lieferten. Nach 60 Zügen einigten sich die beiden Weltranglistenersten auf ein Remis.] 17...Lc5 18.Dd3 Lb5 [18...0-0? erlaubt ein starkes Qualitätsopfer: 19.Txe4 dxe4 (19...Lb5 20.Sc4 dxe4 21.Dxe4 ist ebenfalls für Weiß deutlich besser.) 20.Dxe4 und Schwarz steckt in Nöten angesichts von Drohungen wie Ld3 nebst Dh7+ und den dominanten weißen Figuren.] 19.Sc4! f5 [19...Sf2? ist zu verwegen. 20.Txe6+ Kf8 21.Df5 Sxh1 22.Lg2! Sf2 23.Sh4 Lxc4 (23...dxc4 24.Sg6+ Kf7 25.Ld5! mit vernichtenden Abzugsdrohungen.) 24.Sg6+ Kf7 25.bxc4 Se4 26.Txe4! dxe4 27.Sxh8+ Dxh8 28.Dd5+ und baldigem Ende.] 20.gxf5 exf5 21.Lc7! Lxc4?! [21...Dd7 22.Lh3 und; 21...Df6 22.Le5 sind die Alternativen, die jedoch laut Almasi ebenfalls zu weißer Überlegenheit führen.] 22.bxc4 Dxc7 23.Dxd5 Df4+ 24.Kb2 Dxf3 25.Dxa8+ Ke7 26.Db7+ [26.Dxh8?? würde das Ergebnis drehen. 26...Dc3+ 27.Kb1 Ld4 mit undeckbarem Matt.] 26...Kf6 27.Dc6+ Kg5 [27...Kf7 28.Dd5+ Kf8 29.Ld3 und Lutz kann aufgeben.] 28.h4+ Kf4 [28...Kg4 reicht auch nicht. 29.Le2 Ld4+ 30.c3! (30.Kc1 Le3+ 31.Kb2 Ld4+ 32.Kb1?? Sc3+ 33.Kc1 Sxe2+ ) 30...Lxc3+ und der König hat das Fluchtfeld c2.] 29.Dc7+ Ld6 30.Txe4+ Kxe4 31.Ld3+ Ke3 32.Db6+! Kd2 33.Dxd6 [33.Dxd6 Dxh1 34.Le4+ Ke3 35.Lxh1 kostet schlicht die Dame.] 1-0

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